Wirtschaftskriege: „The West against the Rest“

Aktualisierter Workshop-Beitrag, u.a. in der Friedenswerkstatt „Stopp Ramstein 2023“ am 21.Juni 2023
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Wir hatten ja letztes Jahr schon einen Workshop zu Wirtschaftssanktionen oder Wirtschaftskriegen. Da lag der Schwerpunkt auf einer generellen Kritik an ihnen, aus humanitären, politischen und völkerrechtlichen Gründen.[1] Heute will ich auf die Auseinandersetzung um die westliche Sanktionspolitik als Teil des Kampfes der Mehrheit des Planeten gegen die westliche Vorherrschaft eingehen. Sie wird schon seit Jahrzehnten geführt, zwischen dem politischen Westen und dem Großteil der übrigen Welt, mit dem Wirtschaftskrieg gegen Russland bekam die Auseinandersetzung aber eine neue Dynamik. Die praktischen Maßnahmen, die nun zunehmend im globalen Süden gegen Wirtschaftsblockaden ergriffen werden, richten sich auch gegen die westliche Dominanz generell und beschleunigen so die Umbrüche in eine multipolare Welt.  

Gegen ein Drittel der Menschheit

Es geht in dem Zusammenhang nicht um die breite Palette von Sanktionen, sondern in erster Linie um umfassende Wirtschaftssanktionen, die von einem oder mehreren Staaten verhängt werden und Wirtschaft und Handel der Zielländer empfindlich einschränken. Da sie nicht vom UN-Sicherheitsrat (UNSR) autorisiert sind, der allein anerkannter Maßen zu Strafmaßnahmen legitimiert ist, werden sie in der UNO korrekter als „unilaterale Zwangsmaßnahmen“ bezeichnet. Aktuell haben die USA teils allein, teils gemeinsam mit der EU gegen rund 40 Länder solche Maßnahmen ergriffen, bezogen auf die Bevölkerungszahl richten sie sich faktisch gegen ein Drittel der Menschheit. Besonders umfassend sind die Blockaden gegen Nordkorea, Cuba, Iran und Syrien. Sie sind auch die langjährigsten.  

Nordkorea

Gegen die Demokratischen Volksrepublik Korea laufen sie seit dem Beginn des Koreakriegs 1950. Während die Waffen seit 70 Jahren schweigen, wurde der Wirtschaftskrieg in wechselnder Intensität fortgeführt ‒ Entspannungsphasen folgten stets neue Verschärfungen. Ab 2006, nach dem ersten Atomwaffentest Nordkoreas kamen noch Sanktionen des UN-Sicherheitsrates hinzu. Sie wurden mit dem Fortschreiten seines Aufrüstungsprogramms ebenfalls immer weiter verschärft und richten sich auch gegen die Entwicklung ballistischer Raketen allgemein. An sich ist ein Eindämmen von Atomwaffen natürlich zu begrüßen, völkerrechtlich ist das Vorgehen gegen die Volksrepublik jedoch mehr als fragwürdig. Da Nordkoreas 2003 den Atomwaffensperrvertrag kündigte und Pjöngjang kein anderes Land angegriffen hat, liegt kein Völkerrechtsverstoß vor, der das Vorgehen eindeutig legitimieren würde. Letztlich haben sich die fünf größten Atommächte, die gleichzeitig ständige Mitglieder im Sicherheitsrat sind, darauf verständigt, ein drittes Land an der Entwicklung eigener Atomwaffen und Raketen zu hindern, während sie selbst bisher keinerlei Anstalten machen, ihrer geltenden Verpflichtung zur Abrüstung aus dem Atomwaffensperrvertrag nachzukommen. Doch Erfolg hatten die geballten Wirtschaftsblockaden bekanntlich auch in diesem Fall nicht.  

Kuba

Kuba ist seit 1960 mit strengen Handels- und Finanzblockaden konfrontiert, als direkte Fortsetzung der militärischen und geheimdienstlichen Operationen, die Washington ab Ende 1959, nach dem Sturz des Diktators Fulgencio Batista, gegen die revolutionäre Regierung eingeleitet hatte und die in der Invasion in der Schweinebucht gipfelten. Da Kuba bis dahin fast vollständig von den USA abhängig waren, wirkte die Blockade besonders brutal. Das Ziel war, wie auch vom stellvertretenden US-Außenministers Lester Mallory im April 1960 offen verkündet, „das Wirtschaftsleben Kubas zu schwächen […] um Hunger, Verzweiflung und den Sturz der Regierung herbeizuführen“.[2] Auch wenn die USA einsehen mussten, dass der Rückhalt der Bevölkerung für die Regierung und die revolutionären Errungenschaften dafür zu groß ist, hielten sie daran fest, um die wirtschaftliche Entwicklung des Landes so gut es geht zu bremsen ‒ um zu verhindern, dass die Insel ein zu leuchtendes Beispiel für andere unterjochte Länder wird.

Iran und Syrien seit dem Sturz des Schahs

Gegen den Iran haben die USA ab 1979, nach dem Sturz ihres wichtigsten Verbündeten in der Region, Schah Reza Pahlavi Wirtschafts-, Handels- und Finanzrestriktionen verhängt und stetig erweitert. Seit demselben turbulenten Jahr, in dem dem US-Imperialismus mit dem persischen Schah-Regime der wichtigste Stützpfeiler im Nahen Osten weggebrochen war, ist auch Syrien mit US-amerikanischen Zwangsmaßnahmen konfrontiert. Washington setze das Land, wegen seiner Unterstützung palästinensischer und anderer antiimperialistischen Organisationen auf seine Liste „staatlicher Terrorismusförderer“.  

Tödliche Folgen

Auch wenn Nordkorea, Cuba und Iran die Lage verhältnismäßig gut im Griff haben, setzen die Blockaden diesen Ländern erheblich zu und sorgen immer wieder für ernste Versorgungsengpässe auch bei Lebensmitteln und bei der Gesundheitsversorgung. Spätestens wenn dadurch Medikamente und medizinische Geräte fehlen, werden sie auch in diesen Ländern tödlich. Die Embargomaßnahmen der USA und der EU gegen Venezuela, dem sie aufgrund der internen Konflikte stärker zusetzen, kosteten nach einer Studie von Mark Weisbrot u. Jeffrey Sachs für das Washingtoner Centre for Economic and Policy Research (CEPR) bereits zwischen 2017 und 2018 40.000 Menschenleben. [3]   Und natürlich verursachen sie seit Jahrzehnten enorme wirtschaftliche Schäden, hemmen die wirtschaftliche Entwicklung und die Steigerung des Lebensstandards. Die kubanische Regierung schätzt die Gesamtkosten des Embargos nach 60 Jahren auf über 144 Milliarden US-Dollar. [4] Besonders verheerend wirken sich die westlichen Zwangsmaßnahmen aktuell aber in Syrien und Afghanistan aus. [5]

Syrien ‒ der „stille Tod“

Schon im Mai 2019 berichtete der damalige UN-Sonderberichterstatter, Idriss Jazairy, dass die Auswirkungen der Wirtschaftsblockaden der USA und der EU auf die Bevölkerung in den vergangenen Jahren verheerender wirkten als die des Krieges. Ihre Opfer würden nun nur „einen stillen Tod“ sterben.[6] Seine Nachfolgerin, Alena Douhan hat nach ihre Syrienreise im November letzten Jahres erneut eindringlich die Aufhebung gefordert. Sie hätten eine vernichtende Wirkung auf die syrische Zivilbevölkerung und verhinderten nach elf Jahren Krieg den Wiederaufbau des Landes und damit auch die Rückkehr von Millionen Flüchtlingen. [7]

Afghanistan ‒ Fortsetzung des Krieges

Noch dramatischer ist die Situation in Afghanistan. Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 richten sich die gegen die Islamisten verhängten Zwangsmaßnahmen gegen die komplette Regierung und Verwaltung und damit faktisch gegen das ganze Land. Sie schleuderten die von 40 Jahren Krieg gebeutelte Bevölkerung nun in die völlige Katastrophe. Drei Viertel der öffentlichen Ausgaben im desolaten Land waren bis zum Abzug der Besatzungsmächte mit ausländischen Geldern finanziert worden. Diese Zahlungen versiegten vor zwei Jahren über Nacht.  
Die dadurch entstandene katastrophale Versorgungslage wird noch dadurch massiv verschärft, dass die westlichen Staaten auch noch die Reserven der afghanischen Zentralbank beschlagnahmt haben, insges. über 9 Milliarden US-Dollar, die nun für die Bezahlung von Importen fehlen.[8] Indem Afghanistan zudem vom globalen Finanzsystem abgeschnitten wurde, haben auch Hilfsorganisationen große Probleme ihre Projekte weiter zu betreiben.  

Dabei sind 24 der 40 Millionen Afghaninnen und Afghanen völlig auf humanitäre Hilfe angewiesen und 8 Millionen unmittelbar mit einer Hungersnot konfrontiert. [9] Während die Hilfsgelder für Afghanistan drastisch zurückgingen, stiegen die Preise für Hilfsgüter infolge des Wirtschaftskrieges gegen Russland dramatisch. „Ich habe noch nie eine Krise erlebt, die so schnell und in einem solchen Ausmaß eskaliert ist, wie die in Afghanistan“, berichtete im Februar das Welternährungsprogramm (WFP) der UNO [10] Ihr Chef beschrieb die Lage als „Hölle auf Erden“. Der Brüsseler Think-Tank International Crisis Group befürchtet, „Hunger und Elend“ könnten nach dem Abzug der NATO-Truppen „mehr Afghanen töten als alle Bomben und Kugeln der letzten zwei Jahrzehnte“.  

Letztlich kann die umfassende Notlage nur mit einer Wiederbelebung der Wirtschaft durch Aufhebung der Restriktionen überwunden werden. Humanitäre Hilfe sei zwar unerlässlich, heißt es in einem Appell von über 50 hochrangigen UN-Diplomaten und Menschenrechtsexperten an die Staatschefs der führenden NATO-Staaten, sie sei aber keine Alternative zu einer funktionierenden Wirtschaft.[11]  

Hier zeigt sich besonders deutlich der Irrwitz der westlichen Sanktionspolitik, die im Fall von Afghanistan ja auch von vielen linken und feministischen Gruppen oder Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International unterstützt wird. Zweifelsohne verstößt die Politik der Taliban eklatant gegen Menschrechte. Aber offensichtlich sind Handels- und Finanzblockaden nicht geeignet, eine Änderung zu erzwingen ‒ im Gegenteil führt das konfrontative Vorgehen i.d.R., wie Studien zeigen, zu einer Verhärtung der Haltung der angegriffenen Regierung und zu einem Verlust an Einflussmöglichkeiten von außen. Conrad Schetter, Direktor des „Bonn International Centre for Conflict Studies“ (BICC) weist daraufhin, dass es innerhalb der Taliban durchaus heftige Konflikte um die zukünftige politische Verfasstheit des Landes gibt, zwischen jenen mit pragmatischen Ansätzen und den islamischen Fundamentalisten.[12]
Doch statt durch direkte Gespräche, unter Anerkennung der faktischen Machtverhältnisse, die Pragmatiker zu unterstützen, stärkt der Westen durch seine strikte Blockadepolitik auch hier die Hardliner. Gleichzeitig sind solche Blockaden selbst massive Menschenrechtsverletzungen, die Menschenleben kosten und von vielen Kritikern zu Recht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeprangert werden. Zudem sind sie im Falle Afghanistan offensichtlich in erster Linie die Fortsetzung des verlorenen Krieges.  

Auseinandersetzung in UNO und Menschenrechtsrat

Schon allein wegen ihrer teils verheerenden humanitären Auswirkungen stehen Wirtschafsblockaden generell international unter starkem Beschuss, insbesondere auch in der UNO und im UN-Menschenrechtsrat. Nachdem bisher wenig von den Auseinandersetzungen dort in die westliche Öffentlichkeit drang. erhielt dieses Jahr eine Resolution des Menschenrechtsrats breitere Aufmerksamkeit, die sich gegen eigenmächtige Zwangsmaßnahmen richtet, da sie gegen Völkerrecht, gegen Menschenrechte und das Recht auf Entwicklung verstoßen.[13]

Sie ist jedoch keineswegs ein Novum. Seit der Gründung des Rates 2007 wird von der Bewegung der Blockfreien Staaten jedes Jahr eine solche Resolution gegen „die negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen auf die Wahrung der Menschenrechte“ eingebracht und mit wachsender Mehrheit verabschiedet.
Wie die vorhergehenden verweist auch die neue Resolution darauf, dass nach den internationalen Pakten über „bürgerliche und politische Rechte“ und „wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ ein Volk in keinem Fall seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden darf. Sie wiederholt die tiefe Besorgnis der Mehrheit im Menschenrechtsrat über die „schädlichen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen auf das Recht auf Leben, das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit und medizinischer Versorgung“ wie auch auf das Recht auf Freiheit von Hunger, auf einen angemessenen Lebensstandard und das Recht auf Entwicklung.“ Schließlich kritisiert sie scharf, dass sie auch die humanitäre Hilfe in Ländern, die von Natur- und anderen Katastrophen betroffen sind, behindern, indem sie u.a. Finanztransfers an die dort tätigen humanitären Organisationen blockieren  

Dieses Jahr stimmten 33 Mitgliedsstaaten für deren Ächtung, darunter auch Argentinien, Indien, Marokko, Pakistan und Südafrika. Die 13 Gegenstimmen kamen von den USA, den im Rat vertretenen EU-Staaten, Georgien und der Ukraine.

Die Mehrheitsverhältnisse in der UN-Generalversammlung (UNGV), von der seit langem regelmäßig zwei Resolutionen gegen eigenmächtige wirtschaftliche Restriktionen verabschiedet werden, sind ähnlich deutlich. Die erste wurde bereits im Dezember 1983 verabschiedet, gegen „wirtschaftliche Maßnahmen als Mittel des politischen und wirtschaftlichen Zwangs gegen Entwicklungsländer“. Sie verurteilte mit Verweis u.a. auf die UNO-Charta, die „Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten“ und das „Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen“ (GATT) die Praxis industriell hochentwickelter Länder, ihre dominierende Stellung in der Weltwirtschaft auszunutzen, um Entwicklungsländern ihren Willen aufzuzwingen und rief sie auf, Handelsrestriktionen, Blockaden, Embargos und ähnliche Zwangsmaßnahmen zu unterlassen.[14] In Folgeresolutionen, die seit 1987 alle zwei Jahre von der „Gruppe der 77“ (G77) und China eingebracht werden, wurde zudem die internationale Gemeinschaft aufgefordert, dringend wirksame Maßnahmen gegen diese Praxis zu ergreifen.  

Seit 1996 wird jedes Jahr eine weitere Resolution mit dem Titel „Menschenrechte und einseitige Zwangsmaßnahmen“ verabschiedet, die von der Bewegung der Blockfreien Staaten eingebracht wird und sich stärker auf die humanitären Folgen der westlichen Sanktionspraxis konzentrieren.

Gegen Erpressung ‒ für souveräne Gleichheit

Beide Arten von Resolutionen stützen sich stark auf den Grundsatz der Nichteinmischung und weisen dabei u.a. auf zwei frühe Resolutionen der UNGV hin, die als zentrale Bestandteile des Selbstverständnisses der UNO und auch des internationalen Rechts angesehen werden. Das sind die Resolution 2526 (XXV) über „freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten“ von 1970, sowie die „Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten“, die von der UNGV 1974 als Resolution 3281 (XXIX) verabschiedet wurde. Dieser zufolge darf kein Staat wirtschaftliche, politische oder sonstige Maßnahmen anwenden, um einen anderen Staat zur Unterordnung zu nötigen oder sich sonstige Vorteile irgendwelcher Art zu verschaffen.  

Die Resolutionen gegen eigenmächtige Zwangsmaßnahmen wurden in der Folge noch präzisiert und ausgeweitet.[15] Die letzte, am 15. Dezember 2022 von der UNGV verabschiedete Resolution 77/214 führt in ihrer auf mittlerweile 34 Punkte angewachsenen Liste eine breite Palette von Rechtsverstößen und schädlicher Auswirkungen auf. Betont wurden stets die negativen Folgen für Kinder und die medizinische Versorgung. Nun werden sie auch als „größtes Hindernis“ für die Verwirklichung des „Rechts auf Entwicklung und der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ kritisiert. Die Resolution drängt die UN-Mitglieder zu wirksamen Gegenmaßnahmen und „bekräftigt das Engagement für die internationale Zusammenarbeit und den Multilateralismus“. Zudem verurteilt sie auch: „die Aufnahme von Mitgliedstaaten in einseitige Listen unter falschen Vorwänden […] einschließlich falscher Behauptungen über die Unterstützung des Terrorismus“, ein von den USA häufig gebrauchter Vorwand.

Sie wurde mit 123 Ja- gegen 53 Nein-Stimmen angenommen. Dem Nein der NATO- und EU-Staaten und ihren engen Verbündeten Australien, Israel, Japan, Neuseeland, Schweiz und Südkorea schlossen sich aus dem Süden nur so bedeutende Staaten wie Marshall Inseln, Mikronesien oder Palau an.[16]

Resolutionen der Generalversammlung und des Menschenrechtsrat sind bekanntlich völkerrechtlich nicht bindend, im Unterschied zu denen des Sicherheitsrats. Sie haben aber durch ihren starken appellatorischen Charakter durchaus erhebliches Gewicht und können zur Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts beitragen. Nach Ansicht einer Reihe von Experten, wie dem ehemaligen UN-Sonderberichterstatter Idriss Jazairy, könnte die Vielzahl der seit vielen Jahren verabschiedeten Resolutionen der UN-Vollversammlung ein Hinweis dafür sein, dass sich mittlerweile bereits ein „neues Völkergewohnheitsrecht oder eine zwingende Norm“ entwickelt habe, die unilaterale Zwangsmaßnahmen verbieten.[17]

Westliche Rechtfertigungen

Dem wird im Westen natürlich vehement widersprochen. Westliche Völkerrechtler gehen sogar soweit, zu behaupten, dass im Gegenteil, die von den Kritikern ins Feld geführte Normen, wie der Grundsatz der Nichteinmischung, ihrerseits durch die Praxis der Staaten schon so erheblich ausgehöhlt worden seien, dass sie kaum noch als zwingend angesehen werden könnten. Und da Wirtschaftssanktionen ja von den USA und ihren Verbünden sehr häufig angewandt würden, könne von einer gewohnheitsrechtlichen Norm gegen sie faktisch keine Rede sein.[18] Das ist natürlich unhaltbar. Dies würde ja bedeuten, das dominierende Mächte völkerrechtliche Normen allein dadurch unwirksam machen könnten, dass sie sie häufig straflos brechen ‒ konträr zum allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass aus einem Unrecht kein Recht erwächst.

Wie zu erwarten erkennen die USA all diese Resolutionen, so beindruckend die Serien sind, grundsätzlich nicht an. Sie erklären sie schlicht für irrelevant, da sie das souveräne Recht der Staaten in Frage stellen würde, ihre Wirtschaftsbeziehungen frei zu gestalten und legitime nationale Interessen zu schützen“ insbes. auch mit Maßnahmen, „die als Reaktion auf nationale Sicherheitsbedenken ergriffen“ würden. Sie würden zudem die Fähigkeit der internationalen Gemeinschaft untergraben, auf Handlungen zu reagieren, die gegen internationale Normen verstoßen. „Unilaterale Sanktionen“ seien ein „legitimes Mittel“, um außenpolitische, sicherheitspolitische und andere nationale und internationale Ziele zu erreichen“.  Die EU-Staaten teilen weitgehend diesen Standpunkt. Auch sie beharren darauf, dass von einem völkerrechtswidrigen, unter das Interventionsverbot fallenden Zwang überhaupt keine Rede sein könne, da es schließlich jedem Land freistehe, zu entscheiden, mit wem es wie viel Handel treiben möchte.  

Diese plumpe Argumentation halten jedoch auch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages für nicht haltbar. Im Einklang mit anderen renommierten Völkerrechtler stellen sie fest, dass unilaterale Zwangsmaßnahmen als „extreme Formen der Druckausübung“ gelten und unter das Interventionsverbot fallen, sobald sie „die Schwelle der Erheblichkeit überschreiten, indem sie vitale Staatsinteressen berühren und den sanktionierten Staat in der Ausübung seiner Souveränität spürbar behindern.“ [19]

Angesichts des enormen Erpressungspotential über das die USA und die alten Kolonialmächte durch ihre große wirtschaftliche Macht verfügen, sind ihre Embargomaßnahmen, zweifelsohne äußerst massiver Zwang und zudem auch, worauf die Staaten des Südens ebenfalls in den UN-Resolutionen hinweisen, ein eklatanter Verstoß gegen das grundlegende Prinzip der souveränen Gleichheit von Staaten.

Unabhängig davon werden Wirtschaftsblockaden, wie bereits erwähnt, vor allem wegen ihrer humanitären Auswirkungen abgelehnt. Sobald sie die Lebensverhältnisse deutlich verschlechtern oder zumindest in Bezug auf die vorgegebenen Ziele unverhältnismäßig sind, verstoßen sie eindeutig gegen eine Vielzahl von Menschenrechten und Normen, wie die in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ von 1948 fixierten Rechte. Zu diesen zählen das Recht auf Leben, auf angemessene Ernährung und Gesundheitsversorgung sowie auf soziale Sicherheit.  

Die USA und die EU bestreiten allerdings stets vehement, dass ihre Embargomaßnahmen für die humanitären Notlagen verantwortlich sind. Zum einen wären humanitäre Güter immer ausgenommen und zum anderen läge es ja allein in der Verantwortung der jeweiligen Regierungen sie zu beenden. Sie müssten doch nur ihren Forderungen nachkommen. Tatsächlich ist jedoch längst erwiesen, dass humanitäre Ausnahmen, sobald Handels- und Finanzblockaden eine signifikante Wirkung entfalten, die Versorgungsengpässe und Notlagen nicht verhindern. Besonders drastisch hat dies das Irakembargo gezeigt, dem ungeachtet der Ausnahmen von Nahrungsmittel und Medizin über eine Million Menschen zu Opfer fielen. Und mit dem zynischen Argument, die Regierungen müssten nur der Erpressung nachgeben, belegen die westlichen Staaten, dass sie mit ihrer „wertegeleiteten“ Politik ganz bewusst die betroffenen Menschen als Geisel dafür nehmen.  

UN-Sonderberichterstatter über die negativen Folgen

Um die Ausreden der blockierenden Staaten zu entlarven und den Auswüchsen der westlichen Wirtschaftsblocken mehr entgegensetzen zu können, die ungeachtet der diesbezüglichen Resolutionen zunahmen, hat der UN-Menschenrechtsrat 2014 das Amt eines „Sonderberichterstatters über negative Auswirkungen unilateraler Zwangsmaßnahmen auf die Wahrnehmung von Menschenrechten“ geschaffen.

Die Amtsinhaber führen seither regelmäßig sorgfältige Recherchen in den betroffenen Ländern durch und liefern ausführliche, gut belegte Berichte über die Auswirkungen, wie auch fundierte völkerrechtliche Bewertungen. Erster Berichterstatter wurde der schon erwähnte algerische Menschenrechtler Idriss Jazairy, der zuvor leitende Positionen in UN-Organisationen innehatte und als Vertreter Algeriens zu den Gründern des Menschenrechtsrates zählt.[20]

In seinem Bericht vom Mai 2019 konstatiert auch er, dass Wirtschaftssanktionen zu „von Menschen gemachten humanitären Katastrophen ungeahnten Ausmaßes“ führen können. Die Erzwingung von „Regimewechsel durch wirtschaftliche Maßnahmen, die zur Verweigerung grundlegender Menschenrechte und möglicherweise sogar zum Hungertod führen können“, seien „noch nie eine akzeptierte Praxis in den internationalen Beziehungen“ gewesen, betonte er vor allem mit Blick auf Venezuela, Iran und Kuba. „Ernsthafte politische Differenzen zwischen Regierungen dürfen niemals dadurch gelöst werden, dass wirtschaftliche und humanitäre Katastrophen herbeigeführt werden, die die Menschen zu Bauern und Geiseln machen“.[21]  

Die aktuelle Sonderberichterstatterin Alena Douhan geht davon aus, „dass etwa 98 Prozent der heute verhängten einseitigen Sanktionen gegen die internationalen Verpflichtungen der Staaten verstoßen.“[22] Obwohl sie „meist im Namen der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit verhängt“ würden, würden sie, so betonte sie in einem Interview mit der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua, „genau diese Grundsätze, Werte und Normen untergraben“. Sie hätten „eindeutig festgestellt“, dass die Anwendung einseitiger Zwangsmaßnahmen „das Recht auf Entwicklung beeinträchtigt und die Erreichung jedes einzelnen nachhaltigen Entwicklungsziels verhindert.“ Unter all ihren negativen Auswirkungen, so Douhan weiter, werde besonders das Recht auf Gesundheit beeinträchtigt.
Insbesondere die von den USA auf Grundlage willkürlicher Notstandserklärungen verhängten Maßnahmen, so die Völkerrechtsexpertin schon in einer früheren Erklärung, „verletzen eine breite Palette von Menschenrechten in China, Kuba, Haiti, Iran, Nicaragua, der Russischen Föderation, Syrien, Venezuela, Simbabwe und anderen Ländern auf der ganzen Welt.[23]  

Doch so sehr sich die Gegner eigenmächtiger Zwangsmaßnahmen auch auf internationales Recht und Menschenrechte berufenen können, zählt auch hier das Recht des Stärkeren, sodass der Westen seine Praxis bisher einfach fortsetzen konnte ‒ insbesondere da die fundierte internationale Kritik daran hier nicht an die Öffentlichkeit dringt. Anderseits zeigen die Debatten und Resolutionen der UN-Vollversammlung und des Menschenrechtsrats deutlich, wie sehr sich der Westen immer mehr isoliert. Dazu tragen auch die detaillierten Berichte der Sonderberichterstatter bei, die trotz ihrer sachlichen, nüchternen Art, flammende Anklagen gegen die Unmenschlichkeit und das Verbrecherische der Blockaden sind. Im Rest der Welt werden sie durchaus zu Kenntnis genommen.  

Blockaden brechen

Der Wiederstand gegen die Sanktionspolitik geht aber längst über verbale Verurteilungen hinaus. Offensichtlich ist sich die Mehrheit der Länder nun zunehmend einig, sich ungeachtet der Gegensätze, Rivalitäten und teils sogar Feindseligkeiten untereinander, zusammenzutun, sich gemeinsam aktiv der westlichen, seit Jahrhunderten währenden Dominanz entgegenzustellen und durch eine multipolare Weltordnung zu ersetzen. Und forciert durch den Wirtschaftskrieg gegen Russland bleibt es nicht bei verbalen Verurteilungen und der Weigerung sich zu beteiligen. Viele Länder arbeiten nun aktiv und gemeinsam an Maßnahmen, mit denen Blockaden durchlöchert oder gar ausgehebelt werden können.

Westen beim Russland-Boykott isoliert

Besonders deutlich zeigt sich dies gegenüber den westlichen Blockadebemühungen gegen Russland. Bekanntlich weigern sich nicht nur fast alle Staaten außerhalb Europas und Nordamerikas sich am Russland-Boykott zu beteiligen, sondern sind auch dabei, aktiv Wege an den Blockaden vorbei zu schaffen. Sie führen daher ihre Zusammenarbeit mit Russland nicht nur fort, sondern intensivieren sie sogar noch.  

Zwei Drittel der Weltbevölkerung leben in Länder die neutral oder russlandfreundlich sind 

Zwei Drittel der Weltbevölkerung leben in Ländern, die neutral oder russlandfreundlich sind 
Quelle: Russia can count on support from many developing countries, Economist Intelligence Unit, 30.3.2022

Eine deutliche Mehrheit aller Staaten stimmte zwar in der UN-Vollversammlungen für die Resolutionen gegen den russischen Einmarsch. Deren Forderungen konzentrierten sich aber auf die Beilegung des Konflikts zwischen Russland, der Ukraine und den NATO-Staaten „durch politischen Dialog, Verhandlungen, Vermittlung und andere friedliche Mittel“ ‒ und sind daher eine klare Absage der Bestrebungen der NATO, Russland durch eine massive Kriegsbeteiligung zum Rückzug zu zwingen. Viele, teils gewichtige Länder, wie Indien und Südafrika weigerten sich sogar, den Resolutionen zuzustimmen, da sie ihnen zu einseitig sind und den Hintergrund des Krieges ausblenden. Auch wenn sie das russische Vorgehen nicht billigen, so verstehen sie sehr gut, dass Moskau durch die Ausweitung der NATO bis an die russischen Grenzen ‒ entgegen verbindlicher Zusagen ‒ und durch die Weigerung der USA und ihrer Verbündeten ernsthafte Verhandlungen über russische Sicherheitsinteressen aufzunehmen, sich stark bedroht und in die Enge getrieben fühlen musste. Denn außerhalb des Westens hält niemand die NATO für ein defensives Bündnis, im Gegenteil. Zu frisch sind die Erinnerungen an die Kriege der USA und ihren Verbündeten, insbesondere gegen den Irak und Libyen. Der Lynchmord an Muammar al Gaddafi wird in Afrika nicht vergessen. Er genoss aufgrund seines Engagements für mehr afrikanische Eigenständigkeit viel Sympathien.[24]
[Mit libyschen Geldern hatte er die Gründung dreier unabhängiger afrikanischer Finanzinstitute vorangetrieben, mit der die Afrikanischen Union begonnen hatte, um die Afrikaner aus den Zwängen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds zu befreien: die Afrikanische Investmentbank, der Afrikanische Währungsfonds und die Afrikanische Zentralbank.[25] Die Zerstörung des libyschen Staates brachte ihren Aufbau zum Stocken.]  

Russland hätte nicht in die Ukraine einmarschieren dürfen, aber nicht nur Putin sei für den Krieg verantwortlich, fasste der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva die im Süden weitverbreitete Sicht auf den Krieg in der Ukraine zusammen. Die USA und die Europäische Union würden ebenfalls Schuld tragen, insbesondere weil sie Moskau die Zusicherung verweigerten, die Ukraine nicht in die Nato aufzunehmen. Wie die „Kubakrise“ von 1962 gezeigt habe, würden die USA auch keinen Militärpakt Russlands mit einem Nachbarstaat akzeptieren. [26]  

Die Mehrheit der Welt weigert sich daher konsequent, auf der Seite der NATO Partei gegen Russland zu ergreifen und viele Regierungen engagieren sich stattdessen für Verhandlungen zur Beendigung der Kämpfe. Konsequenter Weise strich z.B. die Gemeinschaft Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten (CELAC) alle Absätze zur Unterstützung der Ukraine aus einem EU-Entwurf für eine Abschlusserklärung zum Gipfel mit den EU-Ländern im Juli. Stattdessen fügten sie den Vorschlag ein, sich gemeinsam für eine „ernsthafte und konstruktive diplomatische Lösung des gegenwärtigen Konflikts in Europa mit friedlichen Mitteln“ einzusetzen, „die die Souveränität und Sicherheit von uns allen sowie den regionalen und internationalen Frieden, die Stabilität und die Sicherheit gewährleistet.“ [27]   Folgerichtig beteiligen sich auch nur fünf Staaten außerhalb der NATO und der EU ‒ Australien, Japan, Neuseeland, Schweiz und Südkorea ‒ am Wirtschaftskrieg gegen Russland,[28] während der überwiegende Teil der anderen Länder die eigenmächtigen, umfangreichen Handels- und Finanzblockaden vehement ablehnt, durch die auch die eigenen Länder massiv in Mitleidenschaft gezogen werden.  

Nicht nur China kauft russisches Öl und Gas in Rekordmengen, sondern auch zahlreiche andere Länder ‒ natürlich begünstigt durch Rabatte von bis zu 30 Prozent, die Moskau gewährt. Auch Indien hat z B. seine Ölimporte aus Russland vervielfacht. Russland konnte im März 2023 so viel Erdöl ins Ausland exportieren wie seit drei Jahren nicht mehr.[29] Erdöl und Derivate, wie Diesel, werden häufig zum Weiterkauf in andere Ländern einfach umdeklariert. Etliche asiatische Länder, darunter auch die Türkei machen damit blendende Geschäfte. Selbst Saudi Arabien hat den Import von Heizöl und Diesel für den Eigenverbrauch verzehnfacht und exportiert die so freigewordenen Kraftstoffe.[30] Das gleiche geschieht auch mit russischem Erdgas. Förderländer, wie z.B. die Vereinigten arab. Emiraten verticken ihr eigenes Gas zu den exorbitanten Preisen an den Börsen und importieren für den Hausgebrauch günstig das russische.  

Umgekehrt floriert auch der russische Import, indem an sich unter Embargo stehende Waren über Nachbarländer importiert werden, wodurch die Liefermengen dorthin in dem Maße zunahmen, wie sie nach Russland sanken.[31] Zudem werden westliche Güter, von elektrischen und mechanischen Bauteilen bis zu PKWs durch asiatische ersetzt. Das schon zuvor beträchtliche monatliche russische Handelsvolumen mit China legte nach Berechnungen der New York Times bis Oktober 2022 bereits um 64 Prozent zu, das mit Brasilen verdoppelte sich und das mit Indien stieg auf mehr als das Vierfache.[32] Insgesamt vollzieht sich so seit letztem Jahr im Rekordtempo ein gravierender Umbruch im Welthandel.

Insgesamt gelang es Russland unter diesen Umständen die Wirkung der verschärften Blockaden recht gut abzufedern. Das Land, das ja seit 2014 mit Embargomaßnahmen konfrontiert ist, hat sich offenbar bereits gut darauf eingestellt, beispielsweise Währungs- und Finanzreserven angelegt und die Verschuldung zurückgefahren. Der Zwang zur Importsubstitution gab der Eigenproduktion Auftrieb und hat seine Autarkie stärkt. Obwohl die Exportmengen sanken, erzielte Russland aufgrund der massiv gestiegenen Preise für Öl und Gas 2022 sogar höhere Einnahmen als zuvor. [33] Mittlerweile sind die Preise zwar wieder gesunken, der Absatz dafür gestiegen. So kann sich Moskau erlauben, seine Ölexporte im August um 500.000 Barrel pro Tag (bpd) zu reduzieren, in Absprache mit Riad, das die Kürzung der saudischen Exporte um eine Million bpd über das in der OPEC vereinbarte Maß hinaus ankündigte und dabei auch die enge Kooperation mit Moskau betonte.[34]  

Dass die Erwartungen der USA und der EU in die Wirkung ihrer Blockaden stark übertrieben waren, müssen auch westliche Thinktanks einräumen. Der russische Finanzsektor sei in den Wochen nach der Invasion ins Wanken geraten, habe sich aber inzwischen stabilisiert, stellte beispielswiese das Washingtoner Center for Strategic and International Studies (CSIS) in ihrer Analyse vom Februar fest. Russlands Importe haben demnach bis Ende 2022 durch Verlagerung von Europa weg nach China, in die Türkei und diverse andere Länder fast wieder das Vorkriegsniveau erreicht. Das Haushaltsdefizit sei 2022 gering geblieben, nur die Inflation sei gestiegen und die Reallöhne gesunken.[35] Mittlerweile steigen die Löhne bereits wieder rascher als die Inflation und der private Konsum hat sich nach einem kurzen Einbruch im Frühjahr 2022 längst wieder erholt.[36]
Auch dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge entwickelt sich die russische Wirtschaft wesentlich besser, als vom Westen erhofft und hat seine Prognose für Russland im April nochmal erhöht. Nach einem Rückgang um 2,1 Prozent im letzten Jahr erwartet er für dieses ein Wachstum von 0,7 Prozent und 2,1 Prozent im nächsten Jahr. Damit sind Russlands Aussichten deutlich besser als die von Deutschland oder Großbritannien, für die der IWF für dieses Jahr einen wirtschaftlichen Rückgang um 0,1 bzw. 0,6 Prozent prognostiziert.[37]  

Selbst wenn der Wirtschaftskrieg Russland längerfristig doch noch stärker zusetzen wird, so ist die von den NATO-Gegnern angestrebte Isolation krachend gescheitert. Dies zeigt sich auch durch die vielen Treffen russischer Regierungsvertreter mit den Regierungen lateinamerikanischer, afrikanischer und asiatischer Länder und die vielfältigen Abkommen und Kooperationen, die vereinbart wurden. Die Verschiebung der Gewichte in der Welt wird nicht zuletzt auch im Bestreben einer Vielzahl von Staaten deutlich, sich der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit und der Vereinigung der BRICS-Staaten anzuschließen ‒ beides Zusammenschlüsse in denen neben China Russland führend beteiligt ist.

Irans wachsende Kooperationen mit dem Osten

Der Iran profitiert ebenfalls von der wachsenden Bereitschaft im Süden sich der westlichen Sanktionspolitik souveräner zu widersetzen.

Selbstverständlich baut Teheran seit langem die Beziehungen zu den ebenfalls mit westlicher Sanktionspolitik konfrontierten Ländern aus. So vereinbarte Präsident Ebrahim Raisi kürzlich auf einer Reise nach Venezuela, Kuba und Nicaragua Schritte zur Ausweitung des Handels zwischen ihnen. Weit größere Bedeutung hat natürlich die Kooperation mit Moskau, die immer enger wird. So wollen Iran und die von Russland angeführte Eurasische Wirtschaftsunion (EAEU) Ende des Jahres ihre bereits durch Zollerleichterungen intensivierten Wirtschaftsbeziehungen durch ein Freihandelsabkommen vertiefen.

Doch vor allem durch den Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit asiatischen Staaten konnte der Iran seine frühere Abhängigkeit vom Westen effektiv abbauen. China wurde sein mit Abstand größter Handelspartner und in Pekings „Belt and Road Initiative“ spielt der Iran schon aufgrund seine Lage eine zentrale Rolle. Beide Länder haben ein langfristiges Kooperationsabkommen geschlossen, das chinesische Investitionen im Wert von 400 Milliarden Dollar vorsieht – gegen Erdöl-Lieferungen zu Vorzugspreisen.

Neben China hat auch Indien begonnen, den Handel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der islamischen Republik wieder auszuweiten. Es steigerte nicht nur seine Öl-Importe wieder auf signifikante Mengen, sondern auch den Handel mit anderen Produkten.[38] Abgerechnet wird nun dabei nicht mehr in Dollar, sondern in Rupien. Südkorea will ebenfalls den Ölimport aus dem Iran wieder aufnehmen.

Da offenbar auch genügend andere Staaten vermehrt iranisches Öl ‒ oft verdeckt ‒ einkaufen, haben sich die iranischen Rohölexporte seit dem letzten Herbst verdoppelt und erreichten im Mai 1,6 Millionen Barrel pro Tag (bpd). Zum Vergleich: nachdem Trump 2018 das Wiener Abkommen gekündigt hatte, waren sie von 2,3 Mio. auf unter 700.000 bpd gefallen. Gleichzeitig legte u.a. auch der Export von Stahl und Stahlerzeugnisse stark zu. Der Wert des Nicht-Öl-Handels des persischen Landes mit den fünf BRICS-Mitgliedern erreichte der staatlichen iranischen Nachrichtenagentur Tasnim zufolge im Finanzjahr 2022-2023 über 38 Mrd. US-Dollar, ein Anstieg von 14 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Auf China entfiel ein Handelsvolumen von 30,3 Mrd. Dollar, auf Indien ca. 5 Mrd. und auf Russland 2,3 Mrd. Dollar.[39]  

Letzten Sommer wurde der „Internationale Nord-Süd-Transportkorridor“ (INSTC) in Betrieb genommen, ein 7.200 km langes Verkehrsnetz aus Schiff, Schiene und Straße für den Gütertransport, das vor allem Indien, Iran und Russland verbindet. Es ist ein gemeinsames Großprojekt der drei Länder, dem sich Aserbaidschan, Armenien, Kasachstan und Weißrussland anschlossen.[40] Gleichzeitig treibt Teheran zusammen mit Moskau den Bau von Eisenbahnstrecken für einen ergänzenden Transportkorridor voran. [41]
Der INSTC ist zudem gekoppelt mit weiteren Verkehrsprojekten, wie dem Transportkorridor zwischen Zentralasien und dem Persischen Golf, das im Ashgabat-Abkommen zwischen Iran, Oman, Turkmenistan, Usbekistan, Kasachstan und Indien vereinbart wurde. Die quer zu den Landkorridoren der „Neuen Seidenstraße“ verlaufenden Transportrouten sollen sich zu einer strategischen Alternative für den internationalen Güterverkehr zwischen dem Süden und dem Norden entwickeln, u.a. auch für den Suezkanal. Iran wird so zu einem zentralen Verkehrsknotenpunkt.

Ein echter Meilenstein ist die Vollmitgliedschaft in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), dem bedeutendsten sicherheits- und wirtschaftspolitischen Bündnis des Ostens, dem mit China und Indien die größten und wichtigsten asiatischen Länder, aber auch Russland und zentralasiatische Nachbarn angehören. Damit vertieft und institutionalisiert die Islamische Republik nicht nur die Kooperation zu diesen Ländern, sondern stärkt auch ihre Position gegenüber dem Westen entscheidend. Die SOZ erkennt einseitige Zwangsmaßnahmen grundsätzlich nicht an und somit auch nicht die 4.540 von den USA und EU gegen den Iran verhängten Embargomaßnahmen. [42] Gleichzeitig birgt die Stärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit im Rahmen der SOZ, die 30 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung repräsentiert, natürlich ein enormes Potential für das einst stark isolierte Land.
Weitere bedeutende Schritte zu einer stärkeren internationalen Kooperation ist die in Aussicht stehende Mitgliedschaft im BRICS-Staatenbund sowie die von China vermittelte Entspannung zwischen Riad und Teheran.  

Der Iran spielt so eine zunehmend gewichtigere Rolle im Umbruch in eine multipolare Welt, während Berlin und die EU vor dem dauerhaften Verlust nennenswerter Geschäfte und politischem Einfluss im Iran stehen. Nachdem mit dem einseitigen Ausstieg der USA aus dem Wiener Abkommen im Mai 2018 alle Maßnahmen wieder in Kraft gesetzt wurden, auch die extraterritorialen „Sekundärsanktionen“, hatten die EU versucht sich diesen mit Hilfe ihrer Zweckgesellschaft INSTEX zu widersetzen und den europäischen Handel mit der Islamischen Republik zu erhalten, scheiterte jedoch aufgrund mangelnder Entschlossenheit und Einigkeit.[43]  

Die Irankennerin Charlotte Wiedemann fasste dies einmal so zusammen: „Wenn Iran seinen regionalen Kontrahenten heute als gefährlich stark erscheint, spiegelt sich darin der Niedergang der USA ebenso, wie die iranische Fähigkeit, sich westlicher Einflussnahme seit 1979 entzogen zu haben.[44]

De-Dollarisierung

Parallel zur Umgehung von Blockademaßnahmen und forciert noch durch den Wirtschaftskrieg gegen Russland schreitet auch die Abkopplung vom Dollar und vom US-dominierten internationalen Finanzsystem zügig voran. Sie sind zentrale Hebel für die extraterritoriale Ausweitung von US-amerikanischen Gesetzen und Verordnungen auf andere Länder. Schon allein der Weg von Transaktionen über US-Banken oder die bloße Verwendung des Dollars bei ihren Geschäften, dienen den USA als Rechtfertigung dafür, Unternehmen anderer Länder zur Unterwerfung unter ihre eigenmächtige Sanktions- bzw. Erpressungspolitik zu zwingen. [45]  

Da der Dollar immer häufiger als Waffe eingesetzt wird, indem Devisenreserven von Gegnern eingefroren und seine Banken vom Zahlungsverkehr ausgeschlossen werden, kann sich natürlich kein Land mehr sicher davor fühlen, ebenfalls in diese Mühlen zu geraten, sobald seine Politik in Widerspruch mit US-Interessen gerät. Angesicht dieses Erpressungspotentials arbeiten folgerichtig die Staaten des globalen Südens nun mit Nachdruck daran, ihre Verwundbarkeit zu verringern – naheliegender Weise oft gemeinsam mit China und Russland. So werden nicht nur zunehmend die westlichen Öl- und Gas-Boykotte unterlaufen, gleichzeitig wird auch ihre Abrechnung auf lokale Währungen umgestellt. Zahlreiche Länder bauen nun die Infrastruktur dafür auf, ihren Handel, zum Schutz vor Restriktionen, zunehmend auch in anderen Währungen als Dollar und Euro abwickeln zu können.  

So hat die Gemeinschaft südostasiatischer Staaten („ASEAN“) auf einer Konferenz Ende März in Indonesien beschlossen, ein „Lokalwährungs-Transaktions-System“ zu schaffen, dass es den zehn ASEAN-Ländern ermöglichen wird, die Handelsgeschäfte untereinander direkt in den eigenen Währungen abzuwickeln, explizit mit dem Ziel, die Dominanz westlicher Währungen zu brechen. Es sei notwendig sich vor „geopolitischen Zerwürfnissen“ abzuschirmen, begründete dies Indonesiens Präsident Joko Widodo. Finanzsanktionen gegen russische Banken und die Beschlagnahme der russischen Währungsreserven hätten gezeigt, dass sich Indonesien für den Fall wappnen müsse, dass solche Sanktionen auch irgendwann die eigenen Banken und Unternehmen treffe, so Widodo. [46]  

China baut den Yuan, bzw. den Renminbi, schon seit längerem Schritt für Schritt zu einer Leitwährung aus.[47] Um die Welt dafür mit genügend Yuan zu versorgen, stellt die chinesische Zentralbank nun ausländischen Zentralbanken sog. Swap-Linien zur Verfügung. Das sind Kredite in Yuan, die durch entsprechende Beträge in der Währung der borgenden Banken besichert werden. Das funktioniert bereits mit über 30 Ländern.[48] Noch macht der Renminbi nur knapp drei Prozent der offiziellen Währungsreserven weltweit aus. Die Tendenz ist aber stark steigend.[49]  

Manche westlichen Ökonomen, wie Gunter Rieck Moncayo von der Konrad-Adenauer-Stiftung, sprechen dem Renminbi eine Eignung als Leitwährung ab, da das dafür notwendige Vertrauen in die chinesische Währungspolitik fehle. Wer wolle bei der Nutzung, so heißt es, vom Wohlwollen der chinesischen Regierung abhängig sein.[50]

Da ihnen die Abhängigkeit vom Wohlwollen Washingtons aus naheliegenden Gründen weit mehr Sorgen macht, wächst die Zahl der Staaten, die den Dollar bei Importen und Exporten soweit wie möglich durch den Yuan ersetzen. Neben den BRICS-Staaten ‒ Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika ‒ zählen mittlerweile u.a. auch Pakistan, Saudi-Arabien, Argentinien, Venezuela, und die Vereinigten Arabischen Emirate dazu. China und Brasilien wickeln ihren bilateralen Handel nur noch in ihren lokalen Währungen ab.[51]
Argentinien wurde im Frühjahr von China eine Währungs-Swap-Linie im Gesamtwert von 130 Milliarden Yuan, ca. 19,2 Milliarden Dollar eingeräumt, wodurch das wirtschaftlich angeschlagene Land seine sonstigen Devisenreserven schonen kann.[52] Auf diese Weise erhielt der IWF zum ersten Mal eine Rückzahlungsrate in chinesischer Währung.[53]
Zudem wird Yuan zunehmend auch von anderen Ländern für Geschäfte untereinander genutzt. Russland lässt sich z.B. von Bangladesch ein Atomkraftwerk und von Pakistan Rohöllieferungen in der chinesischen Währung bezahlen.[54]

Insgesamt kann China mittlerweile schon rund 50 Prozent seines Außenhandels in Renminbi abwickeln. [55] Sein Anteil an der weltweiten Abwicklung von Geschäften hat sich, einer Analyse der Financial Times zufolge, seit dem russischen Einmarsch mehr als verdoppelt. Sein wertmäßiger Anteil am Markt stieg von weniger als 2 Prozent im Februar 2022 auf 4,5 Prozent im Februar dieses Jahres und ist damit nicht mehr weit von dem des Euro entfernt, der einen Anteil von 6 Prozent am Gesamtmarkt hat.[56]

Auch Indien baut nun beschleunigt die eigene Landeswährung Rupie zur internationalen Handelswährung und Alternative zum US-Dollar auf. Wie die US-amerikanische Finanznachrichtenagentur Bloomberg berichtet, soll die Rupie allen Handelspartnern Indiens als Zahlungsmittel angeboten werden, die über zu wenig Dollar-Reserven verfügen oder welche den Dollar aus politischen Gründen nicht benutzen wollen. Mit Bangladesch kam kürzlich das neunzehnte Land hinzu, das den Handel mit Indien in Rupien abwickelt.  

Und in Lateinamerika werden die seit langem gehegten Pläne einer gemeinsamen Regionalwährung wiederbelebt. Vor allem der brasilianische Präsident Lula da Silva drängt seit seiner Wiederwahl darauf, auf diesem Weg die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Kontinents zu erreichen. Anfangs des Jahres kündigte er gemeinsam mit seinem argentinischen Amtskollegen konkrete Bestrebungen für die Einführungen einer gemeinsamen Handelswährung für zwischenstaatliche Geschäfte an. Andere lateinamerikanische Länder seien eingeladen, sich zu beteiligen. [57]

Brasilien macht sich auch gemeinsam mit Russland für eine eigene Währung der BRICS-Staaten stark, die innerhalb des Bündnisses auch ernsthaft diskutiert wird. Westliche Experten fürchten, dass diese ein erhebliches Gewicht bekommen könnte, da jedes Mitglied der BRICS-Gruppe in seiner eigenen Region ein wirtschaftliches Schwergewicht sei. Noch scheint sich aber vor allem Indien gegen ein so enges Zusammengehen zu sperren. Auf dem kommenden BRICS-Gipfel, werde dies noch kein Thema sein, so Vertreter des Gastgebers Südafrika.[58]

Da die BRICS-Staaten untereinander zum großen Teil schon in ihren Währungen handeln, können sie sich sicher schneller auf den Ausbau eines entdollarisierten Handelssystems im Rahmen ihrer Neuen Entwicklungsbank (New Development Bank, NDB) einigen, für die sich die brasilianische Regierung ebenfalls stark macht. Zu diesem sollen außer den BRICS-Mitgliedern auch weitere Länder Zugang haben, die Kredite der NDB in Anspruch nehmen können. [59] Die NDB ist eine multilaterale Entwicklungsbank der BRICS-Staaten, die 2015 gegründet wurde und dem Globalen Süden als Alternative zu IWF und Weltbank dienen soll ‒ für eine „nachhaltige Zukunft“.[60] Sie wird seit April geführt von der früheren brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff. Saudi-Arabien will direkt Mitglied dieser Bank werden, wodurch sich ihre Bedeutung und Schlagkraft nochmal deutlich erhöhen würde.[61]

Noch hat der US-Dollars mit Abstand den größten Anteil am Welthandel und den Devisenreserven. Doch wird seine Dominanz durchaus zunehmend in Frage gestellt. Erreichte der US-Dollar 1977 einen Spitzenwert von 85 Prozent als Leitwährung bei den Devisenreserven und lag sein Anteil 2001 noch bei 73 Prozent, so waren es letztes Jahr nur noch 58 Prozent.[62] Nun ist der Anteil der US-Währung, nach einer im April veröffentlichten Analyse,  schon auf 47 Prozent gesunken.[63] Wenn sich dies erhärtet, haben die Umbrüche, die im letzten Jahr einsetzen, einen Einbruch um 11 Prozent verursacht.  

SWIFT-Alternativen

Neben dem Übergang zur Nutzung lokaler Währungen oder einer alternativen wie dem Renminbi, gewann auch die Etablierung von Alternativen zum US-dominierten Finanzsystem ‒ von Kreditkarten bis zum internationalen Finanzkommunikationsnetzwerk SWIFT ‒ enorm an Bedeutung.  

Russland hat bereits 2014 ein eigenes Transfersystem, SPFS (System for Transfer of Financial Messages), etabliert, sowie ein nationales Zahlungssystem inklusive Kreditkarte namens Mir. Diese werden zwar durchaus rege genutzt, sind aber längst noch kein Ersatz für die westlichen Zahlungsabwicklungssysteme. Im Januar schlossen Moskau und Teheran jedoch das russische SFPS und das iranische Finanzkommunikationssystem SEPAM zusammen, wodurch die Reichweiter beider gesteigert wurde.

Wesentlich leistungsfähiger ist Chinas „Grenzüberschreitendes Interbankenzahlungssystem“ (Cross-Border Interbank Payment System, CIPS), das auch kein rein chinesisches Projekt ist. Da zu den Mitbegründern auch einige westliche Banken wie Citi, Deutsche Bank, HSBC sowie zahlreiche asiatische und afrikanische Banken gehören, war es von Beginn an breiter aufgestellt. [64] Im Juni 2023 hatte CIPS nach eigenen Angaben bereits über 1450 Teilnehmer aus 111 Ländern, die darüber Geschäfte mit mehr als 4.200 Bankinstituten in 182 Ländern abgewickelten.[65] Damit ist das chinesische System zwar auch noch ein gutes Stück entfernt von SWIFT, das von 11.000 Finanzinstituten in 200 Ländern genutzt wird, kann aber durchaus schon als echte Alternative zum US-kontrollierten globalen Zahlungsabwicklungssystem angesehen werden, zu dem neben SWIFT auch das in New York ansässige „Clearing House Interbank Payments System“ gehört.  

Die neun Mitgliedsländer der Asiatischen Clearing Union (ACU), zu denen u.a. Indien, Pakistan und der Iran zählen, planen in den kommenden Monaten ebenfalls ein eigenes grenzüberschreitendes Finanzkommunikationssystem aufzubauen, um untereinander auf SWIFT verzichten zu können und generell unabhängiger vom US-dominierten Finanzwesen zu werden. Bis dahin wollen sie das iranische SEPAM nutzen.[66] Gleichzeitig gewinnt in Afrika das Panafrikanischen Zahlungs- und Abrechnungssystem (PAPSS) an Bedeutung, das im Januar 2022 gestartet wurde, ein zentralisiertes Zahlungs- und Abrechnungsnetzwerk für den innerafrikanischen Handel.  

Fazit

Auch wenn die Kooperation im globalen Süden enger wird, läuft die Entwicklung angesichts der gravierenden Unterschiede und diverse Rivalitäten zwischen den Ländern selbstverständlich alles andere als reibungslos und gradlinig. Auch wenn sich die meisten Länder an den Bemühungen für eine multipolare Ordnung beteiligen, sind viele weiterhin an guten Beziehungen zu den westlichen Staaten interessiert und so auch immer wieder zu Zugeständnissen genötigt, die die Entwicklung hemmen.
Dennoch verschieben sich offensichtlich politisch wie wirtschaftliche die Gewichte. Die westlichen Wirtschaftskriege wirken dabei wie Katalysatoren, insbesondere natürlich der gegen Russland, der wie ein Bumerang zurückschlägt. Während viele asiatische Länder vergleichsweise robuste Wachstumsraten und wirtschaftliche Basisdaten aufweisen, nähern sich Europa und die Vereinigten Staaten einer Rezession. Besonders betroffen ist Deutschland, das bereits fest in der Rezension steckt. Wenn die Ampelregierung an ihrem Kurs festhält, insbes. dem Boykott günstigem russischem Öl- und Gas droht nach Ansicht vieler Experten eine regelrechte Deindustrialisierung, mit schwerwiegenden sozialen Konsequenzen. [67]  

Im Moment erscheinen die USA als Gewinner des von ihnen ohne Rücksicht auf europäische Verluste durchgepeitschten Wirtschaftsblockaden gegen Russland. Es stellt sich aber auch für sie die Frage, wie lange noch? An warnenden Stimmen aus dem US-Establishment fehlt es nicht. „Der Krieg in der Ukraine ist vielleicht das Ereignis, das das Ende der Pax Americana für jedermann sichtbar macht,“ befürchtet z.B. die US-amerikanische Russlandexpertin Fiona Hill, die als Sicherheitsberaterin für die US-Präsidenten Bush jun., Obama und Trump gearbeitet hat. Bei diesem Krieg würde es sich nicht um einen Stellvertreterkrieg zwischen den USA oder dem „kollektiven Westen“ gegen Russland handeln, sondern um einen „Stellvertreter für eine Rebellion Russlands und des ‚Rests‘ gegen die Vereinigten Staaten.“ Die als „Rest“ bezeichneten nichtwestlichen Staaten, die tatsächlich 6,5 Milliarden Menschen repräsentieren, „wollen die USA in ihrer Nachbarschaft auf eine andere Größe reduzieren und mehr Einfluss auf globale Angelegenheiten ausüben. … Kurz gesagt, im Jahr 2023 hören wir ein klares Nein zur Vorherrschaft der USA und sehen ein ausgeprägtes Verlangen nach einer Welt ohne Hegemon.[68]
Der Widerstand der Länder des globalen Südens gegen die Aufrufe der USA und der EU sich hinter sie in diesem Krieg zu stellen sei eine „offene Rebellion“, „eine Meuterei“ gegen den kollektiven Westen, der „seine Probleme … allen anderen aufbürdet, während er ihre Prioritäten in Bezug auf den Ausgleich des Klimawandels, die wirtschaftliche Entwicklung und den Schuldenerlass beiseiteschiebt.


[1] siehe aktualisierte Version: Workshop: Wirtschaftsblockaden – eine „zivile Alternative“ zu Krieg?, Nachgetragen, 30.12.2022  Der erste Teil erschein etwas gekürzt in junge Welt v. 07.01.2023 unter dem Titel “Keine »zivile« Alternative“  der zweite, aktualisiert unter  Wer ruiniert wen? in junge Welt vom 02.03.2023

[2] Helen Yaffe, The US Blockade Against Cuba Is an Act of War, Jacobin, 27.03.2022

[3] Mark Weisbrot u. Jeffrey Sachs, Economic Sanctions as Collective Punishment: The Case of Venezuela, CEPR, 25.4.2019

[4] Helen Yaffe, .a.a.O.

[5] mehr zu den anderen betroffenen Länder in meinem Beitrag „Wirtschaftsblockaden – eine „zivile Alternative“ zu Krieg?“ auf meinem Blog Nachgetragen

[6] J. Guilliard, Syrien: „Stiller Tod durch Sanktionen“, Ossietzky 13/2019)

[7] Sanktionen gegen Nothilfe ‒ Hilfsorganisationen fordern Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Syrien, weil sie die Erdbeben-Nothilfe blockieren, german-foreign-policy, 8.2,2023

[8] Die vergessene humanitäre Katastrophe, Internationale Kampagne fordert Freigabe der Reserven der afghanischen Zentralbank auch durch Berlin. german-foreign-policy.com, 15. 3.2022,

[9] Afghanistan: Internationale Sanktionen behindern humanitäre Hilfe, Aktion gegen den Hunger 5.4.2022

[10 ]Hungerkatastrophe in Afghanistan: Vom Westen im Stich gelassen, ARD, Monitor, 10.02.2022

[11] Offener Brief: Freigabe der eingefrorenen Gelder Afghanistans – United Against Inhumanity, 7.3.2022

[12 ]Afghanistan: „Dialog mit Taliban nötig und richtig“, DW, 08.06.2022 und Conrad Schetter & Katja Mielke, Entwicklungszusammenarbeit: Den Afghanen helfen – trotz der Taliban, Um die Bevölkerung in Afghanistan zu unterstützen, sollte die internationale Gemeinschaft die Entwicklungszusammenarbeit wieder aufnehmen, Qantara, 04.04.2023

[13] The negative impact of unilateral coercive measures on the enjoyment of human rights, Resolution  A/HRC/52/L.18, 3 April 2023

[14] A/RES/38/197, Economic measures as means of political and economic coercion against developing countries, UNGV, 20.12.1983[

15] Forciert vor allem durch Juristen aus dem Süden, u.a. im Rahmen der Asian-African Legal Consultative Organization (AALCO). Diese zwischenstaatliche Organisation, zu deren 50 Mitgliedern auch Japan, Indien und Thailand gehören, hat das Thema „Extraterritoriale Anwendung nationaler Rechtsvorschriften: Sanktionen gegen Dritte“ seit 1997 auf der Agenda

[16] Dagegen stimmten: Albanien, Andorra, Australien, Österreich, Belgien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Kanada, Kroatien, Zypern, Tschechische Republik, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Deutschland, Griechenland, Irland, Island, Israel, Italien, Japan, Kanada, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Marshallinseln, Ungarn und Zypern, Mikronesien, Monaco, Montenegro, Niederlande, Neuseeland, Nordmazedonien, Norwegen, Palau, Polen, Portugal, Südkorea, Moldau, Rumänien, San Marino, Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, Schweiz, Türkei, Ukraine, Großbritannien, USA.

[17] Idriss Jazairy, Report of the Special Rapporteur on the negative impact of unilateral coercive measures on the enjoyment of human rights, A/HRC/30/4, UNHRC, 10.8.2015

[18] s. Tom Ruys, Sanctions, retorsions and countermeasures : concepts and international legal framework, in L. van den Herik (Hg.), Research Handbook on UN Sanctions and International Law, Edward Elgar Publishing, 2017

[19] s. Rechtsfragen zu völkerrechtlichen Sanktionen, Wissenschaftl. Dienste des Dt. Bundestages, 8.7.2019

[20] J. Guilliard, Idriss Jazairy – Vorkämpfer für die Menschenrechte gestorben, Ossietzky, 11/2020

[21]US sanctions violate human rights and international code of conduct, UN expert says, UN OHCHR, 6.5.2019

[22] Interview: Most unilateral sanctions violate international law, says UN expert, Xinhua, 13.07.2022

[23] Permanent state of emergency cannot be used as a justification or ground for unilateral sanctions, OHCHR, 4. März 2021

[24] s. z.B. African intellectuals remember late Muammar Gaddafi as pan-African, Anadolu Ajansı, 20.10.2021

[25] Jean-Paul Pougala, The lies behind the West’s war on Libya, Pambazuka, 14.4.2011

[26] Lula da Silva: EU und USA hätten Ukraine-Krieg verhindern können, amerika21, 07.05.2022

[27] Lateinamerikanische Staaten verpassen EU einen Dämpfer, EURACTIV, 6.7.2023

[28] Neben USA und EU: Wer Russland noch sanktioniert, Produktion, 18.3.2022

[29] Russische Wirtschaft: Ölexporte auf höchstem Stand seit April 2020, tagesschau.de, 14.04.2023

[30] Saudi Arabia imports record volumes of discounted Russian fuel oil in June, Al Monitor, 13.7.2023[31]EU-Behörde hat Verdacht: Nachbarn helfen Russland, die Sanktionen zu umgehen, Berliner Zeitung, 21.02.2023[32] How Russia Pays for War, 30.10.2022

[33] mehr dazu unter, J. Guilliard, Wer ruiniert wen? Ukraine-Krieg: Der Wirtschaftskrieg gegen Russland und seine Folgen, junge Welt, 02.03.2023

[34] Saudi-Arabien betont im Öl-Streit Einigkeit mit Russland, Deutsche Wirtschaftsnachrichten, 05.07.2023

[35] Gerard DiPippo, Andrea Leonard Palazzi, Bearing the Brunt: The Impact of the Sanctions on Russia’s Economy and Lessons for the Use of Sanctions on China, CSIS, Februar 2023

[36] Ökonom zu Russlands Wirtschaft: „Die Sanktionen sind gescheitert“, n-tv, 18.07.2023

[37] World Economic Outlook, April 2023: A Rocky Recovery, IWF, April 2023, IWF: Deutschland in Krise, Russland im Aufschwung, Telepolis, 17.4.2023

[38] Non-oil goods worth nearly $750m exported from Iran to India in 2 months, Tehran Times, 16.6.2023

[39] Iran’s oil exports hit 5-year highs as US holds nuclear talks, Reuters, 16.6.2023

[40] Putins Schachzug: Geostrategisch bedeutende Handelsroute in Betrieb genommen, Erstmals sind Waren auf dem „Nord-Süd-Korridor“ bewegt worden. Deutsche Wirtschaftsnachrichten, 22.07.2022 u. Iran announces completion of transport of Russian goods to India through INSTC, The Cradle, 8.7.2022

[41] Iran und Russland planen strategischen Eisenbahn-Korridor, Deutsche Wirtschaftsnachrichten,17.05.2023

[42] Iran in the SCO: Gateway or gatekeeper to West Asia?, Mohamad Hasan Sweidan, The Cradle, 18.7.2023

[43] mehr dazu unter Joachim Guilliard, Der Wirtschaftskrieg gegen den Iran: Aufstieg der Belagerten, Unsere Zeit, 23. Juni 2023

[44] Charlotte Wiedemann, Iran und der Westen: Kleiner großer Satan, Qantara, 25.06.2018

[45] Einen Überblick über die Funktionsweise von Zwangsmaßnahmen der USA gibt Sascha Lohmann in Extraterritoriale US-Sanktionen, SWP-Aktuell 2019/A 31 v. 27.05.2019

[46]Südost-Asien will Dominanz westlicher Währungen brechen, Deutsche Wirtschaftsnachrichten, 16.04.2023[47] Renminbi heißt die chinesische Währung, Yuan ist ihre größte Einheit.

[48] So wird der Yuan zur Reservewährung für Eurasien und Afrika, Deutsche Wirtschaftsnachrichten, 28.05.2023

[49] Monica Hirst, Juan Gabriel Tokatlian, Das Ende der Dollar-Vorherrschaft, IPG Journal, 09.05.2023

[50] Gunter Rieck Moncayo, De-Dollarisierung der Weltwirtschaft? ‒ Warum der Renminbi nicht als neue Leitwährung taugt, Konrad-Adenauer-Stiftung, 23.5.2023

[51]Brasilien und China einigen sich auf Handel in ihren Landeswährungen, Telesur, amerika21

[52]Argentinien bezahlt Importe aus China in Yuan, amerika21, 01.05.2023

[53]Argentinien zahlt IWF-Kredit in Yuan zurück, amerika21, 10.07.2023

[54]Sanktionen gegen Russland: Yuan kratzt am US-Dollar, Telepolis, 26. 4. 202

[55] Prof. Horst Löchel, US-Dollar versus RMB – Bipolares Währungssystem möglich, Table Media, 6.6.2023, China wickelt Außenhandel erstmals mehrheitlich in Yuan ab, 02.05.2023

[56] Renminbi’s share of trade finance doubles since start of Ukraine war, Financial Times, 12.4.2023

[57] Gemeinsam unabhängiger ‒ Argentinien und Brasilien streben eine gemeinsame Währung an, IPG Journal, 03.02.2023, Brazil and Argentina to start preparations for a common currency — Other Latin American nations will be invited to join plan which could create world’s second-largest currency union, Financial Times, 22.2.023

[58] BRICS currency not on August summit agenda, South African official says, Reuters, 20.7.2023

[59] So wird der Yuan zur Reservewährung für Eurasien und Afrika, Deutsche Wirtschaftsnachrichten, 28.05.2023[60]https://www.ndb.int/about-ndb/

[61] Saudi-Arabien will BRICS-Bank beitreten, Deutsche Wirtschaftsnachrichten, 30.6.2023

[62]Das Ende der Dollar-Vorherrschaft, Die Dominanz der US-Währung im internationalen Finanz- und Handelssystem stand lange außer Frage. Doch Länder wie Brasilien versuchen sich zu lösen, IPG-Journal, 09.05.2023

[63] Philipp Fess, De-Dollarisierung: Wie nah ist der monetäre Machtwechsel?, Telepolis, 06. Mai 2023

[64] What is China’s Swift equivalent and could it help Beijing reduce reliance on the US dollar?, South China Morning Post, 28.2.2022, s.a. How Western sanctions blow back, hurting Europe, deepening Asian integration Western sanctions led Russia to greatly increase trade with Asia, while devastating Europe’s economy, Geopolitical Economy Report, 10.1.2023

[65] CIPS Participants Announcement No. 86, CIPS, 30.6.2023

[66] Südasien koppelt sich teilweise vom SWIFT-System ab, Deutsche Wirtschaftsnachrichten, 16.06.2023

[67] Weltwirtschaft: Die Machtzentren beginnen sich zu verschieben, Deutsche Wirtschaftsnachrichten, 22.05.2023

[68] Fiona Hill, Ukraine in the New World Disorder ‒ The Rest’s Rebellion Against the United States, Lennart Meri Conference, 12-14 May 2023

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