Hiroshima und Nagasaki mahnen: Atomwaffen abschaffen, Kriegslogik überwinden

Kennedys Mahnung vor Kriegen im Atomwaffenzeitalter aus Kriegslogik aussteigen ‒ Eskalationsgefahr beim Ukrainekrieg bannen

Joachim Guilliard, Redebeitrag auf der Kundgebung am 7.8.2023 in Heidelberg

Wir stehen heute hier um an die Atombombenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki vor 78 Jahren zu erinnern. Die von US-Piloten in den letzten Weltkriegstagen, überwiegend als Machdemonstration, abgeworfenen Bomben verwandelten die beiden japanischen Großstädte Hiroshima und Nagasaki in lodernde Höllen. Meine Vorredner sind schon auf die Geschichte und die verheerenden Folgen dieser fürchterlichen Kriegsverbrechen eingegangen. Ich will noch etwas näher darauf eingehen, wie real aktuell die Bedrohung durch Atomwaffen ist. Sie scheint den meisten Menschen erstaunlich weit weg zu sein, im Unterschied zu den 1980er Jahren, wo das Bewusstsein über die Bedrohung Jahre hinweg Hunderttausende auf die Straße brachte, bis über das Abrüstungsabkommen für nukleare Mittelstreckensysteme, den INF-Vertrag, die entsprechenden Atomraketen abgerüstet wurden. Dies war sicher u.a. auch ein Erfolg der Friedensbewegung in Ost und West.

Washington hat unter Donald Trump den INF-Vertrag gekündigt und die USA sind dabei wieder atomar bewaffnete Mittelstreckenraketen in Europa aufzustellen. Deren drohende Stationierung in Osteuropa oder gar Ukraine wurden vom russischen Präsidenten als einen der Gründe für den russischen Einmarsch genannt. Sie seien dann für Russland wie ein „Messer am Hals“.

Die Menschheit befinde sich angesichts der zunehmenden Zahl von einsatzfähigen Atomwaffen in einer der gefährlichsten Perioden ihrer Geschichte, warnte das schwedische Friedensforschungsinstituts SIPRI in seinem jüngsten Bericht. Heute haben die Atommächte mehr als 13.000 einsatzfähige Nuklearwaffen angehäuft, mit einem Vielfachen der Sprengkraft der Hiroshima-Bombe. Die meisten davon unterhalten die USA und Russland. Und die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) schätzt, dass die Atomstaaten aktuell über 80 Milliarden US-Dollar in die Modernisierung ihrer Arsenale investieren ‒ die größte Summe natürlich die USA, die generell die mit Abstand größten Rüstungsausgaben hat, gut dreimal soviel wie China und zehnmal so viel wie Russland.

Vor fast genau 60 Jahren hielt US Präsident John F. Kennedy in Washington seine berühmte Rede zur „Strategie des Friedens“, die als einer der großen politischen Reden des 20. Jahrhunderts gilt und als Einleitung zu einer Entspannungspolitik, die bald auch von Willi Brandt, Egon Bahr und anderen westlichen Politikern aufgegriffen wurde. (Eröffnungsansprache an der American University in Washington, JFK Library, 10. Juni 1963)

[Hintergrund war seine Erfahrung in der sog. „Kuba-Krise“ im Herbst 1962, die entstand, als die Sowjetunion Atomwaffen in Kuba zu stationieren begann. Er konnte die von US-Seite schon vorbereitete militärische Eskalation bis hin zum Einsatz von Atomwaffen gegen die UdSSR gerade noch stoppen, indem er gegen den Rat seiner meisten Berater und des Pentagons, direkte Verhandlungen mit dem sowjetischen Staatschef Nikita Chruschtschow aufnahm und mit ihm den Abzug der jeweiligen gegeneinander gerichteten Mittelstreckenraketen vereinbarte: die sowjetischen aus Kuba, die US-amerikanischen aus der Türkei.]

Kennedys Rede drehte sich fast ausschließlich um ein Thema, „bei dem man“, wie er sagte, „zu oft auf Unwissenheit stößt und bei dem die Wahrheit zu selten erkannt wird, obwohl es sich bei ihm um das wichtigste Thema auf der ganzen Welt handelt: den Weltfrieden.“

Es gehe dabei „nicht um eine PaxAmericana, die der Welt durch amerikanische Kriegswaffen aufgezwungen wird“ und auch nicht „um den Frieden des Grabes oder um die Sicherheit der Sklaven.“ Er „spreche von echtem Frieden“, fuhr der Präsident fort, „von der Art Frieden, die das Leben auf Erden lebenswert macht, die Art, die Menschen und Nationen ermöglicht zu wachsen, zu hoffen und ein besseres Leben für ihre Kinder aufzubauen. Nicht nur Frieden für die Amerikaner, sondern Frieden für alle Männer und Frauen. Nicht nur Frieden in unserer Zeit, sondern Frieden für alle Zeiten.“

Er spreche vom Frieden, „weil sich das Gesicht des Krieges verändert hat“ erläuterte Kennedy und betonte: „Totaler Krieg ist in einem Zeitalter sinnlos, in dem Großmächte viele und relativ unbezwingbare Atomwaffen unterhalten können und sich weigern, ohne Einsatz dieser Waffen zu kapitulieren. Er ist sinnlos in einem Zeitalter, in dem die Explosion einer einzigen Atomwaffe nahezu zehnmal so stark ausfällt wie die Waffen aller alliierten Luftstreitkräfte des Zweiten Weltkriegs zusammen.“

Der Präsident wies seine Landsleute daraufhin, dass „jedes Jahr Milliarden von Dollar für Waffen“ ausgegeben würden, „die nur gekauft werden, damit wir sie niemals einsetzen“ Ein Arsenal, „das ausschließlich zu zerstörerischen, nicht jedoch zu konstruktiven Zwecken eingesetzt werden könnte“ sei sicherlich nicht die effizienteste Methode der Friedenssicherung. Er „spreche daher von Frieden als das notwendige rationale Ziel vernünftiger Menschen.“

Um es zu erreichen, müssten nicht nur die Führer der Sowjetunion ihre Einstellung ändern, so Kennedy im erstaunlichsten Teil seiner Rede: „Ich denke auch, dass wir unsere eigene Haltung als Einzelne und als Nation erneut hinterfragen sollten, da sie eine genauso wichtige Rolle spielt wie die der Sowjetunion.“ Man dürfe auch „Konflikte nicht als unabwendbar betrachten“ und „Kein Regierungs- oder Gesellschaftssystem ist so übel gesinnt, dass die ihm angehörigen Menschen als tugendlose Wesen zu betrachten sind.“

Wie wir wissen haben die Herrschenden in den USA nicht auf ihn gehört. Kennedys Streben nach Frieden mit dem sowjetischen Gegner brachte den jungen Präsidenten in einen – vermutlich fatalen – Konflikt mit dem nationalen Sicherheits-, Militär- und Geheimdienstapparat seines Landes. Sein Amtsvorgänger Dwight D. Eisenhower hatte schon zwei Jahre zuvor bei seiner Abschiedsrede vor der Macht und dem unheilvollen Wirken des „militärisch-industriellen Komplex“, der „Verbindung eines gewaltigen Militärapparates mit einer großen Rüstungsindustrie“ gewarnt.

Unter dem maßgeblichen Einfluss dieser Kreise haben die USA das Bestreben das „Gleichgewicht des Schreckens“, das durch das atomare Gleichziehen der SU entstand, zu überwinden und einen Atomkrieg für sie führbar und gewinnbar zu machen, nie aufgegeben. Die neuen Mittelstreckenraketen müssen in diesem Zusammenhang gesehen werden, insbesondere die Hyperschallrakete „Dark Eagle“. Sie gilt als sog. Enthauptungswaffe, da sie die Fähigkeit haben soll, Kommandozentralen und Atomwaffensilos zu zerstören. Und mit Mittelstreckenraketen ließe sich ein Atomkrieg evtl. auf Europa begrenzen, so das Kalkül von US-amerikanischen Hasardeure die 10.000 Km entfernt die Strategie für zukünftiger Kriege entwerfen.

Auch Russland hat Hyperschallraketen werden manche einwenden. Dabei wird aber ein wichtiger Aspekt übersehen, die Asymmetrie, die darin liegt, dass die USA Waffen und Streitkräfte ‒ verstärkt durch die der NATO-Partner ‒ nahe an den russischen Grenzen unterhalten, selbst aber weit weg vom potentiellen Schlachtfeld liegen. Das wird in der Debatte hierzulande meist völlig ausgeblendet, wenn über die Bedrohungssituation Russlands geredet wird, wie auch die Gefahr eines Atomkriegs in Europa. Wie die Kuba-Krise gezeigt hat, würde Washington im umgekehrten Fall Mittelstrecken-Raketen in Nord- oder Mittelamerika keine Minute lang dulden.

Viele namhafte Experten warnen ja seit langem, dass der Ukrainekrieg das wachsende Risiko birgt, in einen größeren Krieg zu eskalieren, in einen Krieg in dem sich Atommächte dann direkt gegenüberstehen. Dieses Risiko wird natürlich umso größer, je länger er dauert und je massiver die NATO-Staaten mit immer schwereren Waffen eingreifen. Die indirekten Drohungen aus Moskau, mit Verweis auf ihr Arsenal, sind ja bekannt und werden heftig kritisiert. Kaum bekannt ist aber, dass Drohungen nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine auch aus der NATO kamen. „All options are on the table“, auf Deutsch „man halte sich alle Optionen offen“ verlautbarten Regierungsvertreter aus Washington und London ‒ eine Formel, die allg. als Warnung an den Gegner gilt, man sei zu allem, auch zu einem Atomwaffeneinsatz bereit.

Die Einsatzdoktrin der USA schließt einen Ersteinsatz von vorneherein nicht aus, die russische sieht ihn nur vor, wenn ein Angriff die Existenz des Landes bedroht. Dabei bleibt jedoch unklar, ab wann in Moskau möglicherweise eine solche Bedrohung gesehen wird ‒ schon bei drohendem Verlust der Krim und dem dortigen Marinestützpunkt?

Die Politik Deutschlands und seiner Verbündeter scheint mit der Lieferung immer schwerer Waffen die rote Linien Moskaus austesten zu wollen. Den Kampfpanzer sollen bald Kampfjets und Marschflugkörper folgen, mit denen die Krim, russisches Festland und russische Schiffe angegriffen werden können. Insbes. die geplante Bereitstellung von F16-Flugzeugen, erhöhen dabei auch das Atomkriegsrisiko, denn Moskau sieht sie als „Bedrohung im nuklearen Bereich“ an. Sie können mit Atomwaffen bestückt werden und die russischen Streitkräfte können nicht erkennen, welche Waffen sie tragen.

Berlin und Brüssel erteilen nach wie vor Bemühungen um einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen eine Absage. Sie setzen weiterhin auf einen militärischen Niederlage Russlands und scheinen bereit, dafür die ukrainische Armee bis zum letzten ukrainischen Soldaten kämpfen zu lassen. Dabei ist durchaus allgemein bekannt, dass ihre Chancen gleich Null sind. Der Stellvertreterkrieg der NATO ist daher nicht nur zynisch und menschenverachtend, er ignoriert auch die wichtige Warnung Kennedys in seiner Rede von 1963:
Nuklearmächte müssen vor allem diejenigen Konfrontationen vermeiden, die den Gegner in eine Lage manövrieren, in der er nur noch die Wahl zwischen demütigendem Rückzug und einem Nuklearkrieg hat.“

Neben einem Einsatz von Atomwaffen, möglicherweise allein aufgrund von Fehleinschätzungen, besteht auch die reale Gefahr, dass Schäden an ukrainischen Kernkraftwerken zu einer nuklearen Katastrophe führen. So steht das auf russischer Seite der Front liegende AKW Saporischschja und dessen Stromversorgung immer wieder unter ukrainischem Beschuss wie auch für Kühlwasser relevante Staudämme (STERN.de, Washington Post).

All dies lässt nur einen Schluss zu. Die Kämpfe im Land müssen so schnell wie möglich beendet werden. Besonders dringend ist eine Waffenruhe im Gebiet und das AKW Saporischschja. Die NATO und Kiew müsste dazu akzeptieren, dass hier der Frontverlauf eingefroren und nur über Verhandlungen geändert wird.

Wir fordern Berlin und Brüssel daher auf, aus der Kriegslogik auszusteigen und sich endlich ernsthaft um Verhandlungen bemühen Wir fordern die Bundesregierung zudem auf jegliche Beteiligung und implizite Befürwortung von Atombewaffnung zu beenden.

Atomwaffen müssen geächtet werden. Wir verlangen daher, dass Deutschland unverzüglich den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet.

Wir fordern die sofortige Beendigung der „Nukleare Teilhabe“ und damit natürlich auch eine klare Absage an die geplante Beschaffung der dafür vorgesehenen atomwaffenfähigen F35-Bomber.

Selbstverständlich protestieren wir auch gegen die geplante nahezu Verdopplung der Rüstungsausgaben. Wir fordern diese Milliarden in die Bereiche zu investieren, wo sie dringen benötigt werden für Bildung, Gesundheit, Soziales, Klima- und Umweltschutz.  

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