Neue Eskalation in Nahost ‒ Gewaltspirale ist nur durch Ende von Besatzung und Apartheid zu stoppen

Redebeitrag für die Mahnwache am 9.10.2023 in Heidelberg (siehe dazu auch das Flugblatt des Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg)

Nun ist der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern erneut in einen Krieg eskaliert. Angesichts des gewalttätigen Kurses der extrem rechten bis faschistischen israelischen Regierung war das ja leider nur eine Frage der Zeit.

Nach 16 Jahren israelischer Militärblockade haben palästinensische Kämpfer einen beispiellosen Angriff auf Militärstützpunkte, aber auch Kibbuzim und kleine Ortschaften in Israel gestartet, bei dem Hunderte von Israelis getötet und verwundet sowie Zivilisten entführt wurden. Die israelische Regierung erklärte darauf allen Palästinenser den Krieg, startete Luftangriffe, durch die Tausende von Menschen im Gaza getötet und verwundet wurden ‒ unter den bombardierten Wohnhäusern begraben.

Die Jüdische Stimme für den Frieden (Jewish Voice for Peace) in den USA erklärte dazu: „In diesem Moment haben Palästinenser, Israelis und alle, deren Familien sich vor Ort befinden, Angst um ihre Angehörigen. Wir trauern um die Menschen, die bereits ihr Leben verloren haben und setzen uns weiterhin für eine Zukunft ein, in der jedes Leben kostbar ist und alle Menschen in Freiheit und Sicherheit leben.

Überschrieben ist ihre Erklärung mit „Die Wurzel der Gewalt ist Unterdrückung“ und sie endetet mit: „Es ist unvermeidlich, dass unterdrückte Menschen überall ihre Freiheit suchen – und erringen. Wir alle haben Freiheit, Sicherheit und Gleichheit verdient. Der einzige Weg dahin besteht in der Beseitigung der Ursachen der Gewalt, angefangen bei der Mitschuld unserer eigenen Regierung.“

So plötzlich die Angriffe der Hamas auch kamen, wirklich überrascht kann nur sein, wer die Auswirkungen der israelischen Politik auf die Palästinenser und Palästinenserinnen der letzten Monate und Jahre ignorierte, insbesondere im Gazastreifen, wo die Situation immer verzweifelter und aussichtsloser wurde. Seit 16 Jahren erstickt die israelische Regierung die Menschen dort mit einer drakonischen Luft-, See- und Landblockade, hält faktisch zwei Millionen Bewohner gefangen, lässt sie hungern und verweigert ihnen medizinische Hilfe. 80 Prozent von ihnen sind von internationaler Hilfe abhängig und mit täglichen Stromausfällen und verseuchtem Wasser konfrontiert.

Seit dem vergangenen Jahr hat die rassistischste und rechtsextremste Regierung in der Geschichte Israels die israelische Besatzung im Namen der jüdischen Vorherrschaft noch weiter eskaliert: mit gewaltsamen Vertreibungen und Hauszerstörungen, militärischen Razzien und Massentötungen. Immer wieder stürmte israelisches Militär die heiligsten muslimischen Stätten. Allein dieses Jahr hat diese Politik 300 palästinensische Todesopfer gefordert.

Anfang Mai, kurz vor dem Gedenken an den 75. Jahrestag der Nakba, der Vertreibung großer Teile der palästinensischen Bevölkerung im Zuge der Gründung Israels, hat die israelische Luftwaffe auch wieder einmal Ziele im Gazastreifen bombardiert. Dem UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten OCHA zufolge waren unter den 33 dabei Getöteten mindestens zwölf Zivilisten ‒ sechs Kinder, vier Frauen und zwei Männer. 190 Menschen wurden zudem verwundet, darunter 64 Kinder und 38 Frauen. ‒ Von Empörung im Westen, von unseren Politikern und Medien die jetzt so laut schäumen, keine Spur. Es war ja nur ein weiterer israelischer Angriff, ein weiteres Massaker nach fast schon unzählig vielen in den letzten Jahren. Und die Opfer waren nur Palästinenser, Araber ‒ die nun mal, wie wir schon aus dem Irak wissen, nicht so viel zählen.

So entsetzt wir über mörderische Angriffe auf unbewaffnete Zivilisten, insbesondere das Massaker an Festbesuchern durch Hamas-Kämpfer, sind, die auch durch das Recht auf Widerstand gegen Besatzung und Unterdrückung nicht gerechtfertigt werden können, müssen wir die Ursachen dafür hervorheben. Frantz Fanon hat in seinem Buch „Die Verdammten dieser Erde“ ja eindrucksvoll beschrieben, wie die Gewalt der Unterdrücker auf solch rücksichtlose grausame Weise zurückschlagen kann.

Auch der israelische Historiker Moshe Zimmermann bezeichnete den Angriff vom Wochenende in einem ARD-Interview als nicht überraschend als logische Folge der Ausweglosigkeit in Gaza. Politik und Medien erklären den Gewaltausbrauch während in der palästinensische Offensive auf Israel lieber mit grundlosem Fanatismus der „radikal-islamischen“ Hamas. Die palästinensischen Kämpfer werden in einer einheitlichen Sprachregelung durchweg auch nur als „Terroristen“ bezeichnet, um ihnen so von vorneherein nachvollziehbare politische Gründe und Ziele abzusprechen und den gesamten Hintergrund der militärischen Offensive möglichst auszublenden.

Doch an der „Al-Aksa-Flut“ genannten Operation nehmen neben den bewaffneten Einheiten der Hamas auch andere palästinensische Organisationen teil. Darunter auch, wie man ihren Erklärungen entnehmen kann, die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas (DFLP), beides marxistische Gruppen. Und die Offensive stößt auch im arabischen Raum und darüber hinaus auf breite Unterstützung.

Hier sieht man die Ursachen klarer, die Verzweiflung der Palästinenser und auch die Doppelmoral im politischen Westen, die nun voller Empörung deren Gewalt als Terrorismus verurteilt, aber über den Staatsterrorismus Israels dröhnend schweigt.

Wie gesagt, sind Angriffe auf unbeteiligte Zivilisten nicht zu rechtfertigen. Doch wenn die israelische Luftwaffe als Vergeltung mehrstöckige Wohngebäude zusammenbombt, so ist dies nicht nur völlig unverhältnismäßig, sondern ein noch viel tödlicherer Angriff auf die Zivilbevölkerung, eine brutale kollektive Bestrafung und damit ein Kriegsverbrechen. Anscheinend werden von vielen Bombardierungen als weniger brutal oder barbarisch, quasi „zivilisierter“ empfunden, wenn sie „sauber“ mit Hightech-Waffen aus großen Höhen erfolgen. Sie sind aber ‒ aufgrund der Überlegenheit der selbst unangreifbar bleibenden Angreifer ‒ tatsächlich ein noch fürchterlicherer und verwerflicherer Terror.

Groß ist Empörung über die Gefangenahme und Verschleppung von Iraelis, sofern es sich um unbewaffnete Zivilisten, gar Kinder handelt zurecht. Allerdings wurde die Begriff Verschleppung und Geisel im Westen nie für palästinensische Männer, Frauen und Kinder verwendet, die von der israelischen Armee mitten in der Nacht halbnackt aus ihren Schlafzimmern geholt wurden, schreibt der palästinensische Autor Jamal Kanj, auch nicht in Bezug auf die 1200 nicht angeklagte Palästinenser, die auf unbestimmte Zeit in israelischen Kerkern gefangen gehalten werden.

Wenn Teile der von der Welt im Stich gelassenen Palästinenser in ihrer ohnmächtigen Wut zu den Waffen, greifen, so liegt die Verantwortung nicht zuletzt auch bei den USA und den EU-Staaten. Sie haben alle ihren zentralen nahöstlichen Verbündeten nicht nur jahrzehntelang gewähren lassen, sondern aktiv dabei unterstützt. Wenn die Bundesregierung einseitig die Hamas für den Beschuss ziviler Ziele verurteilt, die ungleich tödlicheren Luftangriffe aber als Selbstverteidigung rechtfertigt, stellt sie sich erneut hinter die brutale Besatzungspolitik. Dabei gibt es, wie der Völkerrechtler Norman Paech schon anlässlich des Gaza-Krieges 2008/09 erläuterte, für eine rechtswidrige Besatzung keinerlei Recht auf Verteidigung, sondern nur die Verpflichtung, die Besatzung vollständig aufzuheben.

Benjamin Netanjahu hat die Bevölkerung des Gaza-Gebiets zynisch aufgefordert, ihre Heimat zu verlassen, wohl wissend, dass es für sie keine Fluchtmöglichkeit gibt, da die israelische Armee eine totale Blockade über das Gebiet verhängte. Israel plane eine umfassende „Rache“, zu der nicht nur die „Vernichtung“ der Hamas, sondern auch die vollständige Zerstörung aller größeren Wohngebiete im Gazastreifen gehören werde. Eine Bodenoffensive gegen die „menschliche Tiere“ dort, so Verteidigungsminister Yoav Gallant, werde vorbereitet.

Israel will die die Versorgung mit Treibstoff, Lebensmitteln, Wasser und Strom vollständig abriegeln, trotz Proteste der UNO. „Ihr wolltet die Hölle, ihr werdet die Hölle bekommen“ so der für Gaza zuständige General Ghassan Alianer bei der Verkündung dieser Racheaktion gegen die gesamte dortige Bevölkerung. Deren Aushungern ist, wie auch UN-Hochkommissar für Menschenrechte Volker Türk warnt, ein eklatanter Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht, ein Kriegsverbrechen.

Geboten wäre also aus Humanismus und Empathie heraus, sich statt voll und ganz auf die Seite der rechtsextremen israelischen Regierung zu schlagen, sich entschieden für die Verteidigung der palästinensischen Zivilbevölkerung in diesem völlig asymmetrischen Krieg einzusetzen.

Wir fordern von der dt. Regierung und der EU, statt die verbrecherische israelische Vergeltung noch zu unterstützen, deren Ende zu fordern und sich für einen raschen Waffenstillstand einzusetzen. Den eindeutigen Vorgaben der UNO und des Völkerrechts müssen endlich Geltung verschafft werden. Vertreibungen und Landraub müssen gestoppt, die Besetzung des Westjordanlandes und die Blockade des Gazastreifens müssen aufgehoben sowie die Apartheid beendet werden. Die arabische Bevölkerung in Israel muss die gleiche Rechte bekommen wie die jüdische.

One thought on “Neue Eskalation in Nahost ‒ Gewaltspirale ist nur durch Ende von Besatzung und Apartheid zu stoppen”

  1. Ihre jämmerliche Versuch die Palästinenser als alleinige Opfer Israel da zu stellen Heute in der RNZ 14.10.2023 ist schockierend. Solang der Mufti Muhammad Ahmad Hussein (Nachfolger von der Nazi Mufti Almin Al-Huseini https://en.m.wikipedia.org/wiki/Amin_al-Husseini)
    seine unsinnige Islam Ansicht auf alle Palästinenser verbreitet und Iran die Hamas Verbrecher Clan unterstützt wird sich niemals etwas ändern in Gaza. Für Hamas ist Terror gleich Business und sind die Palästinenser nur dumme Werkzeugen ihrer Kranken fantasie einer Palestina ohne Juden.

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