Nunca Más – 11. September 1973: Militärputsch in Chile

Nunca Más – Nie wieder!
Erinnern – Solidarität – Lehren für die Zukunft

Redebeitrag, Joachim Guilliard auf der Gedenkkundgebung in Heidelberg am 11.9.2023

Wir stehen heute hier, um an den Militär-Putsch in Chile Vor 50 Jahren zu erinnern.

Der 11. September, engl. „nine-eleven“, wird mittlerweile ja meist nur noch mit den Terroranschlägen in New York verbunden. Sie waren in der Tat ein einschneidendes Ereignis ‒ weniger wegen der Zahl der Opfer, da gibt es viele, die weit mehr forderten, sondern, weil sie als Rechtfertigung für die US- und NATO-Kriege gegen Afghanistan und Irak dienten, sowie für den, vom damaligen US-Präsidenten ausgerufenen „Krieg gegen den Terror“ ‒ Kriege, Interventionen, Drohnenmorde, Verschleppungen in Folterknäste wie Guantanamo und Abu Ghraib, Ausrüstung von einheimischen islamistischen Todesschwadrone etc., die die ganze Region in die Katastrophe stürzten und riesige Fluchtbewegungen auslösten ‒ von Afghanistan über den Nahen Osten bis Libyen und die Sahel-Region.

Das Costs of War Projekt an der Brown Universität in Rhode Island veröffentlichte im Mai eine Studie, wonach dadurch und seine Nachwirkungen in den sieben am meisten davon betroffenen Länder schätzungsweise über 4,5 Millionen starben, über eine Million direkt durch Waffengewalt und mehr als 3,5 Millionen indirekt durch den Zusammenbruch der Lebensverhältnisse. Zig Millionen wurden vertrieben.

Aber auch der 11. Sept. 1973 war ein einschneidendes Ereignis, markierte eine Zeitenwende.

An diesem Tag vor 50 Jahren stürzte eine Militärjunta die demokratisch gewählte Regierung in Chile mit Präsident Salvador Allende an der Spitze. Sein Projekt eines demokratischen Weges zum Sozialismus wurde mit brutaler Gewalt zunichtegemacht ‒ mit maßgeblicher Mitwirkung der USA, aber auch mit Unterstützung aus der Bundesrepublik Deutschland. Vor wenigen Tagen erst brachte der WDR neue Details über „deutsche Paten“ des Putsches.

Dazu zählen mit dem Bundesnachrichtendienst verbandelte Alt-Nazis, wie Ex-SS-Standartenführer Walther Rauff. die deutsche Sekte Colonia Dignidad aber auch große dt. Konzerne, damals aktive bundesdeutsche Politiker, inbes. der CDU und CSU wie Josef Strauß.

Und auch die sozialliberale Regierung Willi Brands orientierte sich rein an den wirtschaftlichen Interessen der BRD, stellte sich gegen Allende und arbeite anschließend gedeihlich mit der Pinochet-Diktatur zusammen. Im Unterschied dazu hatte die DDR die Reformen Allendes aktiv unterstützt und nach dem Putsch vielen von den Faschisten Verfolgten bei der Flucht geholfen und aufgenommen. Die USA hingegen haben mit Unterstützung Deutschlands und anderer westeuropäischen Länder ihre Flucht wochenlang behindert.

Allerdings gab es gegen den Regierungskurs von Brand und Helmut Schmidts auch eine sehr breiten Chile-Solidaritätsbewegung in der BRD.

Unter den Bedingungen der Diktatur konnten die radikalen Vordenker eines neoliberalen, rein auf Wirtschaftsinteressen ausgerichteten Umgestaltung von Gesellschaften rücksichtslos umsetzen. Chile wurde zum Versuchslabor, zum Pilotprojekt das bald in Lateinamerika und weltweit Schule machten. Dieser Umbau in Chile erfolgte mit Beteiligung deutscher Großkonzerne und wohlwollender Unterstützung der damaligen sozialliberalen Bundesregierungen ‒ koordiniert von der deutsch-chilenischen Freundschaftsgesellschaft, in der Politiker, Diplomaten, hohe Offiziere und die Vorstände der großen deutschen Banken und Konzerne saßen. Die BRD bezog u.a. Kupfer zu günstigsten Bedingungen aus Chile und BASF, Hoechst, Bayer und Schering investierten dort im großen Stil. Der westdeutsche Handel mit Chile wuchs nach dem Putsch massiv.

Die mit dem Putsch eingeleitete neoliberalen Schocktherapie legte den Grundstein zu dem was dann als „neoliberale Globalisierung“ bezeichnet wurde, unter die Welt nach wie vor leidet.

Die sozialen Bewegungen und politische Projekte der 1960er und 1970er Jahre in Chile und anderen lateinamerikanischen Länder beflügelten auch die dortige Musik. Viele chilenische Künstler, Intellektuelle, LiedermacherInnen hatten Salvador Allende und die Unidad Popular unterstützt und zum Wahlerfolg beigetragen.

Nach dem Putsch bemühten sich die Militärs auch mit aller Kraft, diese Kultur zu zerstören: Viele Kulturschaffende wurden ins Exil gezwungen, etliche von der faschistischen Militärjunta ermordet.

Am 16. September 1973 wurde auch der weltberühmte chilenische Sänger, Liedermacher und Theater-Regisseur Victor Jara im Nationalstadion von Santiago de Chile, wo er mit Tausenden eingesperrt war, schwer gefoltert und erschossen. Wenige Tage später erlag der Dichter und Nobelpreisträger Pablo Neruda in den Fängen von Pinochets Schergen angeblich seinem Krebsleiden.

Bis heute hat sich Chile vom Putsch nicht erholt. Die Militärs mussten zwar sukzessive Macht abgeben, hatten aber dafür gesorgt, dass die von ihnen geschaffene Ordnung in den Institutionen lange weiterlebte. Die von Pinochet oktroyierte Verfassung ist heute noch in Kraft, da der Versuch sie durch eine fortschrittliche zu ersetzen vor einem Jahr in einem Referendum scheiterte.

Erst vor wenigen Wochen Verantwortliche für den Mord an Víctor Jara zu 25 Jahren Haft verurteilt ‒ 50 Jahre nach dem Verbrechen.

Wir gedenken am 11. Sept. den ermordeten Künstlern wie den vielen Tausenden weniger bekannter Opfer. Wir gedenken auch an das zerschlagene Projekt eines sozialen Chiles. Dabei soll auch die Hoffnung Salvador Allendes aufrechterhalten werden, die er in seiner letzten Rede ausdrückte: „Ich bin sicher, dass die Saat, die wir im Bewusstsein Tausender und Abertausender Chilenen gesät haben, nicht vollständig ausgelöscht werden kann.

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