Corona: Dramatische „Zweite Welle“ oder herbstlicher Trend?

Entwicklung der Intensivbetten-Belegung und der Sterbefälle lässt keine große „Corona Welle“ erkennen. Covid-19 tritt offenbar an die Stelle anderer Infektionskrankheiten.

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»» Update, 09.12.2020 zur Intensivbettenbelegung und zu „Keine Zunahme schwerer Atemwegserkrankungen“

»» Update, 12.12.2020 Sterbefallzahlen rechtfertigen keinen Lockdown
Das Update berücksichtigt die neuen Sterbefallzahlen und geht auf die vom Statistischen Bundesamt gemeldete Übersterblichkeit für KW 46 ein.

Inhalt

Die Politik orientiert sich bei ihren Lockdown-Maßnahmen offiziell vor allem an den „Neuinfektionen“, d.h. an der Zahl der an einem Tag gemeldeten positiven Corona-Tests. Obwohl bis zu viermal so viel Tests pro Woche durchgeführt werden wie im Juni, halten die Regierungen von Bund und Länder immer noch am Grenzwert von 50 positiven Tests pro Woche und 100.000 Einwohner (der sogenannten „7-Tage-Inzidenz“ ) fest, die bereits im Frühjahr willkürlich gewählt worden war. Hätte man ihn an die aktuelle Teststrategie und -häufigkeit angepasst, z.B. wie von der Kassenärtzlichen Vereinigung vorgeschlagen auf 136, wäre uns schon viel Aufregung erspart geblieben.

Die verwendeten „Infektionszahlen“ sind jedoch generell als Kennzahlen für so weitreichende Entscheidungen völlig ungeeignet, da sie weder valide noch zuverlässig sind. Sie hängen sehr stark vom Testvorgehen ab und geben nur einen Bruchtteil aller Infizierten an. Die tatsächliche Zahl bleibt ‒ aufgrund der hohen Dunkelziffer unter der nicht getesteten Bevölkerung ‒ jeweils eine Unbekannte. Überträgt man das Ergebnis des Massentests in der Slowakei auf Deutschland so wäre die Dunkelziffer sechsmal so hoch wie die gemeldeten Zahlen. (s. Corona: Rekordzahlen durch irreführende Vergleiche)

Wesentlich aussagekräftiger sind die Zahlen derer, die auf Intensivstationen behandelt werden müssen. Da auch diese mittlerweile stark anwachsen, werden zunehmend auch sie genutzt, um zu demonstrieren, wie dramatisch die „Zweite Welle“ sei, und wie gerechtfertigt die ergriffenen Maßnahmen.

Allerdings war zu erwarten gewesen, dass mit dem Herbstbeginn die Corona-Infektionen, wie andere Atemwegserkrankungen auch, zunehmen werden. Schaut man auf die Entwicklung der Intensivbetten-Belegung seit dem Sommer, so ist noch keine große „Corona Welle“ zu sehen. Dasselbe gilt auch für den Anstieg von Sterbefällen, wenn man deren Zahl mit dem herbstlichen Trend der vergangenen Jahre vergleicht. Auch die britische nationale Statistikbehörde sieht mit Blick auf die Zahl der Sterbefälle in ihrem Land trotz höherer Infektionsraten keine Anzeichen für eine „Zweite Welle“.

Dies bedeutet keineswegs, dass das neuartige Virus und die von ihm ausgelöste, Covid-19 genannte Erkrankung harmlos wäre. Grundlegende Maßnahmen, wie Einhaltung von Hygieneregeln, Selbstisolierung bei Erkrankung, Verzicht auf Großveranstaltungen, die im Frühjahr schon den Anstieg stoppten, bleiben sicherlich notwendig. Strengere Maßnahmen sind mit den vorliegenden Daten aber nicht zu begründen und auf jeden Fall nicht verhältnismäßig. Ohnehin plädieren viele Fachleute, voran Praktiker des Gesundheitswesens, dafür, mehr den Schutz der Risikogruppen in den Fokus zu nehmen.

Kein Anstieg der Intensivbettenbelegung

»» siehe auch das Update, 09.12.2020 dazu

Eine drohende Überlastung der Krankenhäuser und vor allem der Intensivstationen war ein Hauptargument für die am 28. Oktober 2020 beim Bund-Länder-Gipfel beschlossenen, erheblichen Kontaktbeschränkungen, die ab 2. November in Kraft traten. Schaut man sich die Zahl von Covid-19-Patienten auf Intensivstationen an, so gingen sie in der Tat steil nach oben. Waren am 12. Oktober 590 mit dem neuen Virus infizierte Patienten in intensivmedizinischer Behandlung so stieg ihre Zahl innerhalb von vier Wochen auf 3004.

Um die Beschlüsse zu rechtfertigen, muss man sich nur, wie unten abgebildet das ZDF, darauf beschränken, den Anstieg von Covid-19-Patienten zu präsentieren. Diese Trendreihen werden täglich von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) online veröffentlicht.

Trendreihen der DIVI-Intensivregisterdaten zur Belegung von Intensivbetten durch Covid-19-Patienten  Screenshot aus: Intensivbetten: Auslastung steigt, ZDF heute journal vom 27.10.2020  

Zahlenangaben ohne Bezugsgrößen sind allerdings nie seriös. In diesem Fall müssten sie, um eine vernünftige Einschätzung zu ermöglichen, zusammen mit der gesamten Entwicklung der Belegung von Intensivbetten, freien Betten und Reserven gezeigt werden. Auch deren Verläufe werden auf der DIVI-Seite in verschiedenen Diagrammen graphisch dargestellt (die Zeitreihen funktionieren nicht mit Firefox).

Den besten Überblick erhält man, wenn man zwei der dort zu findenden Diagramme kombiniert, die „Gesamtzahl gemeldeter Intensivbetten (betreibbare Betten und Notfallreserve)“ und „Anzahl gemeldeter intensivmedizinisch behandelter COVID-19-Fälle an Anzahl belegter Intensivbetten“:

Zeitreihen: Intensivbettenbelgung - Corona - freie Betten - Notfallreserve - 18.11.2020
„Gesamtzahl gemeldeter Intensivbetten (betreibbare Betten und Notfallreserve)“ und „Anzahl gemeldeter intensivmedizinisch behandelter COVID-19-Fälle an Anzahl belegter Intensivbetten“
Kombination von Screenshots der DIVI-Diagramme vom 19.11.2020vergrößern

DIVI-Anmerkungen zu den Zeitreihen:
Der allmähliche Anstieg der Bettenzahlen zu Beginn liegt daran, dass das Register noch im Aufbau war und die Krankenhäuser erst sukzessive begannen, ihre Belegungsdaten zu melden..
Die vertikalen grauen Linien markieren Ereignisse der Register-Entwicklung mit Einfluss auf die Daten: 03.04.2020 Datenbankmigration, 16.04.2020 Beginn der Meldepflicht, 20.07.2020 Einführung Behandlungsschwerpunkte, 03.08.2020 neue Kapazitätserfassung für Intensivbetten.
Die Zeitreihen zu belegten Betten, freie (d.h. auch nutzbare, Betten) und Notfallreserve sind gestapelte Flächendiagramme: Die 3 Flächen zeigen die jeweilige Anzahl an einem Tag, sowie die Notfallreservekapazität. Durch das „aufeinander stapeln“ (addieren) verdeutlichen sie auch die vorhandene Gesamtkapazität. Die Notfallreserve (innerhalb von 7 Tagen aktivierbar) wird erst seit dem 03.08.20 erfasst.
Die COVID-19-Fälle werden als überlagertes Flächendiagramm dargestellt. Diese Zeitreihe (brauner Bereich) zeigt den Anteil der COVID-19 Intensivpatient*innen an den belegten Intensivbetten, der nicht davon überdeckte dunkelblaue Bereich den Anteil der sonstigen Intensivpatienten*innen. (Weitere Erklärungen finden man  in den FAQs der DIVI-Homepage.)

Die Daten aus dem DIVI-Register sind wesentlich aussagekräftiger als die Entwicklung der täglicher Neuinfektionen, bzw. positiver Testfälle. Sie sind nicht von anderen Faktoren, wie Testanzahl abhängig und kennen auch keine Dunkelziffern. Sie enthalten nur kleinere Schwankungen, durch Verzögerungen der Meldungen..

Wie man anhand der DIVI-Daten sehen kann, hat sich die Belegung der Intensivbetten insgesamt seit dem Sommer kaum verändert. Anfang November waren mit 20.921 sogar noch etwas weniger belegt gewesen, als Ende August mit 21.043. Auch zwei Wochen später waren es nur rund 300 mehr. Diese Angaben werden bei den täglichen Alarmmeldungen unterschlagen.

Merkwüdig schrumpfende Gesamtkapazität

Irritierend ist die Abnahme der freien Kapazität trotz fast gleichbleibender Belegung. Die Gesamtkapazität ohne Notfallreserve, die am 4. August, d.h. nach der Umstellung der Erfassung bei fast 31.000 Betten lag, fiel am 18. November unter 28.300, Tendenz weiter fallend. Die Verringerung wird mit Personalmangel begründet. Diesen gibt es sicherlich. Die Expertengruppe um die ehemaligen „Gesundheitsweisen“ Prof. Matthias Schrappe  und Prof. Gerd Glaeske fragt sich in aber ihrem Thesenpapier 6.1, „ob es sich hier nicht um Intensivbetten handelt, […] für die öffentliche Fördermittel geflossen sind, und für die während des ersten Lockdowns auch Freihalte-Prämien ausgelobt wurden“. Da die vom Bund bewilligte Freihaltepauschale die Kosten für ein Bett nicht decken, zahlten die Länder den Rest. Diese Ausgleichszahlungen liefen Ende September aus.

An sich hätte die Zahl der Betten im Sommer auch höher sein müssen. Es fehlten 7305 Intensivbetten, „die auf Grund der ausgezahlten Förderbeträge rein rechnerisch aber vorhanden sein müssten“, meldete der Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Thomas Steffen. Statt 32.500 hätten es im Juli aufgrund der ausgezahlten Steuermillionen über 39.700 Betten sein müssen. (Wo sind 7305 Intensivbetten geblieben?, Tagesschau, 16.07.2020)

„Mit“ oder „wegen“ Corona

Wenn die Gesamtzahl der belegten Betten bisher weitgehend konstant blieb, obwohl die der Covid-19-Patienten stark stieg, so liegt das wahrscheinlich zu einem guten Teil daran, dass auch hier alle Patienten, die positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden, unabhängig von ihrer primären Erkrankung, als „Covid-19-Fälle“ gezählt werden. Dies hat sowohl die DIVI als auch das RKI auf eine Anfrage von Prof. Christof Kuhbandner bestätigt. „Selbst wenn demnach beispielsweise eine Person wegen eines Autounfalls auf Intensivstation liegen würde“, so Kuhbandner, „und ein positives SARS-CoV-2-PCR-Testergebnis aufweist ohne jede weitere COVID-19-spezifische Symptomatik, würde diese Person als ‚COVID-19-Intensivpatient‘ zählen.“ (Christof Kuhbandner, Corona-Lockdown: Droht tatsächlich eine akute nationale Gesundheitsnotlage?, Telepolis, 29.10.2020)

Analog zur gängigen Bezeichnung „Todesfälle, die mit oder an Corona“ starben, müsste man also auch hier von „Intensiv-Patienten mit oder wegen Corona“ reden.

Die Zunahme von Patienten, die tatsächlich an Covid-19 erkrankten, d.h. dafür spezifische Krankheitssymptome zeigen, könnte jedenfalls deutlich geringer sein als der Anstieg positiv getesteter Intensivpatienten. Prof. Christian Karagiannidis, der Sprecher des „Intensivregisters“, schätzt jedoch, dass „mehr als 90 Prozent der coronapositiven Intensivpatienten ‚wegen‘ Covid-19“ behandelt werden müssten. Er vermutet, dass die gleichbleibende Gesamtbelegung, darauf zurückzuführen sei, dass in etlichen Kliniken bereits Operationen verschoben worden seien. („Wegen“ oder „mit“ COVID-19? , Telepolis, 13.10.2020)

Das ist sicherlich geschehen, aber, angesichts der bisher noch ausreichenden Kapazitäten, kaum in einem Umfang, dass alle 3.500 durch Corona-Patienten belegten Betten kompensiert wurden. Plausibler ist Kuhbandners Vermutung, dass die Zahl der Corona-Fälle durch häufigere Tests steigt. Diese liefern, wie zahlreiche Studien und Beispiele zeigen, häufig falsch positive Befunde, vor allem weil viele gängige Testverfahren auch bei anderen Coronaviren anschlagen. Ein guter Teil der Zunahme von Corona-Fällen auf Intensivstationen, könnte, so Kuhbandner, auf die übliche saisonal bedingte Ausbreitung dieser Erreger zurückgehen.

Entwicklung der Bettenauslastung

Tatsächlich erhöht hat sich allerdings um fast ein Siebtel der Anteil der Patienten, die eine hohe Versorgungsstufe („High-Care“) benötigen. Die Zahl derer, die einen ECMO Behandlungsplatz, d.h. eine Herz-Lungen-Maschine benötigen, hat sich sogar mehr als verdoppelt. Das könnte teilweise an der größeren Gefährlichkeit von Covid-19 liegen. Einer Studie des RKI zufolge ist bei ihr der Anteil sehr schwerer Verläufe um gut 50% höher als bei der Grippe. (RKI Studie: Höhere Letalität und lange Beatmungsdauer unterscheiden COVID-19 von schwer verlaufenden Atemwegsinfektionen in Grippewellen, RKI, 28.08.2020) Damit steigt natürlich auch bei gleichbleibender Belegungszahl die Belastung des Krankenhauspersonals.

Wochen-beginnLow-CareHigh-CareECMOITS-Betten ges.ECMO beatmetITS mit COVID-19
31.08.202014.0816.96213121.04352%246
28.09.202014.1256.97514021.10054%353
26.10.202013.7267.29915121.02546%1.362
02.11.202013.6917.23019820.92152%2.243
09.11.202013.3957.57525320.97056%3.005
16.11.202013.6057.75028421.35556%3.436
23.11.202013.4187.91531021.33357%3.742

Entwicklung der Bettenauslastung aufgeschlüsselt nach niedriger („Low Care“) und hoher („High-Care“) Versorgungsstufe, sowie die Angabe der belegten ECMO Behandlungsplätze (mit Herz-Lungen-Maschine)
 Quelle: DIVI Tagesreport-Archiv (Definitionen Low-, High-Care und ECMO auf https://www.intensivregister.de/#/faq)

Doch auch andere schwere Erkrankungen nehmen im Herbst stark zu, darunter ambulante, also nicht im Krankenhaus erworbene, Lungenentzündungen. Da die Mortalität hospitalisierter Covid-19 Patienten von anfänglichen 40% auf jetzt 6% fiel, ist die von stationär behandelten Patienten mit einer ambulanten non-Covid-19-Pneumonie höher (8-13%). (s. Fact Sheet Nr. 2  zum Thesenpapier 4.1 der Autorengruppe um Prof. Dr. med. Matthias Schrappe, 08.10.2020.)

Keine Zunahme schwerer Atemwegserkrankungen

»» siehe auch das Update v. 09.12.2020 dazu.

Eine Studie der Initiative Qualitätsmedizin (IQM) analysierte anhand der Abrechnungsdaten von 421 Kliniken „Effekte der SARS-CoV-2 Pandemie auf die stationäre Versorgung im ersten Halbjahr 2020“ (IQM, 27.10.2020).
In den beteiligten Krankenhäuser, darunter 18 Unikliniken, wurden im ersten Halbjahr 2020 rund 2,8 Mio. Fälle behandelt, die ca. 35% aller deutschen Krankenhausfälle repräsentieren. Sehr deutlich zeigt sich dabei der drastische Rückgang der Behandlung anderer Krankheiten als Covid-19 im Frühjahr dieses Jahres, selbst der von Herzinfarkten und Lungenkrebs.

Zahl der Intensivbehandlungen 2020 niedriger

Die Studienautoren betrachteten auch alle Fälle in den Jahren 2019 und 2020, bei denen eine schwere infektiöse Atemwegserkrankung (Severe Acute Respiratory Infection, SARI) vorlag. Interessanterweise war die gesamte SARI-Fallzahl im ersten Halbjahr 2019 mit 221.841 Fällen höher als 2020 mit insgesamt 187.174 Fällen, obwohl darin auch die durch Covid-19 bedingten Fälle enthalten sind.

Quelle: Initiative Qualitätsmedizin (IQM), 27.10.2020

Beim Verlauf der Intensivaufenthalte und der Anzahl der maschinell beatmeten Patienten wurde ebenfalls keine Zunahme im Vergleich zu 2019 festgestellt. Im Gegenteil, die Anzahl von Intensivfällen war im Lockdown deutlich geringer und die Beatmungsfälle blieben weitgehend unverändert. Dies ist wohl die Folge der weitreichenden Maßnahmen und Regulationen, durch die im Lockdown Krankenhausbehandlungen beschränkt und nicht dringliche Behandlungen nach hinten verschoben worden waren.

Quelle: Initiative Qualitätsmedizin (IQM), 27.10.2020

Auch wenn der IQM-Vorstand sich in einem, der Studie nachträglich beigefügten Statement dagegen verwahrt, dass ihre Auswertungen genutzt werde, um „die Relevanz sowie die Auswirkungen von COVID-19 zu verharmlosen“, so deuten die Zahlen doch eindeutig daraufhin, dass die Corona-Epidemie weniger dramatische Auswirkungen hatte, als zunächst befürchtet wurde. Sie sind ein weiteres starkes Indiz dafür, dass ein erheblicher Teil der Patienten, die als Corona-Fälle gezählt werden, primär wegen anderen Erkrankungen auf die Intensivstation verlegt werden mussten, d.h. „mit Corona“ und nicht „wegen“.

Vier von fünf Corona-Fällen ohne nachgewiesene Infektion

Insgesamt waren von den 187.174 SARI-Fällen 11.132 (5,9 %)  positiv auf Covid-19 getestet worden, bei 11.206 gab es nur einen Verdacht. Die Studienautoren machten zudem die erstaunliche Beobachtung, dass bei weiteren rund 35.000 Patienten ein Covid-19-Verdacht kodiert worden war, ohne dass sie an einer SARI litten. Damit lag bei insgesamt rund 46.000 Patienten, d.h. bei vier von fünf Corona-Fällen, nur ein Verdacht vor.

Als wahrscheinlichste Erklärung erscheint den Autoren, „dass in Anbetracht der medialen Präsenz des Themas und der damit einhergehenden Aufmerksamkeit, Fälle mit passender Symptomatik selbst dann als Covid-19-Verdacht behandelt wurden“, wenn der PCR Test negativ blieb. Dadurch wurden jedoch die gemeldeten Zahlen der von Corona-Patienten belegten Intensivbetten stark in die Höhe getrieben.

Saisonaler Anstieg von Infektionen und Todesfällen im Herbst

»» Update, 12.12.2020 Sterbefallzahlen rechtfertigen keinen Lockdown
Das Update berücksichtigt die neuen Sterbefallzahlen und geht auf die vom Statistischen Bundesamt gemeldete Übersterblichkeit für KW 46 ein.

Ein ähnliches Bild erhält man auch, wenn man sich die Entwicklung der Sterbefälle anschaut. Da auch andere Erkältungs- und Lungenkrankheiten zum Teil tödlich enden, steigt die Zahl der wöchentlichen Toten jedes Jahr ab Mitte September an, von durchschnittlich 16.000 auf 18.000 bis 19.000 Mitte Dezember. (s. Wöchentliche Sterbefallzahlen in Deutschland des Statistischen Bundesamts). Ab dann treibt die Grippesaison die Zahlen noch weiter in die Höhe.

KWDatum20162017201820192020davon
Covid-19
3631.08 – 06.09.16.01615.70616.39015.98816.55036
3814.09.-20.09.15.60616.505 16.65116.50017.43050
4028.09.– 04.10.16.35216.66416.66216.89917.99376
4105.10. – 11.1017.42717.47016.99317.66616.925106
4112.10. – 18.1017.59917.13916.55217.71317.189212
4319.10. – 26.1017.58617.05916.60817.23718.011351
4426.10.-01.11.17.580 16.76216.89517.48818.030687
5007.12. – 13.12.18.98518.50417.94319.101  
5328.12. – 03.01.19.74418.65217.95418.204  
Zunahme KW 36 – KW 502.9692.7981.5533.113

Quelle: Wöchentliche Sterbefallzahlen in Deutschland des Statistischen Bundesamts,
Stand 27.11.2020

Auch dieses Jahr stieg die Zahl der wöchentlichen Toten von 16.550 Anfang September auf über 18.000 Ende Oktober. Die Covid-19-Fälle reihen sich nun einfach ein. Die Zahlen der letzten Wochen sind zwar in diesem Jahr höher als in den letzten Jahren, jedoch schon seit der Kalenderwoche 36, also zu einer Zeit, als die Zahl der Covid-19-Todesfälle noch unter 100 pro Woche lag.

Wöchentliche Sterbefallzahlen in Deutschland. Verlauf der Jahre 2016-2020
Quelle: Statistisches Bundesamts, Stand 27.11.2020
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Das Diagramm des Statistischen Bundesamts mit den Zeitreihen der wöchentlichen Zahlen in den Jahren 2016 bis 2020 zeigt den prinzipiellen Trend, mit dem tiefesten Stand im Sommer mit Ausnahme von Hitzeperioden, sowie auch die starken Schwankungen von Woche zu Woche.

Der Verlauf folgt auch in den letzten Wochen dem Trend der Vorjahre. Der Anstieg der Corona-Fälle auf 687 in KW 44 schlägt nicht auf die Gesamtzahl von 2020 durch. Alle Unterschiede liegen noch im Bereich der üblichen Schwankungen.

Covid-19 statt Grippe oder Lungenentzündung

Dass die Gesamtzahl nicht mit der Zahl der Covid-19-Todesfälle steigt war zu erwarten, da ein erheblicher Teil nicht an dem neuen Erreger starb, sondern nur positiv auf ihn getestet wurde. Zudem scheint dieser die altbekannten Erreger in diesem Herbst zu ersetzen. So folgt die wöchentliche Anzahl stationär behandelter Fälle mit schweren infektiösen Atemwegserkrankung (SARI) demselben Muster wie die Intensivbettenbelegung. Die Gesamtanzahl der SARI-Fälle im wöchentlichen Influenzabericht des RKI bleibt gleich (bzw. sinkt sogar leicht) während der Anteil mit einem positives PCR-Testergebnis auf SARS-CoV-2, stark ansteigt. Das gleiche Bild zeigt sich auch außerhalb der Kliniken. Den Influenza Wochenberichten zufolge ist die Zahl der Atemwegserkrankungen in den letzten Wochen, trotz steigender Corona-Fallzahlen, nicht gestiegen. (Christof Kuhbandner, Corona-Lockdown: Droht tatsächlich eine akute nationale Gesundheitsnotlage?, Telepolis, 29.10.2020)
Dies kann teilweise daran liegen, dass die Maßnahmen gegen Corona natürlich auch vor anderen Erreger schützen. Da auch deren Verbreitung dadurch sicherlich nicht völlig unterbunden wird, kann ein solcher Effekt aber alleine eine hohe Infektionsrate mit Covid-19 nicht vollständig kompensieren.

Auch die sonstigen Todesfälle sind nicht durchweg Schicksal. Viele wären wohl vermeidbar gewesen, wenn z.B. entschiedener gegen Luft- und Umweltverschmutzung vorgegangen würde oder andere gefährliche Krankheiten nur annähernd die Aufmerksamkeit erhielten, wie Covid-19. So sind die im Herbst ebenfalls zunehmenden ambulanten Lungenentzündungen in Westeuropa unter allen Infektionskrankheiten die häufigste Todesursache. Würde man auch auf deren Erreger millionenfach testen, könnte man auch hier jeden Herbst dramatische Zuwächse sehen. Ausgelöst durch Bakterien und Viren erkranken jedes Jahr durchschnittlich 750.000 Menschen daran. 2016 mussten 291.000 deswegen ins Krankenhaus, 13 Prozent dieser Patienten – mehr als 30.000 ‒ starben. (s. Lungenentzündung: 30.000 Tote jedes Jahr in Deutschland, Berliner Morgenpost, 11.07.2018)

Britische Statistikbehörde: Keine 2. Welle ersichtlich

Eine saisonale Entwicklung der Sterblichkeit, wie in Deutschland, gibt es analog auch in anderen Ländern. Auch in Großbritannien steigt die Zahl der Todesfälle ab Oktober stark an. Die britische Nationale Statistikbehörde (Office of National Statistics ONS) sieht daher trotz höherer Infektionsraten keine Anzeichen für eine 2. Welle. Ihre Daten würden ein normales Sterblichkeitsniveau für die Jahreszeit zeigen. Die Zahl der Todesfälle liege nur 1,5 Prozent über dem Fünfjahresdurchschnitt und bewege sich auf einer für die Jahreszeit normalen Verlaufskurve. Obwohl die Zahl der Covid-19-Todesfälle in der Woche bis zum 9. Oktober auf 438 anstieg, habe die Gesamtzahl der Todesfälle nur 143 über dem Fünfjahresdurchschnitt gelegen. In der Regel gäbe es in dieser Woche etwa 1.600 Todesfälle durch Grippe und Lungenentzündung, in diesem Jahr läge diese Zahl plus Covid-19-Fälle, bei 1.621. Vermutlich würden Menschen, die in anderen Jahren an Grippe oder Lungenentzündung gestorben wären, nun an Covid-19 sterben. (s. No sign of second wave‘ as ONS data shows normal level of deaths for time of year, Telegraph, 20.10.2020)

Es ist anzunehmen, dass es hierzulande nicht anders ist. Hinzu kommt, dass aufgrund der Vorgaben der europäischen Seuchenschutzbehörde, auch Tote als Covid-19-Fall gezählt werden, die an anderen Krankheiten starben, sofern sie zuvor positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden waren.

Jährliche Engpässe bei Intensivbetten

Auch wenn die Gesamtzahl der belegten Intensivbetten nicht steigt, gibt es häufig regionale Engpässe. Dies ist aber in der kälteren Jahreszeit nicht ungewöhnlich. Jahr für Jahr kommt es hier zu Engpässen. So berichtete der NDR im Dezember 2018 und erneut im Februar 2020, dass in norddeutschen Regionen sich zeitweise 25 bis 40 Prozent der Kliniken im Herbst und Winter bei den Rettungsleitstellen als komplett belegt abmeldeten, in erster Linie wegen fehlendem Personal.

Während der besonders heftigen Grippewelle 2017/2018 waren die Kliniken mit rund 60.000 Hospitalisierten völlig an den Rand ihrer Kapazität geraten und mussten viele Intensivstationen einen Aufnahmestopp verhängen. Der Mehrheit der Kliniken fehlte im Intensivbereich auch damals vor allem Personal, da bundesweit 3.150 Pflegestellen unbesetzt waren. (s. Jens Berger, Personalengpass auf den Intensivstationen – das Versagen der Politik wird abgewälzt, NachDenkSeiten, 3.11.2020)
Die Situation hat sich seither offensichtlich nicht verbessert.

Besonders dramatisch wird die Situation immer in Kinderkliniken. Hier herrscht ein besonders eklatanter Mangel, da aufgrund des höheren Aufwands bei der Betreuung von Kindern, die Kosten nicht von den Fallpauschalen abgedeckt werden. (Notfälle abgewiesen – Kinderkliniken an der Kapazitätsgrenze, DLF, 13.10.2020)

Obwohl die Politik den Anschein erweckt, ihr Fokus liege seit dem Frühjahr völlig auf der Bewältigung der Corona-Pandemie, und obwohl ein Anstieg von Infektionen im Herbst absehbar war, wurde auch in diesem Jahr kaum etwas in Bezug auf Ausbau der Krankenhauskapazitäten getan. Corona wird nun stattdessen von den Verantwortlichen auch dazu genutzt von diesem Versäumnis und der allgemeinen Krankenhaus-Misere abzulenken.

„Kollateralschäden“ und der fehlender Blick auf die Verhältnismäßigkeit

Die Wahrscheinlichkeit, dass es gelingt, die „7-Tage-Inzidenz“ im Herbst und Winter wieder unter 50 zu drücken, ist sehr gering. Vermutlich wird sie sich unabhängig von mehr oder weniger strengen Maßnahmen auf einem durch die kalte Jahreszeit bedingten Niveau einpendeln. Es ist möglich, dass dadurch auch die Zahl der Toten stärker als in den Vorjahren steigt.

Wenn nun aber die politisch Verantwortlichen dieselbe Medizin, die in den letzten Wochen nicht half, aber schwere Nebenwirkungen hat, weiter verabreichen ‒  womöglich sogar in höherer Dosis ‒ so muss der verängstigten Öffentlichkeit stärker ins Bewusstsein gebracht werden, dass auch Lockdown-Maßnahmen und Panikmache Todesopfer fordern.

Einige, z.B. durch Suizid oder verschleppte Behandlungen gefährlicher Erkrankungen, können schon zeitnah auftreten, andere z.B. durch Alkoholismus oder Drogensucht erst in Jahren. Die Kaufmännische Krankenkasse KKH verzeichnete z.B. im ersten Halbjahr 2020 eine Zunahme von psychischen Erkrankungen um gut 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. (Krankenstand explodiert – vor allem bei Frauen, KKH, 3.8.2020)

Die Anti-Corona-Verordnungen vergrößern, wie die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung in einer Studie darlegte, die soziale Ungleichheit in Deutschland und lassen vor allem die weiter verarmen, die bereits bisher kaum genug zum Leben hatten. (Einkommenseinbußen durch Corona, Hans-Böckler-Stiftung  Böckler Impuls 17/2020, 5.11.2020, s.a. Christoph Butterwegge, Corona, Armut und Reichtum, Ossietzky, 18/2020, 19.9.2020)

Mit steigender Armut sinkt jedoch auch die Lebenserwartung drastisch. (mehr dazu im Kapitel Soziale Folgen ‒ die vernachlässigte Seite der Gleichung, in Lockdown gegen Corona: unverhältnismäßig und verantwortungslos)

Erste Schätzungen der Corona-Maßnahmen-Opfer

Das Gros der Todesopfer und verlorenen Lebensjahre infolge der Anti-Corona-Maßnahmen wird man in offiziellen Statistiken über Todesursachen nicht identifizieren können. Dazu wären gezielte Studien nötig.

Eine von Medizinern des Klinikums Hochrhein in Waldshut-Tiengen durchgeführte Untersuchung kann eine Vorstellung der Größenordnungen vermitteln. Sie haben die Todesfälle in ihrem Landkreis während des Lockdowns mit den Jahren 2016 bis 2019 verglichen. Demnach starben im diesjährigen April 227 Menschen und damit 62 mehr, als durchschnittlich im selben Monat in den Jahren zuvor. Diese Zunahme um 37 Prozent bedeutet eine deutliche Übersterblichkeit in diesem Jahr. (Kollateralschäden der Pandemie, Erste Untersuchung an deutscher Klinik deutet an, wie tödlich der April-Lockdown war, FOCUS-Online, 11.11.2020)

Von den 62 Toten waren aber nur 34 positiv auf Sars-Cov-2 getestet worden, 28 Personen (45 Prozent) starben ohne einen Bezug zum Virus. Als hauptsächliche Ursachen vermuten die Studienautoren, dass viele Menschen mit einer schweren Erkrankung aus Angst vor dem Virus nicht oder verspätet einen Arzt oder Krankenhaus aufgesucht haben. (s. dazu auch Corona-Independent Excess Mortality Due to Reduced Use of Emergency Medical Care in the Corona Pandemic, medRxiv, 28.10.2020)

Diese Menschen wären dann zu einem guten Teil Opfer der gängigen Berichterstattung durch Politik, tonangebende Wissenschaftler und Medien. Statt die vom neuen Virus ausgehende Gefahr realistisch darzulegen und den Ernst der Lage verdeutlichen, ohne zu übertreiben, wurde und wird Hysterie und Panik geschürt (s. Coronakrise: Kommunikationsstrategien und eine unterdrückte Debatte).

Ein offizieller britischer Regierungsbericht vom Juli des Jahres schätzt die Zahl der Todesopfer in Großbritannien in Folge des ersten Lockdowns im Frühjahr auf 200.000, die meisten aufgrund verschobener und verspäteter Behandlungen. (Lockdown may cost 200,000 lives, government report shows, The Telegraph, 19.7.2020).  

Vier US-Wissenschaftler, die auch die Folgen von Verarmung berücksichtigten, schätzten dass er für die USA bereits zu einem Verlust von mehreren Millionen Lebensjahren führen wird. (Scott W. Atlas, John R. Birge, Ralph L Keeney and Alexander Lipton, The COVID-19 shutdown will cost Americans millions of years of life, The Hill, 25.5.2020)

Fazit

Für Personen, die an ihm erkranken, kann der neue Virus selbstverständlich sehr gefährlich sein ‒ abhängig vom Alter und Vorerkrankungen. Er kann bei ungebremster Ausbreitung auch eine Bedrohung für die Gesamtbevölkerung bedeuten. Diese erscheint aber bei der Betrachtung der Entwicklung der Intensivbettenbelegung, der Sterblichkeit und des sonstigen Infektionsgeschehen unter saisonalen Gesichtspunkten geringer, als sie von den politischen Verantwortlichen und auch den meisten Medien  dargestellt wird. Eine Überlastung der Krankenhäuser und Intensivstationen, deren Vermeidung ja offiziell das hauptsächliche Ziel der Anti-Corona-Maßnahmen ist, ist nicht in Sicht.

Die Krankenhäuser seien im Frühjahr „weit davon weg“ gewesen, „nicht genug freie Intensivkapazitäten zu haben“, sagte der Chef der Helios-Kliniken, Francesco De Meo, der FAZ. „Unsere Krankenhäuser können ganz erheblich mehr an COVID-19 verkraften, als wir im März angenommen haben.“ Aus den Meldedaten der Gesundheitsämter könnten sie eine Woche im Voraus gut erkennen, wie viele schwere COVID-19-Fälle auf das Gesundheitssystem zukommen. „Diese Woche reicht uns, um das Krankenhausgeschehen komplett umzustellen.“

Es wird daher Zeit, statt in erster Linie auf restriktive Eindämmungsmaßnahmen zu setzen, endlich die Empfehlungen von Experten aufzugreifen, die ein gezielteres Vorgehen vorschlagen. Bisher wurden die Vorschläge von Ärztevertretern und Praktikern des Gesundheitswesens, wie die Leiter von Gesundheitsämtern, ebenso weitgehend ignoriert, wie die von zahlreichen renommierten Wissenschaftlern. Diese sind sich darin einig, dass wir mit dem Virus leben müssen, Lockdowns nicht zielführend sind und stattdessen vor allem der Schutz von Risikogruppen Priorität haben muss.

Eine Expertengruppe um Prof. Matthias Schrappe  und Prof. Gerd Glaeske hat beispielsweise seit April mehrere sorgfältig ausgearbeitete „Thesenpapiere“ vorgelegt (siehe www.matthias.schrappe.com). Zu ihren neun Autoren zählen ehemalige Mitglieder des Sachverständigenrats Gesundheit der Bundesregierung, Medizinprofessoren, Fachleute der Krankenkassen und der Hamburger Rechtsmediziner Prof. Klaus Püschel.

Im aktuellsten „Thesenpapier 6.1“ erläutern sie u.a., dass vom Teil-Lockdown kaum eine signifikante Wirkung zu erwarten und ein Grenzwert von „50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner“ völlig außer Reichweite sei. Vor allem vor dem Hintergrund, dass viele Menschen asymptomatische Krankheitsverläufe hätten und unwissend andere ansteckten, sei die Epidemie durch lineare Konzepte nicht zu erfassen. Die bisherige Strategie wäre daher völlig ungeeignet und gefährde sogar die Risikogruppen.

Außerdem würden positive Nachrichten kaum kommuniziert, sondern weiterhin Horror-Szenarien die öffentliche Kommunikation überschatten. Dabei sei beispielsweise die Mortalitätsrate seit Ausbruch der Pandemie durch bessere Behandlungsmöglichkeiten deutlich gesunken. (Zusammenfassungen findet man u.a. in der Hamburger Morgenpost und der Welt.)

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