Letztes Update 20.10.20
In den letzten Tagen häufte sich Kritik aus den Reihen von Praktikern des Gesundheitswesens am Umgang der Politik mit der Corina-Krise, darunter von:
- Prof. Dr. med. René Gottschalk, Infektiologe und Leiter des Gesundheitsamtes in Frankfurt a.M und Prof. Dr. med. Ursel Heudorf, seine frühere Stellvertreterin
- Dr. med. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
- Walter Plassmann, Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg,
- Prof. Dr. med. Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie an der München Klinik Schwabing, während einer Online-Pressekonferenz von Intensivmedizinern
- Prof. Dr. med. Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin
- Prof. Dr. Stefan Willich, Direktor des Instituts für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie an der Berliner Charité,
- Dr. Friedrich Pürner, Epidemiologe und Chef des Gesundheitsamts Aichach-Friedberg bei Augsburg
- Dr. med. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer
- Dr. med. Edgar Pinkowski, Präsident der Landesärztekammer Hessen
Auszüge aus ihren Stellungnahmen und Einschätzungen, sowie die jeweiligen Quellen werden unten wiedergegeben, ergänzt um ähnliche Aussagen des Virologe Hendrik Streeck, der zu den Pragmatikern seiner Zunft gehört und schließlich ein Statement seines einflussreicheren Kollegen Christian Drosten von 2014, in der er sich noch sehr kritisch zur Testgenauigkeit von PCR-Tests äußert.
Zusammenfassung
Für sie, so der Tenor der kritischen Fachleute, hat das, was sie und ihre Kollegen im Alltag erleben, wenig mit dem zu tun, was Politik und Medien verbreiten. Tonangebend seien Experten mit einem eng auf ihr Fachgebiet fokussierten Blick, in erster Linie Virologen.
Das Vorgehen entspreche daher auch nicht dem, was fachlich – auf Basis von Erfahrungen, ausgearbeiteten Epidemie-Plänen und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen über den neuartigen Corona-Virus – geboten wäre. Auch wenn die Zahl von Positiv-Tests pro Tag steige, warnen sie vor “falschem Alarmismus”, dem unnötige Schüren von Ängste und verlangen die Aufhebung der neuen “absurden Regeln”.
“Wir müssen aufhören, auf die Zahl der Neuinfektionen zu starren wie das Kaninchen auf die Schlange,” so der Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen. “das führt zu falschem Alarmismus. Selbst 10.000 Infektionen täglich wären kein Drama” solange nur so wenig schwer erkranken, wie im Moment.
Im Frühjahr habe es pro Tag bei 4.000 Neuinfektionen bis zu 150 Corona-Tote gegeben, “jetzt sind es einstellige Sterbezahlen. Wohlgemerkt bei – unabhängig von Corona – 2.500 bis 3.000 ‘normalen’ Sterbefällen pro Tag. So lange das Verhältnis so bleibt, sind Neuinfektionen im fünfstelligen Bereich kaum relevant.” Eine Überlastung des Gesundheitssystems habe es im Frühjahr nicht gegeben, und sei auch in Herbst und Winter nicht abzusehen, sagte der Mediziner.
Auch die anderen kritisieren die Fokussierung auf die Zahl der Positiv-Tests, die von Politik und Medien meist auch irreführend als “Infektionszahlen” bezeichnet werden. Zum einen weil auch die recht genauen PCR-Tests natürlich falsche Befunde liefern und beim Testen in Bevölkerungsgruppen mit einer geringen “Prävalenz”, d.h. einem geringem Prozentsatz von Infizierten, daher ein hoher Anteil von falsch positiven Ergebnissen zu erwarten ist.
Zum andern sagt„ein PCR-Test alleine …nichts über eine mögliche Infektiosität des Betroffenen aus,“ stellen der Leiter des Frankfurter Gesundheitsamtes Prof. Gottschalk und seine pensionierte Stellvertreterin Prof. Heudorf fest.
Die Zahl müsse vielmehr in Relation dazu gesetzt werden, wie die Altersverteilung der Infizierten ist, wie viele im Krankenhaus behandelt werden und wie viele überhaupt Symptome entwickeln, so auch die hessische Ärztekammer in einer Pressererklärung in der sie vor Panikmache wegen der steigenden Fallzahlen warnt. „Nur so erhalten wir einen Überblick über das tatsächliche Infektionsgeschehen.“
Der Kassenärztechef Andreas Gassen forderte daher die Schwelle von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner, ab der Kreise und Städte zu Risikogebieten erklärt werden, deutlich anzuheben: Die Zahl 50 stamme aus einer Zeit mit wöchentlich 400.000 Tests und hoher Positiven-Rate. Inzwischen werde dreimal so viel getestet bei viel weniger Test-Positiven.”Viel mehr Tests, viel weniger Positive: Vor dem Hintergrund könnte man nach Berechnungen des Zentral-Instituts der kassenärztlichen Versorgung die kritische Schwelle auf 136 hochziehen, um das gleiche Risiko abzubilden.“
Kritisiert wird auch das sture Festhalten am Fokus auf Eindämmung des Virus. “Die Erfahrung aus früheren Pandemien zeige aber,” so Gesundheitsamtleiter Gottschalk und seine Kollegin Heudorf, “dass das Containment ab einer gewissen Ausbreitung eines neuartigen, leicht übertragbaren Virus nicht mehr funktionieren kann, insbesondere, wenn das Virus viele asymptomatische und leichte Infektionen verursacht und die Infizierten unerkannt zu Überträgern werden.” In ihrem Ärzteblatt-Artikel stellen sie fest, dass “die teilweise sehr einschneidenden Maßnahmen … von politisch Verantwortlichen angeordnet” wurden, “ohne dass die Erfahrungen früherer Pandemien ausreichend berücksichtigt wurden.
“Ein Problem hierbei war (und ist), dass überwiegend virologische Fachexpertise zur Beratung genutzt wurde, um die Maßnahmen zu beschließen; Fachärzte für Öffentliches Gesundheitswesen, die für solche Situationen eine lange aufwendige Weiterbildung absolvieren müssen, waren nur selten involviert.
Auch jetzt muss man feststellen, dass man von den (richtigen) Strategien „Containment“ (Eindämmungsstrategie), „Protection“ (Schutzstrategie für vulnerable Gruppen) und „Mitigation“ (Folgenminderungsstrategie), die im nationalen Pandemieplan des Robert Koch-Institutes (RKI) beschrieben sind, komplett abweicht.
Man solle auch nicht auf Impfungen setzen, da es selbst im günstigen Fall, dass rasch eine wirksamer Impfstoff gefunden würde, Jahre dauern würde bis ein ausreichender Teil der Bevölkerung geimpft wäre.
Sie empfehlen, wie auch die anderen zitierten, sich nun endlich stärker auf den Schutz von Risikogruppen zu konzentrieren. Zukünftig soll die Beratung der politischen Verantwortlichen durch einen Beraterstab verschiedener Experten durchgeführt werden. “Hierbei müssen erfahrene Fachärzte für Öffentliches Gesundheitswesen eine wesentliche Rolle spielen.“
Und schließlich müsse die Bevölkerung sachgerecht informiert werden!
Auszüge
Walter Plassmann
Walter Plassmann, Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg, bestätigt, was mir auch schon auffiel: Kritik und Skepsis bzgl. der Corona-Politik ist besonders unter Ärzten und Ärztinnen stark verbreitet. Diesen, so Plassmann, sei “schon im April aufgefallen, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen der politisch-medialen Aufgeregtheit und dem, was sie erleben“.
(Sein Gastbeitrag im “Hamburger Abendblatt” vom 23.9.2020 liegt hinter einer Bezahlschranke, im Fokus findet man aber eine Zusammenfassung)
In seinem Beitrag griff Plassmann auch die “Virus-Mahner” Markus Söder und Christian Drosten direkt an:
“Wer die Gesellschaft mit immer neuen Hiobsbotschaften auf immer höhere Bäume treibt, der macht die Gesellschaft krank””Unter mehreren Möglichkeiten wird immer die dramatischste genommen” Es ist bezeichnend, dass die Debatte um das Sars-CoV-2-Virus von Medizinern bestimmt wird, die nicht mit dem ganzheitlichen Menschen arbeiten”, moniert er. “Virologen sehen nur sehr kleine Teile des Menschen, Epidemiologen nur Zahlenreihen und Statistikmodelle, Anästhesisten sedierte Menschen.””Das wirklich wahre Leben kommt im beruflichen Alltag der Drostens, Lauterbachs und Brauns nicht vor.”. “Es ist ja bezeichnend, dass unter denjenigen, die zur Mäßigung aufrufen, überdurchschnittlich viele Ärzte sind.” Plassmann plädiert für mehr Gelassenheit statt Corona-Panik: “Es ist kein Killervirus”
Prof. Dr. med. René Gottschalk u. Prof. Dr. med. Ursel Heudorf
Fundierter noch ist die Kritik des Leiters des Gesundheitsamtes in Frankfurt a.M, Prof. René Gottschalk. Er hat zusammen mit seiner früheren, mittlerweile pensionierten Stellvertreterin, Prof. Ursel Heudorf, fürs Hessisches Ärzteblatt die Daten, Erkenntnisse und Erfahrungen für Frankfurt zusammengefasst. (Die Covid-19-Pandemie – bisherige Erkenntnisse und Empfehlungen für das weitere Vorgehen,
und Die Covid-19-Pandemie in Frankfurt am Main: Was sagen die Daten?, Hessisches Ärzteblatt Ausgabe 10/2020 , 25.09.2020 )
Auch sie monieren das Übergewicht der Virologen in der Debatte:
Die teilweise sehr einschneidenden Maßnahmen bei dieser Pandemie wurden von politisch Verantwortlichen angeordnet, ohne dass die Erfahrungen früherer Pandemien ausreichend berücksichtigt wurden. Ein Problem hierbei war (und ist), dass überwiegend virologische Fachexpertise zur Beratung genutzt wurde, um die Maßnahmen zu beschließen; Fachärzte für Öffentliches Gesundheitswesen, die für solche Situationen eine lange aufwendige Weiterbildung absolvieren müssen, waren nur selten involviert. Man habe dabei alle Erfahrungen und Pläne einfach übern Haufen geworfen:
Auch jetzt muss man feststellen, dass man von den (richtigen) Strategien „Containment“ (Eindämmungsstrategie), „Protection“ (Schutzstrategie für vulnerable Gruppen) und „Mitigation“ (Folgenminderungsstrategie), die im nationalen Pandemieplan des Robert Koch-Institutes (RKI) beschrieben sind, komplett abweicht und derzeit ausschließlich „Containment“ betreibt, was angesichts der Fallzahlen dringend überdacht werden sollte.
Als Leiter eines Amtes, das die die Folgen der vielen, oft ohne konkreten Verdacht durchgeführten Tests ausbaden muss, zweifeln sie an der Sinnhaftigkeit massenweiser Nachverfolgung und Isolierung von Personen die gar nicht krank sind.
Ob eine “schnelle Isolierung von Indexfällen” bzw. “Quarantänisierung von Kontaktpersonen […] bei einer Erkrankung, die zum weitaus größten Teil bei den Patienten leicht oder gar asymptomatisch verläuft, sinnvoll ist, muss bezweifelt werden, zumal der Preis – neben der massiven Gefährdung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Strukturen – eine völlige Auflösung der gängigen Arbeitsabläufe in den Gesundheitsämtern ist, die ihre vielfältigen präventiven Aufgaben nicht mehr wahrnehmen können.
Sie relativieren auch die Genauigkeit der Tests:
Bei niedriger Prävalenz sind die PCR-Tests häufig falsch positiv. Ein PCR-Test alleine sagt nichts über eine mögliche Infektiosität des Betroffenen aus. […] zumal die Gesundheitsämter den positiven (oder vermeintlich positiven) Fällen nachgehen, Kontaktpersonen ermitteln und Isolierungen/Quarantänen aussprechen müssen. Vermeintlich positiv deshalb, weil die Testgenauigkeit bei der momentan vorliegenden Prävalenz von Covid-19 in der Bevölkerung ein positives Testergebnis ergeben kann, obwohl die Getesteten negativ sind – und dies gilt nur für wirklich geeignete Tests!
Dabei nehmen sie den neuen Virus keineswegs auf die leichte Schulter:
Um nicht missverstanden zu werden: Wir nehmen Covid-19 durchaus als eine ernst zu nehmende Situation wahr: Beispielsweise tagt seit dem 22. Januar 2020 jeden Tag[…] der Führungsstab im Gesundheitsamt Man solle die Gefahren aber auch nicht übertreiben, z.B. sei die Schule kein „Hochrisikoarbeitsplatz“
Auf Impfungen zu setzen, halten sie für die nähere Zukunft für verfehlt. Um auch nur die Hälfte der Frankfurter Bevölkerung zu impfen würden sie Jahre benötigen.
Sie empfehlen neben dem Üblichen, wie Abstandgebot, gute (Quer)-Lüftung, Schutz von Risikogruppen, nur bei entsprechendem Anlass (Symptome, engen Kontakt zu einem Erkanktem) zu testen und auch nur enge Kontaktpersonen in Quarantäne zu schicken. Komplette Schließung von Einrichtungen wegen einige Fälle sei allenfalls ausnahmsweise erforderlich.
Update: Am Mittwoch, 21.10.2020, kam noch ein weiterer, sehr guter Gastbeitrag von Prof. Heudorf:
Zu viel Bevormundung, zu viele Verbote: Corona-Regeln auf den Prüfstand stellen
Ohne die Eigenverantwortung der Menschen geht es nicht in der Corona-Pandemie. Vor diesem Hintergrund sollten die Regelungen überprüft werden.
Es scheint, als hätten einige der Politiker die Kontrolle über ihre Politik verloren.Aber: Nicht politischer Aktionismus und immer mehr Regelungen tun not, sondern Rationalität. Was sind die Ziele? Welche Lehren können (und müssen) aus den Erfahrungen früherer Pandemien gezogen werden?
[…]
Aufbauend auf den Erfahrungen früherer Pandemien wurden international und national Pandemiepläne erstellt. Darin sind Phasen und Ziele der Pandemiebekämpfung beschrieben: Containment (Eindämmungsstrategie), Protection (Schutz vulnerabler Gruppen), Mitigation (Folgenminderung) und Recovery (Erholung).
[…] Die erste Phase der Eindämmungsstrategie ist fokussiert auf das Erkennen einzelner Infektionen und auf Isolierungs- und Quarantänisierungs-Maßnahmen mit dem Ziel, die Verbreitung des Virus möglichst lange zu verzögern, um Zeit zu gewinnen.
Die Erfahrung aus früheren Pandemien zeigt aber, dass das Containment ab einer gewissen Ausbreitung eines neuartigen, leicht übertragbaren Virus nicht mehr funktionieren kann, insbesondere, wenn das Virus viele asymptomatische und leichte Infektionen verursacht und die Infizierten unerkannt zu Überträgern werden. Vor diesem Hintergrund sind in den Pandemieplänen die weiteren Phasen der Pandemiebekämpfung vorgesehen: 2) Protection oder Schutz vulnerabler Gruppen: „Die Schutzmaßnahmen werden auf die Personengruppen konzentriert, die ein erhöhtes Risiko für schwere und tödliche Krankheitsverläufe haben, sowie Personen, die engen Kontakt zu diesen Personen haben, zum Beispiel medizinisches Personal, und 3) Mitigation oder Folgenminderung: „Wenn eine anhaltende Mensch-zu-Mensch-Übertragung in der Bevölkerung in Deutschland stattfindet, haben die eingesetzten Schutzmaßnahmen vor allem das Ziel, schwere Krankheitsverläufe zu verhindern und Krankheitsspitzen mit einer Überlastung der Versorgungsstrukturen zu vermeiden“.
[…]
Auch das ungezielte epidemiologische Testen sollte zugunsten eines besseren Schutzes der Risikogruppen und dann einer gezielten diagnostischen Teststrategie verlassen werden. Viel hilft nicht immer viel. Wenn das umfassende ungezielte Testen dazu führt, dass die Testergebnisse verzögert vorliegen, schadet das den Patienten, die aus medizinischen Gründen rasch ein Testergebnis benötigt hätten.
Stefan Willich
Stefan Willich, Corona-Neuinfektionen: Charité-Epidemiologe kritisiert bundesweiten Schwellenwert
Mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche gelten als kritisch. Doch schon weil mehr Tests gemacht werden, sei der Grenzwert nicht mehr brauchbar.
ZEIT ONLINE, 6. Oktober 2020
Aus Sicht des Direktors am Institut für Epidemiologie an der Berliner Charité, Stefan Willich, fehlt für die statistische Einschätzung von Corona-Neuinfektionen ein “vernünftiger Bezugsrahmen”. Der jetzige Schwellenwert von 50 neuen Fällen pro 100.000 Einwohner und Woche sei vor fünf Monaten definiert worden und inzwischen nicht mehr hilfreich.
[…] “Das heißt, allein wegen der Anzahl der Testung ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass man hier diese Zahl mal überschreitet. Dann gibt es keinen vernünftigen Bezugsrahmen.”
Andreas Gassen
Zuletzt warnte letzten Samstag auch der Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ vor “falschem Alarmismus” – selbst bei einem Anstieg auf über 4.000 Positiv-Tests pro Tag – und verlangte die Aufhebung der neuen “absurden Regeln”.
“Aufhören mit den absurden Regeln” – Kassenarztchef Gassen zur Corona-Lage, NOZ, 10.10.2020 (Abopflichtig), Zusammenfassungen im Tagesspiegel (Trotz mehr als 4700 Neuinfektionen: Ärztevertreter warnen bei Corona vor „falschem Alarmismus“) und FAZ (Uneinheitliches Vorgehen in der Corona-Pandemie: Kassenarztchef kritisiert „Regelungswut“ der Bundes)
“Wir müssen aufhören, auf die Zahl der Neuinfektionen zu starren wie das Kaninchen auf die Schlange, das führt zu falschem Alarmismus. Selbst 10.000 Infektionen täglich wären kein Drama” solange nur so wenig schwer erkranken, wie im Moment.
Im Frühjahr habe es bei 4.000 Neuinfektionen bis zu 150 Corona-Tote pro Tag gegeben.
“Jetzt sind es einstellige Sterbezahlen. Wohlgemerkt bei – unabhängig von Corona – 2.500 bis 3.000 ‘normalen’ Sterbefällen pro Tag. So lange das Verhältnis so bleibt, sind Neuinfektionen im fünfstelligen Bereich kaum relevant.”
Eine Überlastung des Gesundheitssystems gab es im Frühjahr nicht, und sie ist auch in Herbst und Winter nicht abzusehen, sagte der Mediziner.
„Durch den Wust an nicht nachvollziehbaren Regelungen verlieren wir aber eventuell die Akzeptanz für die Maßnahmen, die wirklich etwas bringen“
„Die Reisebeschränkungen sind zur Pandemiebekämpfung überflüssig und auch nicht umzusetzen“,
Innerdeutsche Reisen seien lediglich eine „Pseudo-Gefahr“.
Das Problem sind doch nicht Menschen, die innerhalb Deutschlands Urlaub machen wollen. Es ist nicht der Alltag, der Restaurantbesuch, die Arbeit, die S-Bahn oder das Treffen der Familie im kleinen Kreis.Masseninfektionen haben wir bei traditionellen Großhochzeiten, in fleischverarbeitenden Betrieben, durch unkontrolliertes Feiern. Das aber wird durch Quasi-Reiseverbote überhaupt nicht unterbunden.
Stattdessen würden knappe Test-Kapazitäten verschwendet, kritisierte Gassen.
„Das ist schon fast grober Unfug.“
Auch das Beherbergungsverbot müsse „definitiv“ schnellstmöglich zurückgenommen werden. Konkret forderte der Kassenärztechef, die Schwelle von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner, ab der Kreise und Städte zu Risikogebieten erklärt werden, deutlich anzuheben: Die Zahl 50 stamme aus einer Zeit mit wöchentlich 400.000 Tests und hoher Positiven-Rate. Inzwischen werde dreimal so viel getestet bei viel weniger Test-Positiven.
“Viel mehr Tests, viel weniger Positive: Vor dem Hintergrund könnte man nach Berechnungen des Zentral Instituts der kassenärztlichen Versorgung die kritische Schwelle auf 136 hochziehen, um das gleiche Risiko abzubilden.”
Hendrik Streeck
Ähnlich argumentiert auch der Virologe Hendrik Streeck, der zu den Pragmatikern seiner Zunft gehört. Dieser hatte bereits am Tag zuvor im Handelsblatt gefordert hatte, aufzuhören, nur “schreckstarr auf die Infektionszahlen zu schauen” und eine Anpassung der Kriterien für die Beurteilung des Infektionsgeschehens gefordert.
Mitte Oktober hat er dies in einem frei zugänglichen Interview mit n-tv wiederholt: Virologe Streeck wirbt für Ampel “20.000 Neuinfektionen pro Tag sind möglich“, n-tv, 14.10.2020
Sein, ihm meist widersprechender Kollege Christian Drosten erklärt falsch positive Ergebnisse bei den gängigen PCR-Tests schlicht für praktisch ausgeschlossen. Dabei gibt es genügend Beispiele, die einen anderen Eindruck machen. Z.B. waren 12 von 150 Crew-Mitglieder bei einem ersten Test positiv getestet worden, anschließend bei drei weiteren stets negativ.
Drosten selbst schätzte die Genauigkeit und Relevanz der Tests vor 6 Jahren auch noch wesentlich geringer ein. In einem Interview zu der damals im Mittleren Osten grassierenden Mers-Seuche relativierte er den aus Saudi Arabien gemeldeten Anstieg positiv Getesteter mit Verweis auf die häufigeren “hochempfindlichen” Tests mit der PCR- Methode:
[…] die Methode ist so empfindlich, dass sie ein einzelnes Erbmolekül dieses Virus nachweisen kann. Wenn ein solcher Erreger zum Beispiel bei einer Krankenschwester mal eben einen Tag lang über die Nasenschleimhaut huscht, ohne dass sie erkrankt oder sonst irgend etwas davon bemerkt, dann ist sie plötzlich ein Mers-Fall. Wo zuvor Todkranke gemeldet wurden, sind nun plötzlich milde Fälle und Menschen, die eigentlich kerngesund sind, in der Meldestatistik enthalten. Auch so ließe sich die Explosion der Fallzahlen in Saudi-Arabien erklären. Dazu kommt, dass die Medien vor Ort die Sache unglaublich hoch gekocht haben.
[…] Die Medizin ist nicht frei von Modewellen.
(Der Körper wird ständig von Viren angegriffen“, Virologe Drosten im Gespräch, WirtschaftsWoche, 16..5.2014)
Update 20.10.:
Weitere Spitzenmediziner haben sich der Kritik an der Corona-Politik und Panikmache angeschlossen. Vermutlich haben sie sich vorher abgestimmt, um sich gegenseitig gegen den abzusehenden Sturm der Entrüstung zu stützen.
Hessische Ärztekammer
So warnt auch die hessische Ärztekammer vor Panikmache wegen der steigenden Fallzahlen:
„Es ist nicht klar, inwieweit die positiv getesteten Betroffenen auch wirklich infektiös sind.“ Die Zahl müsse vielmehr in Relation dazu gesetzt werden, wie die Altersverteilung der Infizierten ist, wie viele im Krankenhaus behandelt werden und wie viele überhaupt Symptome entwickeln. „Nur so erhalten wir einen Überblick über das tatsächliche Infektionsgeschehen.“
Dr. med. Edgar Pinkowski
Am Samstag ging ihr Präsident, Dr. med. Edgar Pinkowski, in einem FR-Interview noch weiter ins Detail. Als “unlogische Maßnahmen lehnt er u.a eine Maskenpflicht im Freien ab und warnt vor den Langzeitfolgen durch Panikmache. („Das Coronavirus wird uns über Jahre begleiten“, FR, 16.10.2020)
[…] wenn jetzt wieder der Blick auf die reinen Infektionszahlen fällt, wird erneut Panik geschürt, und wir haben das gleiche Problem wie im Frühjahr. Bei der normalen Grippe, der Influenza, haben wir auch nicht anlasslos getestet. Auch da wissen wir nicht, wie viele Leute asymptomatische Virusträger waren oder sind. Wir testen jetzt anlasslos viele, viele Leute und finden deshalb auch mehr Virusträger. Wir wissen aber nicht, ob sie falsch positiv sind oder wirklich infektiös.
[…]
Gott sei Dank verlaufen die meisten Infektionen im Moment ganz harmlos, und viele würden davon gar nichts merken, wenn sie nicht getestet würden. Es handelt sich nicht um ein Ebolavirus und auch kein Norovirus. Es ist ein Coronavirus.
Er stellt sich hinter die Position des Leiters des Frankfurter Gesundheitsamts René Gottschalk:
Um pragmatische Maßnahmen auszuarbeiten, braucht man die Experten des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Weitere Mediziner schlossen sich an.
Klaus Reinhardt, Clemens Wendtner, Uwe Janssens
Top-Mediziner warnen vor Panikmache wegen Corona
Mehrere Spitzenmediziner haben sich mit Blick auf die Corona-Pandemie öffentlich gegen Panik- und Angstmache ausgesprochen. Damit etablieren sie ein Gegengewicht zur von vielen Politikern und zahlreichen Medien betriebenen Hysterie.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten, 19.10.2020
[…] Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie an der München Klinik Schwabing, während einer Online-Pressekonferenz von Intensivmedizinern
[…] Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin
[…] Nach dem jüngsten Appell von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Eindämmung der Corona-Pandemie hatte Ärztepräsident Klaus Reinhardt davor gewarnt, die Bevölkerung zu verunsichern
Dr. Friedrich Pürner
Gesundheitsamt-Chef zerreißt Söders Corona-Strategie (Merkur)
Interview mit Epidemiologen und bayerischem Beamten Dr. Friedrich Pürner
Merkur, 20.10.2020
Ja, die Zahlen steigen. Aber wir rechnen nur mit der Summe der positiv Getesteten, über die Erkrankten wissen wir nichts. Würde die Zahl der Schwerkranken signifikant steigen, müssten wir etwas unternehmen. Aber gehandelt wird derzeit nur, weil wir lediglich positive Befunde haben.
[…] Allgemein ist das Risiko, an Corona schwer zu erkranken, relativ gering, daran zu sterben auch. Das ist nicht Ebola.
Pürner: Diese Strategie ist nicht richtig. Die Inzidenzen 35 und 50 pro 100.000 Einwohner sind willkürlich gewählt, außerdem besteht der Inzidenzwert nur aus allen Positiv-Getesteten. Man weiß nicht, wie viele Personen Symptome haben und damit krank sind. Es wäre klug, auf diejenigen zu schauen, die das Gesundheitssystem belasten.
[…]. Hier wird eine Ur-Angst geweckt, die Ur-Angst vor Krankheit, Siechtum und Tod. Wir haben einen unsichtbaren Gegner. Aufgabe der Politik wäre es: Ängste nehmen, nicht Panik schüren. Das Gegenteil ist der Fall: Wir haben Panik-Stimmung. Ich arbeite an der Basis, wir erleben es, dass Bürger aus Angst betteln, in Quarantäne geschickt zu werden
Pürner: Es ist schon fragwürdig, wie man mit unseren Kindern umgeht! Wir hatten schon weinende Eltern am Telefon, deren Kinder von Lehrern gerügt wurden, weil sie sich nicht an Corona-Regeln gehalten haben und gefragt wurden: Willst du, dass Oma und Opa sterben? Das macht was mit unseren Kindern. Ich will nicht, dass meine Kinder mit Ängsten aufwachsen.
[…]. Pürner: Von Maskenpflicht an Schulen und Kitas halte ich fachlich nichts. Es gibt dazu auch keinen evidenzbasierten Beleg zur Wirksamkeit. Kinder nehmen wenig am Infektionsgeschehen teil. Wenn wir infizierte Schüler finden, sind die Symptome minimal. Generell ist die Schutzwirkung von Community-Masken, wie sie die Mehrheit trägt, nicht nachgewiesen. Mit den Community-Masken hat man ein Mittel erfunden, das nicht mehr ist als ein Symbol der Solidarität.
Auch israelischen Ärzten wird es zu bunt:
Lockdown is a big mistake: What top Israeli doctors really think about COVID-19
The country’s hospitals are not collapsing, the lockdown does more harm than good and the policy for dealing with COVID is fundamentally wrong. An increasing number of senior physicians are convinced: Israel needs to switch gears in its handling of the pandemic
Hilo Glazer, Haaretz, 16.10.2020
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