Antikriegstag: Deutschlands besondere Verantwortung für den Frieden ‒ Verhandlungen statt Waffen und Wirtschaftskrieg

Redebeitrag auf der Antikriegstagstagskundgebung am 1. September 2022 in Heidelberg

Wir stehen hier aus Anlass des Antikriegstages oder Weltfriedenstages, an dem weltweit an den Beginn des verheerendsten Krieges der Geschichte erinnert wird. In der ganzen Welt geht die Friedensbewegung am 1. September auf die Straße, um eine auf Frieden ausgerichtete Politik einzufordern. Doch herrschte leider in den letzten Jahren durchgängig in über 30 Ländern Krieg. Jetzt droht sogar ein Dritter Weltkrieg, wenn es nicht gelingt, die kriegerische Konfrontation in der Ukraine zu beenden. Gleichzeitig spitzen die USA und ihre Verbündeten auch die Konfrontation mit China gefährlich zu.

Der 1. September mahnt Deutschland, angesichts der vom deutschen Faschismus begangenen Menschheitsverbrechen besondere Verantwortung für den Frieden zu übernehmen, Frieden in Europa, Frieden in der Welt. Dies gilt auch ‒ ungeachtet aller Empörung über den Einmarsch in der Ukraine ‒ für die deutsche Politik gegenüber Russland.

Dieser Verantwortung für den Frieden gerecht zu werden, wäre angesichts der dramatischen Lage dringender denn je. Doch die dt. Regierung heizt mit einem gigantischen Rüstungspaket die Rüstungsspirale an und entsendet auch bereits Kriegsschiffe und Luftwaffengeschwader zu Kriegsübungen in den Indo-Pazifik.

Die Bundesregierung hat sich auch nicht bemüht, den Krieg in der Ukraine möglichst rasch zu beenden, indem sie z.B. ‒ neben der Verurteilung des russischen Einmarsches ‒ eigene Vermittlungsangebote unterbreitet und die Verhandlungen in Ankara aktiv unterstützt hätte, die bald nach dem russischen Einmarsch begannen, aber von Kiew auf Druck von Washington und London abgebrochen wurden. Berlin setzte vielmehr, gemeinsam mit den NATO-Verbündeten, auf dessen Verlängerung sowie, durch Entfesselung eines Wirtschaftskrieges Ausweitung. Mit der Lieferung von Waffen stieg Deutschland bald direkt ein und wurde faktisch Kriegspartei. Dies obwohl Bundeskanzler Olaf Scholz im April noch mit Bezug auf die Lieferung schwerer Waffen vor der Gefahr eines Welt- oder gar Atomkrieges gewarnt hatte.

Man behauptet, durch die Lieferung von immer mehr Waffen den Krieg beenden zu wollen, doch wer das glaubt, glaubt auch, Feuer mit Benzin löschen zu können. Offensichtlich wird mit immer mehr und schwereren Waffen der Krieg nur verlängert, verlängert vor allem auf Kosten der ukrainischen Bevölkerung, aber indirekt auch auf Kosten der Menschen in den übrigen Ländern Europas, die sich zudem der Gefahr einer nuklearen Katastrophe ausgesetzt sehen, wenn Kämpfe in unmittelbarer Nähe von Atomkraftwerken stattfinden.

Seit Wochen schlagen immer wieder Granaten und Raketen im Kernkraftwerks-Komplex Saporischschja ein, das von russischen Einheiten besetzt ist ‒ abgefeuert fraglos von ukrainischer Seite. Doch kein Politiker oder Journalist scheint sich zu fragen, wer diese Geschosse zur Verfügung stellte. Mit hoher Wahrscheinlichkeit stammen sie aus dem Westen und wurden aus frisch gelieferten Panzern, Haubitzen und Raketenwerfen abgefeuert, vielleicht von deutschen, die jetzt wieder, 77 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, gegen russische Truppen ins Feld geführt werden.

Dabei müsste jedem klar sein, dass der Krieg so schnell wie möglich gestoppt werden muss, dass endlich ernsthafte Anstrengungen unternommen werden müssen, in Verhandlungen einzusteigen. Zunächst vor allem in Verhandlungen um lokale Feuerpausen, wie es der Vorschlag der italienischen Regierung vorsieht. Feuerpausen dort, wo die Kämpfe am schädlichsten und gefährlichsten sind, vorneweg in dem Frontabschnitt, in dem das AKW Saporischschja liegt. Hier läuft die Front entlang des Dneprs, also einer natürlichen Grenze und könnte leicht eingefroren werden, bis in Verhandlungen die Zukunft dieser Region geklärt wäre.

Jeder weiß, dass die Ukraine den Krieg nicht gewinnen, d.h. die russischen Truppen aus dem Land werfen kann. Und im Grunde ist auch jedem klar, dass am Ende Verhandlungen stehen werden. Warum also nicht sofort mit Verhandlungen beginnen. Aufgrund der Geschichte steht Deutschland wie kein anderes Land in der Verantwortung, sich mit aller Kraft dafür einzusetzen.

Die Bundesregierung lehnt aber Verhandlungen zum jetzigen Zeitpunkt ab und drängt Kiew gemeinsam mit den NATO-Partnern, weiterzukämpfen, solange bis sich vielleicht durch etwaige Bodengewinne oder die Zermürbung der russischen Truppen die Verhandlungsposition Kiews und der NATO verbessert hat. Wenn es nach Washington geht oder nach unserer Außenministerin Annalena Baerbock, die auch für nächstes Jahr Panzer und Haubitzen verspricht, kann dieser Stellvertreterkrieg so auch noch jahrelang gehen. Man spricht von Solidarität mit der Ukraine, doch niemand fragt die Leute dort, ob sie tatsächlich bereit sind, für NATO-Beitritt und Rückeroberung der Krim immer mehr Opfer und Zerstörung in Kauf zu nehmen.

Echte Solidarität heißt für uns, die Kämpfe zu stoppen und darauf zu drängen, den Konflikt durch Verhandlungen zu lösen. Realistische Vorschläge für Verhandlungen liegen auf dem Tisch. Sie beruhen auf Neutralität der Ukraine ‒ abgesichert durch Garantiemächte, Akzeptanz der russischen Hoheit über die Krim, verbunden evtl. mit einem Sonderstatus, und verschiedenen Modellen für den Donbass. Viel wird bei der Lösung der Konfliktpunkte auch davon abhängen, inwieweit die NATO den russischen Sicherheitsinteressen entgegen kommt. Die italienische Regierung hat konkrete Schritte für Verhandlungen vorgeschlagen, die Partner in der EU haben den Vorschlag schlicht ignoriert, genauso wie die gut ausgearbeiteten und begründeten Vorschläge einer Arbeitsgruppe um Jeffrey Sachs, die der Vatikan dazu eingeladen hat. [1]

Wie das Abkommen über Getreideexporte aus der Ukraine zeigt, sind effektive Verhandlungen mit Russland möglich. Dass konstruktive Verhandlungen allein dem türkischen Präsidenten Erdogan überlassen werden, zeichnet jedoch ein erbärmliches Bild von der deutschen Außenpolitik, in der Diplomatie mittlerweile offenbar ein Fremdwort wurde, wie auch von der der EU.

Mittlerweile sind wir alle ja auch persönlich mit den Folgen des Krieges konfrontiert, insbesondere mit denen, der beispiellosen Handels- und Finanzblockaden, die Deutschland gemeinsamen mit den EU- und NATO-Verbündeten gegen Russland verhängt haben. Denn dieser Wirtschaftskrieg, mit dem erklärten Ziel „Russland zu ruinieren“, ist ohne Zweifel der hauptsächliche Grund für Versorgungsengpässe und massive Preissteigerungen. Politik und Mainstreammedien tun jedoch alles diese Tatsache zu verschleiern. Geradezu krampfhaft versuchen sie uns weiszumachen, dass Moskau für die Engpässe und Preisexplosionen bei Öl und Gas verantwortlich sei, dass Putin einen Gaskrieg gegen uns führen würde.

Dabei hat Kanzler Scholz selbst im Juli, in einem Gastbeitrag für die FAZ, damit geprahlt, dass es seiner Regierung gelungen sei, den Anteil russischen Gases von 55 auf 30 Prozent zu senken. [Schon Ende April, lange bevor Gazprom die Liefermenge wegen Wartungsproblemen drosselte, lag er nur noch bei 35 Prozent.]. Unabhängig davon, ob man den von Gazprom vorgebrachten technischen, sanktionsbedingen Gründen für geringere Leistungsfähigkeit von Nord Stream 1 glaubt oder nicht, wäre die naheliegenden Lösung, die neue Pipeline Nord Stream 2 als Ersatz für die notleidende Röhre zu öffnen. Doch entsprechende Forderungen werden mit der kuriosen Begründung abgelehnt, das würde nichts bringen, da Putin die Lieferung ohnehin blockieren würde. [Baerbock. „Wenn Putin nicht durch Nord Stream 1 liefert, warum sollte er durch Nord Stream 2 liefern?“] Doch würde man sich dann durch die Öffnung ja nichts vergeben, sondern könnte belegen, dass Putin tatsächlich der Ampelkoalition beim Ausstieg aus dem russischen Gas zu kräftig unter die Arme greifen würde.

[Gas sei doch gar nicht „sanktioniert“ wird zudem allen entgegenhalten, die darauf verweisen, dass Engpässe und Preissteigerungen im Wesentlichen hausgemacht sind. Das ist oberflächlich gesehen richtig, geht aber völlig an der Realität vorbei. Tatsächlich gibt es keine entsprechende förmlichen Beschlüsse, jedoch eine Verständigung in der EU, den Anteil russischen Gas soweit es geht, zu reduzieren ‒ was die Ampelkoalition ja auch forsch in die Wege leitete. Polen z.B. hat seinen direkten Import aus Russland auf Null heruntergefahren und bezieht sein Gas über Deutschland. Gleichzeitig sind die Banken, über die die Lieferungen abgewickelt werden sollen, sehr wohl von EU-Sanktionen betroffen und werden die russischen Guthaben auf westlichen Konten blockiert. Wenn Dollar und Euro nicht mehr an die russische Zentralbank ausgegeben werden dürfen, und der Rubel nicht als Zahlungsmittel akzeptiert wird, so müssten russischen Lieferanten bereit sein, ihr Gas zu verschenken.]

Mit einer „Gasumlage“ will die Regierung die Energiekonzernen vor Gewinneinbußen schützen, der ihnen dadurch entsteht, dass sie nun Gas zu einem vielfach höheren Preis einkaufen müssen, statt es sich über eine Pipeline zu einem günstigen garantieren Preis aus Russland quasi frei Haus liefern zu lassen.

Für die meisten der großen Multis ist dies jedoch kein Problem. Schließlich eröffnete die Verknappung die Möglichkeit durch Spekulation mit diesem und anderen Rohstoffen exorbitante Extraprofite einzufahren. [Denn natürlich treibt nicht nur die Drosselung der Lieferungen die Preise in die Höhe. Sie sind auch eine Folge der Liberalisierung des Gasmarktes in der EU, durch die den Handel mit Gas an den Börsen freigegeben wurde und Gas zu einem Spekulationsobjekt machte. Und die deutsche Regierung treibt die Preise durch die Anweisung an deutsche Importeure zusätzlich in die Höhe, alles noch verfügbare Gas zu  jedem Preis zu kaufen. Für die Menschen in den armen Ländern, zu denen keine Pipeline führt, wird der Brennstoff dadurch unerschwinglich.]

Die „Gasumlage“ von Habeck & Co., mit der die deutschen Haushalte zusätzlich zu den sich bald verdoppelnden oder verdreifachenden Nebenkosten belasten wollen, ist nichts anderes als eine weitere Umverteilung von unten nach oben, sie ist faktisch eine Kriegsanleihe für den Wirtschaftskrieg.
Diese Gasumlage muss weg. Das sollte der Minimalkonsens sein, wenn wir, wie ich hoffe, im Herbst auf die Straße gehen.

Natürlich ist es zudem auch wichtig, massiv für eine soziale Abfederung der Kriegsfolgen einzutreten. Wir dürfen dabei aber nicht, wie so viele, die sich dafür einsetzen, den Elefanten im Raum ignorieren, den Wirtschaftskrieg. Wir dürfen uns nicht, weil es bequemer ist und man nicht Gefahr läuft, als Putinversteher u.Ä. beschimpft zu werden, auf die Bekämpfung von Symptomen beschränken. Wenn der Wirtschaftskrieg fortgeführt wird, werden Subventionen und auch der vielfache geforderte Preisdeckel für die staatlichen Finanzen zu einem Fass ohne Boden. Und am Ende müssten wir doch wieder die Zeche zahlen ‒ über Steuern und Kürzungen in anderen Bereichen. Daher kann die zentrale Forderung nur sein, die Lieferengpässe durch die Beendigung von Lieferboykotten und Finanzblockaden zu beseitigen und so auch der Spekulation den Boden zu entziehen. Selbstverständlich könnte man mit einer Vergesellschaftung der Energiekonzerne das Problem überteuerter Preise grundsätzlich zu lösen suchen ‒ wir sollten daher die Debatte darüber ebenfalls auf die Tagesordnung setzen.

Wir sagen nein zu denen, die nun verlangen, wir sollen Waschlappen nutzen, statt zu duschen Wir sagen nein zu denen, die allen die die Preise zukünftig nicht mehr zahlen können, zumuten wollen, zu frieren und zu hungern, während sich gleichzeitig die Oligarchen in unserem eigenen Land am Krieg bereichern.

Wir sagen nein zu denen, die keinen Verhandlungsfrieden, sondern bis zum letzten Ukrainer Krieg führen wollen!

In Erinnerung an die deutsche Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg fordern wir ganz konkret von Berlin:

  • Statt Waffenlieferungen an die Ukraine, echtes Engagement für Verhandlungen
  • Schluss mit der Aufrüstung! Keine weiteren Milliarden fürs Militär, sondern Abrüstung und Investition in Soziales, Gesundheit, Bildung,  Klima- und Katastrophenschutz
  • Weg mit den Atomwaffen! Keine Atomwaffen auf deutschem Boden! „Nukleare Teilhabe“ beenden
  • Unterzeichnung des Vertrags der UNO über das Verbot von Atomwaffen
  • Beendigung der folgenreichen Wirtschaftsblockaden

[1] s. dazu Teil 2 meines Vortrags am 30. Juli 2022 in Villingen „Der Ukrainekrieg– Wege aus dem Krieg

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