Auch den Vortrag am Freitag 2.12. zum Thema “Warum Libyen bombardiert wurde” ist bei Radio FRO zu finden. Dieser fand im Weltladen in Freistadt (Mühlenviertel) statt, veranstaltet von attac Mühlviertel Nord und der Sozialistischen Jugend Freistadt
Von der gleichnamigen Veranstaltung im DIDF Lokal am Samstag in Wels gibt es keinen Ton, dafür 3 Bilder.
Kategorie: Nordafrika
Die folgenden „geostrategische Anmerkungen“ des italienischen Historikers zur Besetzung Libyens Luigi Ambrosi wurden von Bernd Duschner übersetzt. Auch wenn sie nicht alle überzeugend sind, so bieten sie doch interessante Denkanstöße.
Was die Gründe Russlands und China betrifft, das Mandat zum Krieg gegen Libyen im UN-Sicherheit passieren zu lassen, so erscheinen mir die Überlegungen des ehemaligen indischen Botschafters M. K. Bhadrakumar einleuchtender. Er vermutet, dass ihnen Libyen, trotz der zu erwartenden Verluste, schlicht nicht so wichtig war, wie ein gutes Verhältnis zu den ölreichen Golfmonarchien, die sowohl geostrategisch wie wirtschaftlich ein wesentlich größeres Gewicht haben. (Die NATO lässt sich in Libyen nieder, Asia Times, 1.11.2011) Continue reading “Luigi Ambrosi: Geostrategische Anmerkungen zur Besetzung Libyens”
Die NATO beende möglicherweise seine Operationen in Libyen, die Präsenz des Westens ist aber noch lange nicht zu Ende, wobei nun die großen Konzerne die Kampfflugzeuge ersetzen“, so beginnt die Londoner Journalistin Laura Smith einen Filmbeitrag für Russia Today. „Die Länder, die den ölreichen Staat zusammenbombten, erhalten nun lukrative Aufträge es wieder aufzubauen.“ (Laura Smith, Make money, make war: UK profits from Libya mess, RT, 11.11.2011)
Den Startschuss für die britischen Firmen hat, so der Guardian, der britische Militärminister Philip Hammond abgefeuert, indem er sie drängte „ihre Koffer zu packen“, nach Libyen zu eilen und sich Wiederaufbau-Aufträge zu sichern (British firms urged to ‘pack suitcases’ in rush for Libya business, Guardian, 21.10.2011).
Continue reading “NATO-Bomben auf Libyen: “Exzellente Investition””Dabei fällt diese, wenn man sie an den offiziellen Zielen misst, vernichtend aus.
Erinnern wir uns: Die besagte UN-Resolution, die den Willigen die Tür zum Krieg einen Spalt weit öffnete, forderte einen Waffenstillstand, Verhandlungen über eine politische Lösung und Schutz der Zivilbevölkerung. Geschehen ist jedoch genau das Gegenteil. Die NATO torpedierte alle Vermittlungsbemühungen, die Zahl der bisherigen Opfer des Krieges wird auf 60.000 geschätzt. 60.000 Libyer haben als ihren Schutz nicht überlebt – R2P (“Responsibility to Protect) durchschlagend umgesetzt. (Biggest success? NATO proud of Libya op which killed thousands, Russia Today, 28.10.2011)
Oder besteht der gefeierte Erfolg womöglich doch nur in der Liquidierung des unbequemen Gegenspielers Muammar al-Gaddafi? Dann sind natürlich 60.000 Tote für die westliche Allianz vernachlässigbar.
Die Art und Weise der Ermordung des libyschen Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi ist exemplarisch für den ganzen Krieg und unterstreicht einmal mehr dessen verbrecherischen Charakter. Der Jubel westlicher Politiker und Medien über seinen Tod zeugt nicht nur von deren rapiden zivilisatorischer Verfall, sondern auch von der Unfähigkeit aus früheren Untaten zu lernen. In Afghanistan und im Irak ging der Widerstand nach dem anfänglichen Sieg der Aggressoren erst richtig los. Die aktuellen Siegesfeiern dürften sich daher sehr schnell als genauso verfrüht erweisen, wie George W. Bushs „Mission accomplished“ im Mai 2003. (»» Druckversion als PDF) Continue reading “Libyen nach dem NATO-Mord an Gaddafi”
“Die Hauptstraße, die durch das Gebiet führt, das die schlimmsten Kämpfe sah, heißt Dubai Straße. Ich habe selten ein derartiges Bild der Zerstörung gesehen.”
Nicht weit von dem Ort, wo Gaddafis Konvoi in durch NATO-Bomber gestoppt wurde, sah er 61 Leichen in weißen Säcken auf dem staubigen Wüstenboden liegen – “Gaddafis Leibwächter und Kämpfer”. Davies führt nicht näher aus, ob diese ebenfalls beim oder nach diesem Angriff getötet wurden. ihn erschütterte das Bild eines kleinen Zugs von Heimkehrern, die vorsichtig die Reisverschlüsse jedes Sackes öffneten und – sich die Nase wegen des ungeheuren Gestankes zu haltend – zu schauen, ob ein vermisster Angehöriger darunter ist.
Auf der anderen Seite der Stadt wurden später 50 Leichen verstreut in auf einem Grasstück gefunden, mit gefesselten Händen, durch Kopfschüsse getötet.
Bei der großen Siegesfeier in Bengasi hätte ein Sprecher nach dem anderen von der Wichtigkeit “nationaler Versöhnung” gesprochen. Wie soll das bei den Menschen von Sirte funktionieren, fragt sich Davies, oder mit den Hunderttausenden von Leuten, die Gaddafi bis zum Schluss unterstützten?
Es ist unwahrscheinlich, dass Sirte bald wieder aufgebaut wird. Aufständische sagten ihm, die Stadt solle überhaupt nie wieder aufgebaut werden, sondern im jetzigen Zustand der Zerstörung als “Gedenkstätte für Oberst Gaddafis Opfer” bleiben.
Die Freude über den Tod Gaddafis ist gewissenlos und zynisch
Wer genau Muammar Gaddafi liquidierte ist zweitrangig. Es waren französische Kampfjets, die seinen Konvoy zusammenbombten und damit die siebenmonatige Jagd der NATO auf das Staatsoberhaupt eines einst souveränen Staates erfolgreich abschlossen. Die libyschen Verbündeten mussten – wie immer – das Werk am Boden nur noch vollenden. Die Freude im Westen ist gewissenlos und zynisch, war dem Angriff auf Gaddafis Konvoy doch eine zweimonatige Bombardierung und Belagerung der Küstenstadt Sirte vorausgegangen, durch die sie weitgehend zerstört und mehrere Tausend Bewohner getötet wurden.
Offenbar war das Interesse, den libyschen Staatschef lebend zu fangen, äußerst gering. Das ist verständlich, hätte ein Prozess gegen ihn doch in aller Deutlichkeit gezeigt, dass es für die Behauptungen, mit denen der Krieg gerechtfertigt wurde, keine Beweise gibt. Wie u.a. Stellungnahmen des Pentagon oder der Bundesregierung zeigen, waren sie ja schon zum Zeitpunkt der Verabschiedung der UN-Resolution haltlos gewesen.
Ein Prozess hätte leicht zum Tribunal gegen die NATO-Staaten werden können, deren militärisches Eingreifen auf der Seite pro-westlicher Rebellengruppen gerade nicht einer politischen Lösung und dem „Schutz der Zivilbevölkerung“ diente, sondern allein der Beseitigung eines unbotmäßigen Regimes. Sie entfesselten dadurch einen Krieg, der vermutlich bereits über 50.000 Opfer forderte.
Die Unverfrorenheit, mit der Frankreich, Großbritannien, die USA und ihre Verbündeten vor den Augen der Welt ein Land mit sechseinhalb Millionen angriffen, verwüsteten und dessen anerkannte Regierung stürzten, ist für die Länder im Süden alarmierend. 200 prominente afrikanische Künstler, Wissenschaftler und Politiker prangerten im August z.B. in einer gemeinsamen Erklärung Frankreich, die USA und Großbritannien als „Schurkenstaaten“ an, und bezeichnen deren Politik als „ernsthafte Gefahr einer neuen Kolonialisierung“ des Kontinents.
Nur wer den Krieg in Libyen auf einen Kampf der Aufständischen gegen Gaddafi reduziert, kann glauben, dass er nun vorbei sei. Die Aufständischen haben offensichtlich nur einen kleinen Teil der Libyer, vor allem im Osten, hinter sich und könnten sich bis heute nicht alleine behaupten. Die libysche Regierung andererseits hätte ohne erhebliche Unterstützung der Bevölkerung nicht solange der NATO trotzen können. „In Libyen gibt es vielleicht Millionen Menschen, die Gaddafi nicht mögen, aber sehr wohl seine Errungenschaften schätzen“ meint zu Recht der prominente norwegische Friedensforscher Johan Galtung.
Diese werden sicherlich nicht die Kräfte, die für die Zerstörung ihres Landes verantwortlich sind, nun einfach als neue Herren akzeptieren. Insbesondere die Frauen, die bisher eine rechtliche Gleichstellung genossen wie sonst nirgends im arabischen Raum, dürften angesichts der angekündigten Wiedereinführung islamischen Rechts alarmiert sein. Und die Gaddafi-loyalen Kämpfer sind noch nicht besiegt.
Der Widerstand wird daher wohl, nicht anders wie in Afghanistan und Irak, erst richtig losgehen. Bisher hatte Libyen den höchsten Lebensstandard in Afrika. Damit ist es nun auf absehbare Zeit vorbei.
an Frankfurter Rundschau
Geradezu dümmlich war der Bericht (Thomas Schmid, Libyen – Befreites Land) und Kommentar (Damir Fras, Tod Gaddafis – Keiner will es gewesen sein) in der Frankfurter Rundschau vom 21.10.2011.
Libysche Scheinwelt
Wie die meisten westlichen Medien, baut auch die FR in ihren Berichten eine hübsche Scheinwelt vom „befreiten Libyen“ auf, indem man alles ausblendet, was nicht zum Bild passt – z.B. die Gräueltaten der aufständischen Milizen bei der brutalen Verfolgung aller, die man der Loyalität zum bisherigen Regime verdächtigt.
Man übersieht geflissentlich, dass die Aufständischen nur einen kleinen Teil der Libyer, vor allem im Osten, hinter sich haben und sich auch bis heute nicht alleine behaupten können. „In Libyen gibt es vielleicht Millionen Menschen, die Gaddafi nicht mögen, aber sehr wohl seine Errungenschaften schätzen“ meinte zu Recht der norwegische Friedensforscher Johan Galtung. Diese werden sicherlich nicht die Kräfte, die für die Zerstörung ihres Landes verantwortlich sind, nun einfach als neue Herren akzeptieren. Insbesondere die Frauen, die bisher eine rechtliche Gleichstellung genossen wie sonst nirgends im arabischen Raum, dürften angesichts der angekündigten Wiedereinführung islamischen Rechts alarmiert sein.
Mit keiner Silbe wird erwähnt, dass dem Tod Gaddafis die vollständige Zerstörung einer ganzen Stadt durch eine zweimonatige Bombardierung und Belagerung vorausging, bei der Tausende ihrer Bewohner getötet wurden. Afrikanische Kommentatoren vergleichen Sirte bereits mit dem irakischen Falludscha oder dem baskischen Gernika.
Die Diskrepanz in der Wahrnehmung zwischen Nord und Süd könnte tatsächlich kaum größer sein: Während westliche Politiker und Medien den „Sieg des Volkes über Gaddafi“ feiern, wird der Krieg in Lateinmarika, Afrika und Asien als imperiales Verbrechen verurteilt. 200 prominente afrikanische Künstler, Wissenschaftler und Politiker prangerten im August z.B. in einer gemeinsamen Erklärung Frankreich, die USA und Großbritannien als „Schurkenstaaten“ an, und bezeichnen deren Politik als „ernsthafte Gefahr einer neuen Kolonialisierung“ des Kontinents.
Wer genau Muammar Gaddafi liquidierte ist zweitrangig. Es waren französische Kampfjets, die seinen Konvoy zusammenbombten und damit die siebenmonatige Jagd der NATO auf das Staatsoberhaupt eines einst souveränen Staates erfolgreich abschlossen. Die libyschen Verbündeten mussten – wie immer – das Werk am Boden nur noch vollenden. Das Ganze ist geradezu exemplarisch für den gesamten Krieg. Wenn Damir Fras davon faselt, dass „die Nato möglicherweise das Mandat des UN-Sicherheitsrats für den Libyen-Einsatz überschritten“ habe, so ist das angesichts des offensichtlichen Kriegsverlaufs fast schon wieder komisch.
Recht hat er sicherlich damit, dass die Kriegsallianz unabhängige Untersuchungen scheut. Das Interesse, den libyschen Staatschef lebend zu fangen, war dementsprechend gering. Hätte ein Prozess gegen ihn doch in aller Deutlichkeit gezeigt, dass es für die Behauptungen, mit denen der Krieg gerechtfertigt wurde, keine Beweise gibt. Wie u.a. Stellungnahmen des Pentagon oder der Bundesregierung zeigen, waren sie ja schon zum Zeitpunkt der Verabschiedung der UN-Resolution haltlos gewesen.
Ein öffentlicher Prozess hätte leicht zum Tribunal gegen die NATO-Staaten werden können, deren militärisches Eingreifen auf der Seite pro-westlicher Rebellengruppen gerade nicht einer politischen Lösung und dem „Schutz der Zivilbevölkerung“ diente, sondern allein der Beseitigung eines unbotmäßigen Regimes und einen Krieg entfesselten, der vermutlich bereits über 50.000 Opfer forderte.
Auch Sirte, das bis August noch ca. 130.000 Einwohner hatte, ist nun weitgehend zerstört, der Großteil der Bevölkerung ist geflohen. (Gaddafi home town largely destroyed, Washington Post, 15.10.2011). Auf die Geburtsstadt von Revolutionsführer Gaddafi konzentrierte sich ein guter Teil der 2000 Luftangriffe, die die NATO nach dem Fall von Tripolis mit nahezu unveränderter Intensität weiter flog.
Der britische Telegraph sieht wenig Chancen, dass die Schäden an den vielen modernen Einrichtungen, wie der Universität und Krankenhäuser wieder repariert werden können. Auch viele Häuser werden auf Dauer unbewohnbar beiben. "Die zertrümmerten Überreste der Wohnblocks und die Trümmer der einst komfortablen Häuser erinnern mehr an die düstersten Szenen von Grosny am Ende des blutigen russischen Tschetschien-Krieges." (Ruined Sirte becomes a killing ground as Gaddafi loyalists face destruction, but mete out death of their own, Telegraph, 15.10.2011)
Die Bewohner von Sirte gelten als Gaddafi-Anhänger. Daher sehen die Angreifer "offensichtlich keinen Grund zur Zurückhaltung" so die Washington Post. Rebellen-Milizen riegelten die Stadt ab und beschossen mutmaßliche Stellungen ihrer Verteidiger mit Mörsern. Bei ihren Vorstößen kamen NATO-Kampfhubschrauber zu Hilfe. In den eroberten Vierteln kam es zu ausgedehnten Plünderungen und Brandschatzungen. Es wird von ganzen LKW-Kolonnen berichtet, die die geraubten Güter abtransportierten. (Siehe u.a. Patrick O’Connor, Die Zerstörung von Sirte, WSWS, 20.10.2011 und Chris Marsden, Sirte destroyed by NTC-NATO offensive in Libya, WSWS, 18.10.2011)
Es ist unklar, wie viele Bewohner fliehen konnten. Ein großer Teil blieb jedoch zwischen NATO-Bomben und Mörserangriffen der Rebellenmilizen gefangen – abgeschnitten von der Versorgung von außen, ohne Trinkwasser und Strom, ohne ausreichende medizinische Hilfe und in großer Angst vor Racheakten der Rebellen, wie in der Kleinstadt Tawargha. Die Milizen des benachbarten Misrata fielen nach dem Rückzug der Regierungstruppen mit brutaler Gewalt über die als Gaddafi-Anhänger geltenden, überwiegend schwarzen Bewohner hergefallen, vertrieben sie vollständig, plünderten und zerstörten ihre Häuser. Die “Misrata Brigade” bezeichnete sich selbst auch als „Brigade zur Beseitigung von Sklaven und Schwarzhäuten“. Sie ist auch führend bei den Angriffen auf Sirte. (Gaddafi’s ghost town after the loyalists retreat, Telegraph, 11.9.2011)
Über die Zahl der Toten, Verwundeten und nicht behandelbare Schwerkranke gibt es keine Angaben, sie müssen jedoch in die Tausende gehen. Moussa Ibrahim, Sprecher der weggebombten Regierung, schätzte bereits am 19. September die Zahl der durch NATO-Angriffe getöteten Einwohner auf 2.000. ((Civilian cost of NATO victory in Libya, RT Russia Today, 20.10.2011. Siehe auch Dramatische Zustände in Sirte, jW 10.10.2011)
Das neue Falludscha
Was das neue, auch von westlichen Linksliberalen und Menschenrechts-Aktivisten gepriesene Völkerrechtskonzept der “Schutzverantwortung” (R2P – Responsibility to protect) betrifft, so sollten sich alle Zweifler die Erläuterung von NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen anhören: “Die NATO und ihre Partner haben das historische Mandat der Vereinten Nationen, die Bevölkerung Libyens zu schützen, erfolgreich erfüllt.” Pepe Escobar rät jedem, der wissen will, wie dieser Schutz funktioniert, “in einen Geländewagen zu steigen und nach Sirte zu fahren – dem neuen Falludscha.” (How the West won Libya, Asia Times, 21.10.2011)
Der Oberkommandeur der NATO-Luftangriffe, US-General Ralph Jodice erklärte der New York Times in orwellscher Manier, die sich in Sirte verteidigenden Gaddafi-loyale Kräfte würden weiterhin “eine anhaltende und heftige Gefahr” für die libysche Zivilbevölkerung darstellen. Sie “zeigen nach wie vor den Willen zum Kampf, wodurch sie weiterhin die in der Stadt verbliebenen Zivilisten gefährden. (NATO Commander Says Resilience of Qaddafi Loyalists Is Surprising, NYT, 10.10.2011
Nur wenige westliche Medien störten sich an den absurden Rechtfertigungen der Kriegsallianz, Zivilisten zu schützen, in dem man sie bombardiert, oder verwiesen gar darauf, dass das UN-Mandat auf das sich die NATO beruft, verlangt, jegliche Gewalt gegen Zivilisten zu unterbinden, auch die der Aufständischen.
“Was Gaddafi Bengasi niemals antat – und es gibt keine Indizien, dass er es getan hätte,” so Escobar am Tag zuvor, “tut der TNC [Übergangsrat] Sirte, Gaddafis Heimatstadt, an. Genauso wie die mörderische US-Offensive in Falludscha Ende 2004 im irakischen, sunnitischen Dreieck, wird Sirte zerstört um ‘es zu retten’.” (The US power grab in Africa, Asia Times, 21.10.2011)
Wären Gaddafi-treue Truppen auch nur annähernd mit solcher Brutalität vorgegangen, wären die Medien wochenlang voller Bilder und Berichten gewesen und alle hätten laut “Völkermord” geschrien.
Gemäß britischen Medien ging es bei den Angriffen auf Sirte darum, den "Kopf der Schlange abzuschlagen". Es gibt für westliche Politiker und Medien also wertvolles und unwürdiges Leben, so John Pilger auf der Antikriegsdemonstration am 8.10.2011 in London. Auch ihn erinnert das, was in Sirte geschah, an Falludscha, über dessen Verwüstung er in einem Dokumentarfilm berichtet. Wie die Libyer, die die Souveränität ihres Landes verteidigen, so stellten auch die widerspenstigen Bewohner Falludschas “unwürdiges Opfer” dar.
Die internationalen Medien waren in den letzten Tagen voll mit Schlagzeilen eindeutigen Inhalts: „Hatz auf den Profit bei der Aufteilung des Nachkriegs-Libyen“ titelte z.B. der Independent, und der Guardian macht mit „Das Rennen um Libyens Öl hat begonnen“ auf. Reuters meldete unter der Überschrift „Investoren begutachten Verheißungen und Fallstricke im Nach-Gaddafi-Libyen.“ Das Land verheiße eine Bonanza für westliche Firmen und Investoren zu werden“
Sie seien in einer sehr guten Position, wenn nun Milliardenschwere Öl-Kontrakte neu verhandelt bzw. verteilt würden. Auch der Wiederaufbau des stark zerstörten Landes verheiße viel Profit.
Der britische Economist erwartet, dass der Anteil am Krieg Auswirkungen auf die „Beute“ jedes Land haben wird. Britische Regierungsmitglieder sagten dem Blatt, die Intervention der NATO in den Aufstand, bedeute „Nun gehört es uns.“ Die Rebellen haben zuvor schon mehrfach deutlich gemacht, dass Länder, die ihren Aufstand aktiv unterstützten, insbesondere Großbritannien und Frankreich, eine Vorzugsbehandlung erwarten können.
Alain Juppé meinte dem Guardian gegenüber, es sei nur “fair und logisch”, dass französische Firmen vom Kriegseinsatz ihrer Armee profitieren werden. Le Monde unterstreicht die besonderen französische Ansprüche, indem das Blatt von „Sarkozys Krieg“ spricht und beschreibt, wie der Schmalspur-Napoleon, nächtelang über Karten von Libyen gebeugt, das Gelände der Frontlinien und die Möglichkeiten der Eroberung Tripolis studierte sowie persönlich den Abwurf von Waffen für Rebellen in den Bergen oder die Bewaffnung eines Rebellenkommandos aus Misurata für den Überfall auf Bengasi anordnete. Der Figaro deutet unter der Überschrift „Nicolas Sarkozys gewonnenes Spiel in Libyen“ schon den erwarteten Anteil an Libyens Ressourcen an, indem er betont, dass Frankreich 35% aller Luftangriffe flog, die den Rebellen den Weg ebneten.
Dazu passt ein – umgehend von den Beteiligten dementierter – Brief vom 3. April, den die französische Tageszeitung Libération letzten Dienstag veröffentlichte. Demnach sicherte der Übergangsrat Frankreich bereits als Gegenleistung für die militärische Hilfe zu, künftig 35% der libyschen Ölförderung übernehmen zu dürfen.
Das forsche Vorpreschen Frankreichs kontern britische Zeitungen, wie der der britische Telegraph, indem sie die herausragende Bedeutung britischer Elitetruppen beim Vormarsch auf Tripolis und dem Sturm der Hauptstadt herausstreichen.
Unterdessen ist der italienischen Ölmulti ENI bereits vor Ort dabei, die ersten Früchte des Krieges einzusammeln. Seine Aktien gingen letzte Woche prompt um 7% in die Höhe. Aber auch die Aktien der französische Öl-Multi Total und die stark in Libyen engagierte österreichische OMV AG gingen sofort um 3% nach oben. (Western Oil Majors Will Get the First Crack at Libyan Oil Production, Money Morning, 30.8.2011)
Die britische Großbank und ihr italienischer Mitbewerber Unicredit sitzen schon seit April in Bengasi und basteln am Aufbau einer neuen, liberalisierten Zentralbank (siehe Farhat Bengdara – ein Kollaborateur im Hintergrund betreibt die Umleitung libyschen Vermögens). Wenn sich diese demnächst den freigegeben Geldern annehmen wird, wird dies sicherlich nicht zum Schaden der beiden Banken sein.
In großer Sorge sind natürlich die anderen Staaten, inwieweit ihre Abkommen gültig bleiben. Sowohl die chinesische als auch die russische Regierung haben vor Vertragsbruch gewarnt. Der von den Rebellen übernommene Staatskonzern Arabian Gulf Oil Company (AGOCO) machte Reuters gegenüber sehr deutlich, mit wem er in Zukunft Geschäfte machen will: sie hätten bereits gute Kontakte mit italienischen, britischen, franz. und amerik. Firmen. Mit Rußland, China und Brasilien gäbe es noch politische Probleme.
Während China sich offiziell überzeugt gibt, dass die von der NATO eingesetzte neue Regierung es nicht wagen wird, die Verträge anzutasten, sprechen russische Vertreter offen von düsteren Aussichten: „Wir haben Libyen vollständig verloren, so Aram Shegunts, Generaldirektor des Russisch-Libyschen Wirtschaftsrates. „Unsere Firmen werden alles verlieren, weil die NATO sie daran hintern werden, ihre Geschäfte in Libyen weiter zu verfolgen.“
Moskau versucht daher hastig zu retten, was zu retten ist und hat sich, wie die russische Tageszeitung Kommersant meldete, rasch entschlossen, den NTC anzuerkennen und an der Konferenz in Paris am 1. September teilzunehmen, „um die russischen Wirtschafts- und sonstige Interessen zu schützen“. (Bill Van Auken, „Libyens Freunde“ teilen sich in Paris die Beute auf, WSWS, 3. 9.2011)
Da die deutsche Regierung die Rebellen politisch und über die NATO-Partnerschaft auch indirekt militärisch unterstützte, werden die Aussichten deutscher Unternehmen in Libyen, wie die BASF-Tochter Wintershall wesentlich besser eingeschätzt als die von China, Rußland oder Brasilien.
Dennoch heulen deutsche Medien und Politiker – von CDU/CSU, SPD bis zu den Grünen –wie eine Meute eingesperrter Jagdhunde darüber, dass Deutschland sich nicht voll und ganz an diesem lukrativen Feldzug beteiligt hat. International viel zitiert wird der englische Artikel des Spiegels „The Rebels Reach Tripoli – NATO’s Success Marks Bitter Failure for Merkel” (Die Rebellen erreichen Tripolis – Der Erfolg der NATO markiert einen bitteren Fehler Merkels)
Es wird sich erst noch zeigen müssen, ob die Erober in Libyen mehr Erfolg haben werden als die USA im Irak und die anvisierte Beute tatsächlich einsacken können. Noch ist Krieg nicht vorbei und der Widerstand gegen die NATO und ihre Verbündeten wird sicher noch lange weitergehen. Die libysche Bevölkerung jedoch hat schon ungeheuer viel verloren.
Der 1. September war bisher libyscher Nationalfeiertag, der Jahrestag des Sturzes des vom Westen eingesetzten König Idris. Dessen Sturz leitete die Entwicklung Libyens vom absoluten Armenhaus der Region zu einem Wohlfahrtstaat ein. Das ist auf absehbare Zeit nun vorbei.
Quellen:
- Dash for profit in post-war Libya carve-up, Independent, 24.8.2011
- The race is on for Libya’s oil, with Britain and France both staking a claim,
Guardian, 1.9.2011 - Investors eye promise, pitfalls in post-Gaddafi Libya, Reuters, 22.8.2011
- Once it’s over in Libya, will it be over?, The Econimist, 23.8.2011
- La guerre de Nicolas Sarkozy, Le Monde, 23.08.11
- Le pari gagné de Nicolas Sarkozy en Libye, Le Figaro, 22.8.2011
-
Pétrole : l’accord secret entre le CNT et la France,
Liberation, 30.8.2011
Libya: secret role played by Britain creating path to the
fall of Tripoli, Daily Telegraph, 22.8.2011 - ENI wird wieder in Libyen aktiv, Moneycab, 30.8.2011
-
Western Oil Majors Will Get the First Crack at Libyan Oil Production, Money
Morning, 30.8.2011 -
Western Oil Majors Will Get the First Crack at Libyan Oil Production, Money
Morning, 30.8.2011 - Bill Van Auken, „Libyens Freunde“ teilen sich in Paris die Beute auf, WSWS, 3. 9.2011
- The Rebels Reach Tripoli – NATO’s Success Marks Bitter Failure for Merkel,
Spiegel, 23.8.2011
Anfang August war das Image der libyschen Aufständischen auch im Westen stark ramponiert. „Gebeutelt durch innere Kämpfe“ und „unterminiert durch das rücksichtslose und undisziplinierte Verhalten ihrer Milizen“ scheine der Aufstand gegen Oberst Gaddafi in einen trüben Konkurrenzkampf zwischen verschiedenen Fraktionen und Stämmen überzugehen, schrieb noch am 13.8. die New York Times.
In der Tat schien der Krieg sich zunehmend zu Ungunsten der NATO zu entwickeln. Verteidigungsminister Gérard Longuet sprach im französischen Fernsehen sogar schon von einem Scheitern der militärischen Operation.[2] Auch sein britischer Kollege bezweifelte offen, dass die Rebellen aus eigener Kraft die Hauptstadt einnehmen könnten. Sie setzten seit langem vorwiegend darauf, durch das Aushungern und das Dauerbombardement die Bewohner Tripolis zum Aufstand zu bewegen[3] oder einen „Palast-Coup“ gegen Gaddafi zu erreichen. (siehe hierzu meinen vor der Offensive fertiggestellten Artikel in Hintergrund 3/2011)
Als im Juli mehrfach Hunderttausende in Großdemonstrationen gegen die NATO und ihre lokalen Verbündeten demonstrierten, begruben sie offensichtlich diese Hoffnung und schalteten auf Plan B um, d.h. sie beschlossen die Sache nun auch am Boden selbst in die Hand zu nehmen und einen eigenen „Aufstand in Tripolis“ zu inszenieren.
Mit dem Beginn des islamischen Fastenmonats begann die Kriegsallianz eine für alle Beobachter überraschende Offensive. Innerhalb weniger Tage gelang Rebellenmilizen und aufständischen Stammeskämpfer das Vordringen in strategisch wichtige Städte rund um die Hauptstadt. Die Versorgungslinien nach Tripolis, wo die Versorgungslage ohnehin schon dramatisch schlecht war, wurden weitgehend unterbrochen. Überraschend schnell gelang es schließlich den Aufständischen am 21. August in Tripolis einzudringen.
Auschlaggebend für diese Erfolge war jedoch nicht ein plötzliches Erstarken der Rebellen, sondern die Intensivierung und Ausweitung des NATO-Krieges. Die acht kriegführenden NATO-Mächte verstärkten ihre Luftangriffe und konzentrierten sie auf die Vormarschroute der Rebellenverbände. Sukzessive bombten sie diesen so den Weg frei – sie „weichten“ die Angriffsziele für die Rebellen „auf“, wie es Derek Flood vom US-Think Tank Jamestown Foundation bezeichnet.[4] Ein solches „Aufweichen“ durch flächendeckende Bombardierung kostete allein in dem Dorf Majer, nahe der umkämpften Stadt Sliten über 80 Männer, Frauen und das Leben. [5]
Beim Vorrücken in die Städte griffen dann Kampfhubschrauber mit ihrer ungeheuren Feuerkraft direkt in die Bodenkämpfe ein. (Deren Einsätze werden i.d.R. nicht als Luftwaffeneinsätze gezählt, sind also in der Zahl von bis dato 20.000 Einsätzen und 7.500 Luftangriffen nicht enthalten.( Stop NATO, Updates on Libyan war, August 22,2011)
Wie schon in den fünf Monaten zuvor, bestand die Hauptaufgabe der Rebellenmilizen darin, durch ihr Vorrücken die Verteidiger zu einer Reaktion zu zwingen. Sobald diese begannen, sich den Angreifern entgegenzustellen, wurden sie von Kampfjets und Hubschrauber unter Feuer genommen. Man wird wohl nie erfahren, wie viel tausend, praktisch wehrlose Verteidiger der libyschen Souveränität dabei massakriert wurden – viele als sie bereits auf dem Rückzug waren. So versenkten NATO-Jets mehrfach Boote, auf denen libysche Soldaten aus unhaltbar gewordenen Stellungen zu entkommen suchten.[6] Dass regierungstreue Kräfte trotzdem fünf Monate lang die Verteidigungslinien halten konnten, zeugt von bemerkenswertem Mut und Entschlossenheit weiter Teile der Bevölkerung, das bisherige Gesellschaftsystem zu verteidigen. Sie wussten sehr gut, was für das Land auf dem Spiel steht.
Eine Gruppe Reporter der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua konnten sich von Tunesien bis Tripolis durchschlagen und dabei die jüngsten Zerstörungen besichtigten. Von Zawiya, einer der lang umkämpften, strategisch wichtigen Städte nahe Tripolis, war demnach nicht viel übrig geblieben. Alle Gebäude entlang der Straße waren zerbombt und ausgebrannt, die Mauern übersät mit Einschusslöchern. Eine ganze Reihe von Gebäudekomplexen war völlig dem Erdboden gleichgemacht. Auch in Tripolis sahen sie umfangreiche Verwüstungen durch NATO-Bomben an den Einfallstraßen.[7]
„Boots on the Ground“
Die Angriffe aus der Luft allein hätten die Wende nicht bewirkt. Spezialeinheiten der NATO-Mächte übernahmen auch am Boden die führende Rolle. Der israelische Militärinformationsdienst DebkaFile’s berichtete als erster, dass an der Spitze der Sturmangriffe auf Tripolis britische, französische, jordanische und katarische Elitetruppen standen. Großbritannien setzte demnach Kommandos des Special Air Service (SAS) ein, Frankreich „2REP“-Fallschirmjäger-Einheiten und Jordanien die „Königlichen Spezialkräfte“, die auf Straßenkämpfe und Angriffe auf befestigte Stellungen, wie Gaddafis Militär-Komplex spezialisiert seien. Angaben von DebkaFile sind aufgrund seiner Nähe zu israelischen Geheimdiensten mit Vorschicht zu genießen, sie wurden jedoch bald von der US Nachrichtenagentur AP und britischen Zeitungen und der New York Times[8] bestätigt.
DebkaFile hat zudem den Überraschungsangriff schon Anfang Juli vorhergesagt. Die NATO-Mächte wären dabei, ihre Planungen für eine großangelegte, umfassende Militäroffensive zum Sturz Gaddafis abzuschließen. Diese würde in einigen Wochen beginnen, angeführt von französischen und britischen Truppen, denen US-amerikanische nachfolgen würden.[9]
Das deckt sich durchaus mit den Erkenntnissen von AP, die am 23.8. meldete, es sei „ein offenes Geheimnis“, dass ab dem Moment, „als in den Kämpfen in Libyen ein Patt drohte, die Rebellen von verdeckt im Lande operierenden ausländischen Militärberatern angeleitet wurden.“ Diese „wiesen auch die NATO-Flugzeuge ein, die Regierungstruppen bombardierten“.
Diplomaten geben zu, dass NATO-Staaten und Partnerländer aus dem Mittleren Osten an den Geheimoperationen auf libyschem Boden beteiligt waren. Diese Operationen waren nicht in die NATO-Befehlsstruktur eingebunden, um Verstöße gegen das UN-Mandat zu vermeiden […]
Diese weitgehend im Verborgenen agierenden (ausländischen) Unterstützer halfen, die zusammengewürfelte Rebellen-Armee in eine Streitmacht umzuwandeln, die in der Lage war, Tripolis zu erstürmen. [10]
Die CIA und andere US-Geheimdienste haben schon vor Beginn und während des Krieges, so AP weiter, Informationen mit Hilfe von Kontaktpersonen gesammelt, die sie angeworben hatten, als sie mit der Gaddafi-Regierung bei der Bekämpfung Al-Qaida-naher, islamistischer Gruppen in Libyen zusammenarbeiteten.
Der Einsatz ihrer „Instrukteure“ zielte nicht nur auf die Erhöhung der Schlagkraft, sondern wie US-Offizielle andeuten, auch der politischen Kontrolle. Die plötzliche „Verbesserung der Operationsfähigkeit“ und „Koordination der Kampftätigkeit“ der Rebellen-Milizen ließe sich nach Ansicht von Militärexperten ohne Beteiligung ausländischer Bodentruppen auch gar nicht erklären.
Mit dem zunehmendem Einsatz von bewaffneten US-Predator- Kampfdrohnen sei der Weg für die vorrückenden Rebellen freigeräumt worden. Die Killer-Drohnen konnten auch in Stadtnähe „Präzisionsschläge“ durchführen und so den Rebellen einen raschen Vormarsch durch Zawiya auf Tripolis ermöglichen. Im AP-Bericht heißt es weiter:
Unterstützt durch immer präzisere NATO-Luftangriffe, konnten die Rebellen die Gaddafi-Truppen allmählich zurückdrängen und deren Nachschubrouten blockieren; gleichzeitig floss der Opposition immer mehr Geld und Nachschub zu.
Die NATO-Bombenangriffe, die Durchsetzung der Flugverbotszone, das Waffenembargo [nur für die libysche Armee] und die vor der Küste patrouillierenden [NATO-]Kriegsschiffe verschafften den Rebellen genügend Luft, damit sie sich mit Waffen und Munition versorgen konnten.
Der britische Guardian berichtete von der Beteiligung „einer Anzahl“ aktiver Mitglieder britischer Spezialkräfte als auch von ehemaligen Soldaten des SAS, die schon lange als Söldner im Land sind. Auch Elitetruppen aus Frankreich, Katar und Jordanien seien wohl mit von der Partie.[11] Der Telegraph nennt bzgl. britischer Eliteeinheiten noch weitere Details. Unter dem Schlagzeile „SAS führt die Jagd nach Gaddafi an“ meldet er, Quellen des Verteidigungsministeriums hätten nun bestätigt, dass Einheiten des 22. SAS-Regiment seit „mehreren Wochen“ in Libyen im Einsatz sind und eine „Schlüsselrolle“ beim „Fall von Tripolis“ gespielt hätten. Nachdem der größte Teil der Hauptstadt in den Händen der Rebellen sei, hätten die SAS-Truppen, die in arabischer Zivilkleidung und mit den selben Waffen wie die Rebellen operieren, nun den Auftrag Gaddafi zu finden.[12]
Voll patriotischem Stolz hatte der Telegraph zwei Tage zuvor schon die geheime, führende britische Rolle bei dem Sturm auf Tripolis gepriesen. MI6-Agenten hätten die Pläne mit der Rebellenführung in Bengasi ausgearbeitet, 1000 Kampfausrüstungs-Sets mit Telekommunikationsgeräte, schusssicheren Westen und Nachtsichtgeräten seien verteilt worden. Britische Tornado-Jets hätten schließlich den „Aufstand“ durch die Ausschaltung von zentralen Kommunikationseinrichtungen und Verteidigungsstellungen der Hauptstadt eingeleitet.[13]
Im Grunde, so Cahal Milmo und Kim Sengupta vom Independent, ist bereits seit sechs Monaten eine stille, von London gesponserte Bodenoffensive im Gange, an der eine Armee von Diplomaten, Spionen, Militärinstrukteure und ehemaligen Mitgliedern von Spezialeinheiten beteiligt ist. Schon früh sei man zur Auffassung gelangt, so ein britischer Diplomat, dass man Gaddafi nur besiegen könne, wenn man neben dem Luftkrieg auch „praktische Maßnahmen am Boden“ ergreife. Es gehe „nicht um Legionen von SAS-Leuten“, sondern darum „Erfahrung zu vermitteln“ und „Anderen“ ermöglichen, „hilfreich“ zu sein.
Mit den “Anderen” sind Gruppen ehemaliger Elitesoldaten gemeint, die nun im Dienst privater Sicherheits- bzw. Militärdienste stehen, die – so Milmo und Sengupta – regelmäßig an der Spitze, der sich Richtung Tripoli durchkämpfenden Rebellen gesehen wurden. Nach „Frustration bis hin zu Verachtung über den Mob-Charakter eines Großteils der Rebellenarmee“ haben die Briten und ihre Alliierten den Übergangsrat angewiesen, mit Geldern der Kriegsallianz ehemalige britische Soldaten als Söldner einzukaufen. [14]
Während der französische Außenminister Alain Juppe die Beteiligung von französischen „Instrukteuren“ grundsätzlich bestätigte, bestreitet die britische Regierung dies offiziell immer noch. Dabei hatte Al-Jazeera schon im Mai Bilder europäischer Soldaten in Libyen gezeigt und hatten britische Zeitungen berichtet, dass vom aktiven Dienst freigestellte britische Elitesoldaten über private Söldnerfirmen in Libyen eingesetzt würden.[15]Der britische Daily Mirror veröffentlichte im Juni Bilder, die SAS-Soldaten und britische Fallschirmjäger in Mitten libyscher Rebellen zeigen.[16]
Schließlich gab nun ein Sprecher des Weißen Hauses bekannt, dass auch CIA-Agenten an den Operationen beteiligt sind und nun bei der, zu Hause so populären Jagd auf Gaddafi dabei sind.[17]
Der russische General und Experte für internationale Sicherheit Gennady Yevstafyev vermutet noch einen weiteren Grund hinter den plötzlichen Fortschritten der Kriegsallianz:
Die USA, die westlichen Ländern operieren nicht nur mit militärischer Macht, sondern vielmehr indem sie zentrale Personen des Regimes gegen das sie Krieg führen kaufen. …
Ich bin überzeugt, dass in diesem speziellen Fall ungeheure Geldsummen in die Operationen der letzten Wochen gesteckt wurden, durch die es ihnen gelang , äußerst wichtige Leute aus Gaddafis Militärführung zu kaufen.[17a]
Inszenierter Aufstand
Auch aus Libyern zusammengesetzte Spezialkräfte, die in den letzten Monaten von der NATO aufgebaut und trainiert wurden, dürften zu den Erfolgen beigetragen haben. Nachdem der Aufstand in Tripolis ausblieb, wurde eine größere Zahl von ihnen, zusammen mit erheblichen Mengen an Waffen und Ausrüstung sukzessive nach Tripolis geschmuggelt, wo sie bewaffnete „Schläferzellen“ bildeten.[18] (Die hohe Zahl von „15.000 Kämpfer im Untergrund“, die die Rebellenführung der FAZ verraten hat, darf man allerdings getrost unter der üblichen Propaganda abheften. [19])
Diese erhielten ihr Signal zum Losschlagen nach Aussagen eines Sprechers des Übergangsrates über Libya TV, einen in Katar stationierten Satelliten-Sender der Rebellen.[20]
Diese Elitetrupps stürmten darauf hin u.a. die Ben Nabi Moschee im Zentrum von Tripolis und kündigten über Lautsprecher die Übernahme der Stadt an. Indem sie koordiniert an wichtigen Stellen zuschlugen, konnten sie rasch den Eindruck vermitteln, die Hauptstadt wäre in kurzer Zeit in die Hände der Rebellen gefallen.
Von einem „Aufstand“ in Tripolis kann demnach nicht gesprochen worden, es war eine erfolgreiche Überrumpelung des Gegner, die durch die überlegenen Mittel der Angreifer die Schwächung der Verteidiger durch fünfmonatige Bombardierung ermöglicht wurde. Im Kern handelt es sich um nichts anders, als um eine, von Eingeborentruppen unterstützte Bodenoffensive der NATO.
„Imperialer Wahnsinn“
Pepe Escobar faßte das Szenario unter dem Titel „Willkommen in Libyens »Demokratie«“ treffend zusammen:
„[Operation] ‚Siren‘ stellte ein farbenfrohes Casting dar, mit ‚NATO-Rebellen‘, islamistischen Fanatikern, leichtgläubigen, eingebetteten Journalisten, TV-freundlichen Mobs und Cyrenaika-Jugendliche, die von opportunistischen, nach fetten Schecks der Ölgiganten Total und BP gierenden Abtrünnigen des Gaddafi-Regimes manipulierte werden, in den Hauptrollen.
Mit ‚Siren‘ kam die NATO (buchstäblich) aus allen Rohren feuernd aus der Deckung: Apache-Kampfhubschrauber feuerten nonstop und Jets bombten alles was in Sicht kam. Die NATO überwachte die Landung Hunderter Truppen aus Misurata an der Küste östlich von Tripoli während ein NATO-Kriegsschiff schwere Waffen verteilte.[21]
Allein auf das Regierungszentrum „Bab Al-Asisija“ wurden vor der Eroberung über 60 Bomben abgeworfen. Getötet wurden dabei vermutlich auch zahlreiche Zivilisten, die in Zelten vor dem Komplex campierten, um die NATO von dessen Bombardierung abzuhalten. Venezolanischen Medien zufolge wurden allein in Tripolis in diesen Tagen über 2.000 Menschen durch NATO-Bomben getötet.
Die NATO und ihre Verbündeten „sind dabei das Land vor den Augen der Welt zu zerstören und in Stücke zu hacken“ so Hugo Chavez am Mittwoch. „Sie haben das Land auseinander gerissen und es war nicht Gaddafi der dies tat. Sie haben das Land in Flammen gesetzt und es war nicht Gaddafi der dies tat – nein es war der imperiale Wahnsinn und die globale kapitalistische Krise die es tat.“ [22]
Propaganda-Krieg
Eine Hauptfront beim Angriff war offensichtlich die Propagandafront. Völlig übertriebene oder erfundene Erfolgsmeldungen, von den internationalen Medien bereitwillig wiedergegeben, zielten darauf, Panik unter den Bewohnern der angegriffen Städte zu verbreiten und das Gefühl der Aussichtslosigkeit jeglichen Widerstands. U.a. setzte die Kriegsallianz auch Massen-SMS an die Bewohner der angegriffenen Städte ein, die moderne Variante des Flugblattabwurfs aus dem klassischen Arsenal der psychologischen Kriegsführung.
Da NATO-Bomben die staatlichen Radio- und Fernsehsender nahezu außer Betrieb gesetzt hatten, waren die Möglichkeiten der Regierung zu Richtigstellungen begrenzt. Die Wirkung, des durch das Echo in den internationalen Medien vielfach verstärkten psychologischen Krieges dürfte daher erheblich gewesen sein.
Allein der Bluff mit der Falschmeldung über die Gefangennahme der Gaddafi-Söhne, die weltweit verbreitet und vom Internationalen Strafgerichtshof bekräftigt wurde, hätte ihnen einen erheblichen politischen und militärischen Vorteil verschafft, verkündete stolz der Chef des Übergangsrats, Mahmoud Dschibril. Viele Soldaten hätten daraufhin den Kampf aufgegeben. [23] Die Blamage durch das plötzliche Auftauchen von Gaddafi Sohn Saif al Islam vor der internationalen Presse in Tripolis verärgerte jedoch z.B. die New York Times so, dass, sie sich einen Artikel über die „Welle von Desinformationen“, die die Wahrheit überschwemme, erlaubte.[24]
Auch kaum eine der Städte, die von den Aufständischen als erobert gemeldet wurden, ist bisher tatsächlich fest unter Kontrolle der NATO und des Übergangsrates. Auch in Tripolis ist weiterhin unklar, wie viel der Stadt von der Kriegsallianz kontrolliert wird. In mehreren Viertel sahen sich die Invasoren, wie Al Jazeera berichtete, nach dem Eindringen in die Stadt von Regierungstruppen umzingelt. [25]Auch der Blutzoll der Angreifer war eigenen Angaben zufolge immens. Und nachwievor werden aus vielen Stadtteilen heftige Kämpfe gemeldet und gehen NATO-Bomben auf die verbliebenen Verteidiger der Stadt nieder.
Sollte die NATO gehofft haben, dass sich nennenswerte Teile der Tripolitaner den Aufständischen anschließen würde, so sah sie sich gründlich getäuscht. Die Zahl derer die sich auf dem symbolträchtigen „Grünen Platz“ zur voreiligen Siegesfeier versammelten, „blieb moderat im Vergleich mit den Tausenden, die es vorzogen, bewaffnet mit den zuvor an die Einwohner verteilten Handfeuerwaffen an der Seite des Führers des Landes im Regierungsbezirk Bab al-Aziziya auszuharren“, so Russia Today.[26]
Rolando Segura von TeleSur berichtet, dass die Bürger der Stadt sich in den, von der Kriegsallianz eroberten Vierten völlig in ihre Häuser zurückgezogen und die Türen verrammelt hätten, um nicht bei den einsetzenden Massenarresten als Gaddafi-Anhänger in die Hände der Rebellen zu fallen. Diese tobten, wie so oft, vor allem ihren rassistischen Hass auf Schwarzafrikaner aus. In einem Feldlazarett waren allein über 30 Leichen von exekutierten Afrikanern gefunden worden.[27]
Neues NATO-Protektorat
Russland, China, die lateinamerikanischen Staaten und die 54 Staaten der Afrikanischen Union, die die NATO-Offensive als klaren Verstoß gegen die UN-Resolution verurteilen, weigern sich daher noch, den nationalen Übergangsrat der Rebellen anzuerkennen. Die AU verweist erneut auf die große Zahl von Opfern, die alle vermieden werden können, hätte man ihre Initiative zur Beilegung des Konflikts nicht sabotiert und fordert statt einer Aufwertung des Übergangsrats die Bildung einer Übergangsregierung, die auch Gaddafi-treue Kräfte einbindet.[28]
Doch auch wenn die Kriegsallianz vorerst die Oberhand über den größten Teil des Landes erringt, so ist der Krieg keineswegs zu Ende. Die Mehrheit im Westen des Landes wird sich nicht einfach der NATO oder den aufständischen Kräften aus dem Osten unterordnen, die für die NATO-Bomben und die Zerstörungen verantwortlich sind und deren Programm auf die Abschaffungen vieler Errungenschaften der libyschen Dschamahirija zielt. So wird die im Verfassungsentwurf aus Bengasi enthaltene Einführung der Scharia, als Basis jeden Rechts, das Ende der bisherigen rechtlichen Gleichstellung libyscher Frauen bedeuten. Nicht umsonst zählen Frauen zu den aktivsten Verteidigerinnen des bisherigen Gesellschaftssystem. „Feministinnen zählen zu Gaddafis größten Fans“ musste denn auch Associated Press im Juni feststellen. [29]
Der Widerstand wird daher, wie im Irak, in anderer Form weitergehen. Die Anti-Gaddafi-Koalition wird den Sturz des gemeinsamen Feindes hingegen nicht lange überdauern. In mehreren Städten im Osten haben die örtlichen Rebellen verkündet, den Übergangsrat keinesfalls als Vertretung anzuerkennen. Auch einige der Rebellen-Milizen, die nach Tripolis eindrangen, lehnen, so Xinhua, diesen ab. Manche begannen sogar Checkpoints einzurichten und andere Rebellen zu entwaffnen.[30] Angesichts dessen sehen auch viele westliche Experten die Gefahr eines anhaltenden Bürgerkriegs mit vielfältigen Fronten. Wenn sie dabei die durchaus reale Gefahr somalischer Verhältnisse in dem noch stark von Stämmen dominierten Land beschwören, so geschieht dies jedoch nicht uneigennützig:
In den westlichen Hauptstädten werden nicht zuletzt damit die Pläne über den Einsatz einer „UN-Truppe“ nach dem Vorbild der KFOR-Mission im Kosovo begründet. Faktisch wurde die abtrünnige serbische Provinz dadurch nach dem Krieg 1999 zum westlichen Protektorat. Auf diese Weise könnte die NATO auch in Libyen die wenig verlässliche Rebellenführung unter ihre Kontrolle bringen und sicherstellen, dass westliche Konzerne endlich einen befriedigenden Zugriff auf die libyschen Ressourcen erhalten.
Noch halten sich die NATO-Mächte bedeckt, doch die Pläne gehen offensichtlich in Richtung der Entsendung von Besatzungstruppen. Die westlichen Think Tanks bereiten dafür schon den Boden. Beispielsweise betonte Richard Haass vom einflussreichen Council on Foreign Relations sofort nach dem Einmarsch in Tripolis erneut, Libyen benötige nun „Boots on the ground.“ [31]
Vermutlich war dies von Anfang Teil der Kriegsplanung. Zumindest deutete dies der NATO Oberbefehlshaber, US-Admiral James Stavridis am 29.3. bei einer Senatsanhörung recht deutlich an. „Wenn man sich die Geschichte der NATO ansehe, … mit Bosnien und Kosovo, so ist es ziemlich klar, dass die Möglichkeit [der Notwendigkeit] eines Stabilisierungsregimes existiert.“ Er habe noch keine Diskussion darüber gehört, sei aber überzeugt, dass dies jeder im Kopf habe, wenn er nach Libyen sehe.[32]
Anlässlich der aktuellen Beratungen innerhalb der NATO wurde AP gegenüber nur versichert, dass es keine „längere“ Präsenz von NATO-Truppen geben werde.[33] Da die Mehrheit der NATO-Staaten nicht sonderlich glücklich über den Einstieg in den Luftkrieg war, so AP, wäre die Bereitschaft zur Entsendung von Bodentruppen gering.
Anderseits bereitete die EU schon im April den Einsatz größere Kontingente von EU-Truppen vor, mit dem angeblichen Ziel, die Verteilung von Hilfslieferungen abzusichern. Die zuständigen UN-Hilfsorganisationen verweigerten jedoch den dafür notwendigen Hilferuf. Diese Truppen stehen wohl nach wie vor bereit. „Hunderte britische Soldaten“ könnten sofort als „Friedenssicherer“ nach Libyen entsandt werden, falls das Land in Chaos zu fallen drohe vermeldete jedenfalls die britische Regierung letzten Dienstag. Das UN-Mandat verbiete zwar Besatzungstruppen, erlaube aber den temporären Einsatz zu „humanitären Zwecken“.[34]
Vermutlich wird das reichlich überstrapazierte UN-Mandat jedoch bald ad acta gelegt. Eine wesentlich freiere Hand würde ein Hilfeersuchen der von der Kriegsallianz etablierten Gegenregierung bieten. Gemäß NATO-Sprecherin Oana Lungescu wird die Option, Truppen unter UN-Mandat einzusetzen, das auf der Petition des Übergangsrats beruht, von der NATO bereits erörtert. Dieser beeilte sich sehr, seinen offiziellen Sitz nach Tripolis zu verlegen, um sich so wesentlich glaubwürdiger als bisher, als neue Regierung zu präsentieren.[35]
Auch wenn Politiker und Strategen der NATO immer eifriger versichern, man werde die im Irak gemachten Fehler vermeiden, so würde Libyen durch die Nato-Besatzung exakt in die Spuren des Zweistromlandes gleiten. Sicherlich machten die Besatzer im Irak zahlreiche taktische Fehler, doch waren es letztlich die wirtschaftlichen und geostrategischen Ziele der Erober, die das Land unweigerlich in die Katastrophe führten. In Libyen verfolgen sie im Wesentlichen die gleichen Ziele mit einem ähnlichen Spektrum lokaler Verbündeter.
Hugo Chavez übertreibt daher nicht, wenn er angesichts der Berichte über eine bevorstehenden Invasion von Nato-Truppen befürchtet, dass die „Tragödie in Libyen erst begann.“ [36]