Rede zur Kundgebung anlässlich seines 52. Geburtstag am 3. Juli in Heidelberg
Die Kundgebung heute ist dem investigativen australischen Journalisten Julian Assange gewidmet, Mitbegründer und führender Kopf der Enthüllungsplattform Wikileaks, dem wir die Aufdeckung vieler Verbrechen und Skandale verdanken.
Er begeht heute seinen 52. Geburtstag, von „feiern“ kann kaum die Rede sein, schließlich ist es sein fünfter Geburtstag in britischer Gefangenschaft, der fünfte im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, wo er den größten Teil des Tages in einer 2 auf 3 Meter großen Zelle eingesperrt ist, so wie wir es hier zur Veranschaulichung aufgemalt haben. Er wird gefangen gehalten unter Isolationshaftbedingungen, die der langjährige UN-Sonderberichterstatter über Folter, Prof. Nils Melzer, als staatliche Willkür und psychische Folter bezeichnet.
Schon die sieben Jahre in der Londoner Botschaft von Ecuador, in die er trotz politischem Asyl dieses Landes wie ein politischer Flüchtling einschlossen war, da die britischen Behörden ihn nicht ausreißen ließen, haben ihm gesundheitlich schon sehr zugesetzt. Die Isolationsfolter in Belmarsh hat seine Gesundheit regelrecht ruiniert.
Wir protestieren gegen diese unmenschliche Behandlung und fordern seine unverzügliche Freilassung, gemeinsam mit vielen Initiativen und Gruppen weltweit, darunter Dutzende Journalistenverbände, Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Friedensgruppen wie die IPPWN, die Assange auch – wie einige andere Nobelpreisträger ‒ für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen haben.
Die Einkerkerung von Julian Assange in London erfolgt auf Geheiß der USA, die die Auslieferung des Aufklärers verlangen. Vor US-Gerichten droht ihm ein Strafmaß von 175 Jahre Gefängnis, d.h. lebendig begraben zu werden, unter besonders schweren Haftbedingung.
Die USA verfolgen ihn nicht auf diese brutale Weise, weil er sich Verbrechen schuldig gemacht hat, sondern weil er half, brisante Geheimdokumente, Fotos und Videos zu veröffentlichen, wie die Kriegstagebücher der US-Armee aus den Kriegen im Irak und in Afghanistan, die deren Grausamkeiten und zahlreiche Kriegsverbrechen enthüllten, sowie auch den Tod zigtausender zivile Opfer ‒ Opfer, die von der US-Armee und den politisch Verantwortlichen zynisch als Kollateralschäden verharmlost werden.
Da er sich die Dokumente nicht selbst, unter Verstoß von Geheimhaltungsvorschriften oder Ähnlichem verschafft hat, sondern nur einen sicheren Kanal für die Whistleblower schuf, sowie bei der Auswertung und Veröffentlichung half, hat er kein einziges US-Gesetz verletzt, konnte dies als Australier, der nicht in den USA lebt und für keine US-amerikanischen Stellen arbeitete, auch schwerlich tun.
Doch die USA haben sich noch nie um solche Feinheiten gekümmert. Es gehört zum festen Selbstverständnis der US-Eliten, dass die Supermacht ihre Gesetzgebung, ihren Willen und ihre Rachsucht weltweit durchsetzen darf ‒ sei es mit Hilfe einer willfährigen Justiz verbündeter oder zur Unterordnung gezwungener Staaten, sei es per Drohnenmord durch Anweisung des US-Präsidenten.
Im Fall Assange sind die Regierung, Behörden und Gerichte in GB nicht nur willfährige Gehilfen, sondern ‒ durch die folterartigen Haftbedingungen ‒ auch bereits Vollstrecker einer exemplarischen Strafe an ihm, ohne eine Gerichtsverhandlung, die ihn eines Vergehens überführt hätte, ohne Urteil zur Sache, d.h. eine extralegale Bestrafung, die offensichtlich auch ohne Auslieferung Assanges an die USA, andere Aufklärer abschrecken soll, die dafür sorgen soll, dass es sich andere kritische Journalisten und potentielle Whistleblower zukünftig dreimal überlegen, Verbrechen und Skandale von US-amerikanischen oder britischen Stellen öffentlich zu machen.
Zu den bekanntesten geleakten Dokus von US-Kriegsverbrechen, die mit Assange Hilfe die internationale Öffentlichkeit etwas aufrütteln konnte, zählt das Video „Collateral Murder“, das zwei tödliche Luftangriffe auf Zivilisten am 12. Juli 2007 in Bagdad zeigt. Die Aufnahmen stammen von den Bordkameras der beiden Apache-Kampfhubschrauber.
Zunächst beschossen diese mit ihren 30-mm-Bordkanonen eine Gruppe von elf Männern, die offensichtlich an keinerlei Kampfhandlung beteiligt waren, nur weil die Kampfpiloten Waffen bei ihnen vermuteten. Unter ihnen waren die beiden Reutets-Reporter Said Chmagh und Namir Noor-Eldeen. Eine der mutmaßlichen „Waffen“ war Namirs Kamera mit Teleobjektiv.
Der zweite Angriff mit den Schnellfeuer-Bordkanonen galt einem der verletzten Reporter und zwei unbewaffneten Männern, die vorbeigefahren kamen und versuchten, ihn mit ihrem Kleinbus zu retten. Alle drei wurden getötet und zwei im Wagen sitzende Kinder schwer verletzt.
Im Video uu hören ist auch der Funkverkehr zwischen den Hubschrauber-Besatzungen und ihrer Leitstelle. Die kaltblütigen, zynischen und brutalen Funksprüche belegen sehr eindrücklich, wie wenig ein irakisches Leben für die Besatzungstruppen zählte.
Obwohl das unter der Bezeichnung „Collateral Murder“ 2010 veröffentlichte Video weltweit für Empörung sorgte, wurde für dieses Kriegsverbrechen niemand zur Verantwortung gezogen ‒ nicht die Hubschrauber-Crews, nicht ihre Kommandeure und schon gar nicht die militärischen und politischen Führer, die die Einsatzregeln im schmutzigen Krieg gegen den vehementen bewaffneten und zivilen irakischen Widerstand, derart gelockert hatten, dass solche „kollaterale Morde“ alltäglich waren.
Eine Million Iraker und Irakerinnen fielen dem Krieg von 2003 bis 2011 zum Opfer. Fast ein Siebtel von ihnen wurde, Mortalitätsstudien zufolge, durch Luftangriffe der Streitkräfte der USA und Großbritanniens getötet.
Diese Morde sind bis heute ungesühnt, während Juliane Assange deswegen in Gefangenschaft sitzt und Chelsea Mannings, die Wikileaks das Video neben Hunderttausende Regierungs- und Militärdokumente zukommen ließ, viele Jahre unter Bedingungen in Isolationshaft sitzen musste, bis sie endlich ‒ auf internationalen Druck hin ‒ von US-Präsident Obama begnadigt wurde.
Wir fordern, dass die Täter von Kriegsverbrechen, wie auch deren politischen und militärischen Verantwortlichen, endlich dafür zur Rechenschaft gezogen werden und nicht die, die sie enthüllen.
Wir verlangen, dass die Bundesregierung sich endlich entschieden dafür einsetzt, dass Assange freikommt und die Verfolgung von Aufklärern wie Edward Snowden eingestellt wird.
Auch Snowden hatte jüngst runde Jahrestage. Seine Enthüllungen über die ungeheuren Abhörpraktiken von US-Geheimdiensten im Rest der Welt jährten sich vor vier Wochen zum zehnten Mal und am 21. Juni feierte er in Russland, wohin er sich gerade noch retten konnte, seinen 40. Geburtstag. Auch ihm wollen wir heute „Danke“ sagen und alles Gute wünschen, trotz seines unfreiwilligen Exils.
Für eine freie Presse! ‒ Freiheit für Julian Assange und alle verfolgten Whistleblower!