Höchste Zeit für Friedenspolitik ‒ „Deutsche Einheit“ verpflichtet zur Entspannung und „kollektiven Sicherheit“

Redebeitrag auf der Kundgebung des Friedensbündnis Heidelberg im Rahmen des bundesweiten Aktionstags am 3. Oktober 2023.

Seit 1991 wird am 3. Oktober der Anschluss der DDR an die BRD als „Tag der Deutschen Einheit“ gefeiert. Wir wollen an diesem Tag daran erinnern, dass auf dem Weg dorthin die dadurch größer gewordene Bundesrepublik wie auch die übrigen Westmächte Verpflichtungen für Frieden und Entspannung eingegangen sind.
Damals waren Hoffnungen auf eine friedlichere Welt geweckt worden, die bald enttäuscht wurden, wie die der Ost-Deutschen auf die versprochenen „blühenden Landschaften“.

Der 3. Oktober war aus friedenspolitischer Sicht von Anfang an ein problematischer Gedenktag, nationalistisch geprägt, propagandistisch eine einige Volksgemeinschaft postulierend. Diese kann es in einer kapitalistischen Gesellschaft nicht geben und von „Einheit“ kann sicherlich auch keine Rede sein. Die gefeierte „Wiedervereinigung“ war in Wirklichkeit eine feindliche Übernahme ohne das geringste Bemühen das Beste aus beiden Gesellschaftssysteme zu übernehmen, insbesondere die sozialen Errungenschaften der DDR, wo die sozialen Menschenrechte viel weiter entwickelt waren als im Westen. Es wurde keine gesamtdeutsche Verfassung erarbeitet, sondern der Geltungsbereich des Grundgesetzes und des Rechtssystem der BRD auf den Osten übertragen und damit auch das kapitalistische Gesellschaftssystem.

Den meisten in der DDR kam diese Form der „Wiedervereinigung“ teuer zu stehen. Sie ging einher mit Enteignung, Deindustralisierung, Entwertung von Erfahrung und Lebensleistung, berufliche Degradierung bis Arbeitslosigkeit uvm.

Die Folgen sind auch 33 Jahre danach deutlich zu spüren: so bekommt der Ossi trotz im Schnitt längerer Arbeitszeit 22 Prozent weniger Lohn und hat praktisch kaum Chancen auf Karriere. Letztes Jahr waren nur zwölf Prozent der Führungspositionen im Osten auch mit Ostdeutschen besetzt, bei den Führungsspitzen waren es sogar nur zwei Prozent. Auch die Chefredaktionen, die Universitäten, die Orchester, die Museen etc. werden fast ausschließlich von Westdeutschen geleitet, genau wie die meisten größeren Unternehmen.

Nachdem das ostdeutsche Volksvermögen von der Treuhand ans westdeutsche Kapital verschleudert wurde, erreicht das sogenannte Medianvermögen – die Mittelinie zwischen armen und reichen Haushalten – im Osten mittlerweile gerade mal wieder 43.400 Euro. Im Westen liegt es bei 127.900 Euro, also dem Dreifachen.

Selbst ihre Geschichte hat man den Ostdeutschen genommen. Sie wird seither von denen geschrieben, die sich als Sieger im Kalten Krieg sehen. Arroganz und Siegermentalität prägt aus Sicht der Ossis auch allgemein den Blick aus dem Westen, eine „Art Zooblick“, wie die Redakteurin der Berliner Zeitung Anja Reich es in ihrem Artikel am Samstag nennt.

Es ist wichtig, sich diesen kolonialistischen Geist zu vergegenwärtigen, in dem sich die Siegermentalität der westdeutschen Eliten ausdrückte, da er gleichzeitig ein Großmachtstreben im wiedervereinten Deutschland befeuerte.

Vom deutschen Boden würde nur noch Frieden ausgehen, hatten die Regierungen der BRD und DDR im Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12.09.1990 erklärt. Doch die Herrschenden im Lande sahen mit dem Ende der DDR den Weg frei, ihre bisherige Zurückhaltung in ihren imperialistischen Ambitionen abzulegen.

Bereits in den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 wurde ausgeführt, dass die Bundeswehr zukünftig deutsche Interessen auch weit außerhalb Deutschlands durchsetzen müsse, zur „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“. Sie leiteten damit den Umbau der Bundeswehr zur Interventionsarmee ein.

Der damalige Außenminister Klaus Kinkel gab die Stoßrichtung vor (in einem FAZ- Artikel vom März 1993). Es gelte nun „zwei Aufgaben parallel zu meistern: Im Inneren müssen wir wieder zu einem Volk werden, nach außen gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind.“ ‒ Ihr habt richtig verstanden: „vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind“. Und zwar „im Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und unserem Potential entspricht.“ Wir Deutschen seien, so Kinkel weiter „aufgrund unserer Mittellage, unserer Größe und unserer traditionellen Beziehungen zu Mittel- und Osteuropa auch dazu prädestiniert, den Hauptvorteil aus der Rückkehr dieser Staaten nach Europa zu ziehen.“

Diese Rückkehr wurde in Jugoslawien mit Gewalt forciert, dem ungebrochenen Anspruch auf den Balkan als großdeutschem Hinterland folgend: durch die rücksichtslose aktive Unterstützung der dortigen Sezessionsbestrebungen. Diese gipfelte in der hastigen folgenreichen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens, obwohl selbst enge NATO-Verbündeten vor dem dadurch provozieren Bürgerkrieg gewarnt hatten. Das gerade vereinte Deutschland wurde so maßgeblich mitverantwortlich für das folgende Gemetzel.

Schließlich feierte der damalige Bundeskanzler Schröder die Beteiligung am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO 1999 gegen Restjugoslawien, mit dem der Kosovo von Serbien abgetrennt wurde, als unsere „Enttabuisierung des Militärischen“.

Zur gleichen Zeit nahm die NATO die ersten drei osteuropäischen Länder auf und machte militärische Interventionen ohne UN-Mandat zum festen Bestandteil ihres strategischen Konzepts. Damit vollzog der Westen eine tatsächliche Zeitenwende, von hier führen direkte Wege zum heutigen Krieg in der Ukraine.

Damals wurde die Absage von der Entspannungspolitik, die Anfang der 1990er Jahr eingeleitet worden war, endgültig vollzogen ‒ entgegen den Versprechungen, die der sowjetischen Führung gegeben wurden, die NATO würde sich „keinen Zoll nach Osten“ ausdehnen, wie auch entgegen den vertraglichen Verpflichtungen aus dem Zwei-plus-vier-Vertrag.

In diesem wurde als fundamentales Grundprinzip festgehhalten, dass bei der zukünftigen Außen- und Bündnispolitik der beteiligten Staaten stets auch die Sicherheitsinteressen aller anderen Staates berücksichtigt werden müssen. Dieses Prinzip der „kollektiven Sicherheit“ wurde auch zentraler Bestandteil der Charta von Paris.

Ohne das Vertrauen darauf, dass der Westen sich an die eingegangene Verpflichtung zur Entspannung, Abrüstung und zu einem System kollektiver Sicherheit, einem „gemeinsamen Haus Europa“ halten würde, hätte Moskau mit Sicherheit dem Anschluss der DDR niemals zugestimmt, einem Anschluss, bei dem die vergrößerte BRD nicht ‒ wie ursprünglich angestrebt ‒ neutral, sondern in der NATO bleiben würde.

Natürlich war dies äußerst naiv von der sowjetischen Führung um Gorbatschow, eine völlige Verkennung dessen, mit wem sie es in den USA und der NATO zu tun haben. Aber sie baute wohl darauf, dass diese Bestrebungen ja auch im ureigensten Interesse der überwiegenden Mehrheit in Westeuropa gewesen waren.

Sie hatten jedoch keine Chancen sich im Westen unter den herrschenden politischen Verhältnissen durchzusetzen. Angetrieben von den USA, die sich um ihre Vormachtstellung sorgten, wurden die konstruktiven Entspannungsansätzen der 1990 Jahre zu Grabe getragen und durch eine konfrontative Eindämmungspolitik gegen Russland ersetzt, die alle Warnungen vor möglichen russischen Reaktionen auf die zunehmende Bedrohung, die Moskau darin sehen muss, ignorierte.

Dies gipfelte 2008 im Beitrittsversprechen an Georgien und die Ukraine, obwohl es allgemein bekannt war, dass mit deren NATO-Mitgliedschaft Moskaus rote Linie überschritten würde.

Auch wenn es den völkerrechtswidrigen Einmarsch Russland in die Ukraine nicht rechtfertigt, liegen im kompromisslosen Konfrontationskurs der NATO die Ursachen dafür und dafür, dass er schnell zum Stellvertreterkrieg zwischen der NATO und Russland wurde ‒ einem Stellvertreterkrieg, der auf dem Rücken der Ukraine ausgetragen wird: mit Geld, Waffen, Ausbildern, Aufklärung von der NATO jedoch mit ukrainischen Soldaten auf ukrainischem Boden.

Wir verlangen von der Bundesregierung aus diesem Konfrontationskurs auszusteigen, den Verpflichtungen Deutschlands aus seiner Geschichte wie dem Zwei-plus-vier-Vertrag nachzukommen und sich entschieden für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen einzusetzen, statt durch Lieferung von immer schwereren und gefährlicheren Waffen die Eskalationsgefahr zu steigern.

Eine Friedenslösung in der Ukraine wird es jedoch nicht geben, ohne konstruktive Ansätze für eine Friedensordnung und Abrüstung in Europa und darüber hinaus.

Daher wenden wir uns entschieden gegen die vorherrschende Politik der Konfrontation und der Wirtschaftskriege, wie sie auch gegen China betrieben wird, und setzen uns ein, für eine Politik der Entspannung, der gemeinsamen Sicherheit in Europa und der internationalen Zusammenarbeit zur Bewältigung der großen globalen Herausforderungen Frieden, Hunger, Klima- und Umweltschutz und gerechte Entwicklung.

Und natürlich protestieren wir auch gegen das Großmachtstreben der Herrschenden im Land, das sie durch Verdoppelung des deutschen Militärhaushalts unterfüttern wollen.

One thought on “Höchste Zeit für Friedenspolitik ‒ „Deutsche Einheit“ verpflichtet zur Entspannung und „kollektiven Sicherheit“”

  1. danke für den Artikel.
    zu der Aussage:

    „Auch wenn es den völkerrechtswidrigen Einmarsch Russland in die Ukraine nicht rechtfertigt“ gibt es sehr unterschiedliche Meinungen. In den deutschen Medien, allerdings nur diese eine. Aber dennoch, die Ausführungen von Joachim finde ich sehr hilfreich.
    Gruß von monika

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