„Eine Analyse zeigt: Der Teil-Lockdown Anfang November hatte keinerlei Effekt in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Die Verschärfung des Teil-Lockdowns Anfang Dezember hatte kaum positiven Effekt.“
Die Corona Data Analysis Group (CoDAG) an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) hat die Wirkung der Lockdown-Maßnahmen ab November in Deutschland anhand zweier Fragen untersucht (CODAG Bericht Nr. 7, 21.1.2021):
Wie weit konnte das exponentielle Wachstum anhand des am 2.11.2020 in Kraft getretenen Teil-Lockdown gestoppt werden?
Und wie wirkten sich die verschärften Maßnahmen Anfang Dezember aus?
Die Forscher analysierten dazu die Anzahl der gemeldeten COVID-19 Fälle pro Tag, jeweils drei Wochen vor und drei Wochen nach den Stichtagen der Maßnahmen. Die Fälle wurden dabei nicht pro Meldedatum summiert, sondern pro Datum der Infektion. Dieses wurde per „Backprojection“ aus den Daten der Registrierung, dem Krankheitsbeginn und der Inkubationszeit berechnet.
In ihrem Modell gingen sie von einem exponentiellen Wachstum aus und schätzten aus den Verläufen der gemeldeten Neuinfektionen zunächst pro Bundesland die Exponenten vor und nach dem Beginn des Teil-Lockdowns am 2. November. Blieb der Exponent eines Bundeslandes auch in den 3 Wochen danach positiv, waren die Zahlen weiter gestiegen.
Die Wissenschaftler kamen zu folgendem Ergebnis:
Das exponentielle Wachstum konnte in den meisten Bundesländern gebrochen werden, allerdings nicht in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Bei den Über-80-Jährigen sieht es anders aus. Hier steigen auch nach dem 2.11. die Infektionszahlen weiterhin exponentiell an, nur Hamburg und Saarland konnten für die hochbetagte Bevölkerung den Anstieg der Infektionszahlen stoppen.
Sie wiederholten die Analyse für die Lockdown-Verschärfung ab 1. Dezember. Hier zeigte sich, dass diese
„generell nur eine geringe Wirkung hatte und in den meisten Fällen ein Absenken der Infektionszahlen nicht erreicht werden konnte.
Die Infektionen nahmen zum Teil sogar zu, vor allem bei den Älteren.
In der Gruppe der 60 bis 79-Jährigen beobachten wir in den meisten Bundesländern auch im Dezember einen Anstieg, gleiches gilt für die Über-80-Jährigen.
Nur eine grobe Annäherung
Der Ansatz, die Fallzahlen nach dem geschätzten Infektionsdatum zu summieren, kommt dem tatsächlichen Infektionsgeschehen wesentlich näher, als die nach Meldedatum summierten, die üblicher Weise von den Medien als „tägliche Neuinfektionen veröffentlicht werden und auch in die sogenannten „7-Tage-Inzidenz“ einfließen, mit denen schließlich Maßnahmen gerechtfertigt werden. Allerdings ist die tägliche Zahl gemeldeter Fälle stark von der wechselnden Teststrategie und -häufigkeit abhängig. Da die Getesteten nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sind, kann der Verlauf der gemeldeten Fälle nur eine grobe Annäherung an den der tatsächlichen Infektionszahlen sein.
Auch das Modell eines exponentiellen Wachstums ist nur eine Annäherung. Ein solches kann in der Natur höchstens ganz am Anfang einer Entwicklung beobachtet werden.(Die exponentielle Drohkulisse, Welt, 02.12.2020) Schaut man sich den Verlauf der Neuinfektionen in Deutschland im Herbst nach dem Datum des Erkrankungsbeginns an, so sieht man, dass ihr Anstieg schon ab dem 20.10.2020 deutlich unter einem exponentiellen Wachstum blieb (s. Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019, RKI, 2.12.2020). Doch auch wenn die berechneten Koeffizienten kein genaues Maß für das Wachstum sind, reichen sie für eine Prüfung, ob ein Anstieg endete oder nicht, sicherlich aus.
Andere Einflussgrößen nicht berücksichtigt
Problematischer ist, dass alle anderen Einflussgrößen auf das Infektionsgeschehen außer den Lockdowns außer Acht gelassen wurden. Epidemien haben aber auch ihre eigene Dynamik. Ihre Ausbreitung verlangsamt sich meist auch ohne strenge staatliche Interventionen nach einer gewissen Zeit, wie auch hier Ende Oktober zu sehen ist. Das kann unter anderem daran liegen, dass angesichts zunehmender Infektionen die Bevölkerung von sich aus stärkere Vorsichtsmaßnahmen ergreift. Auch der steigende Anteil derer, die nach einer Infektion immun sind, kann einen Beitrag leisten, besonders in den Gebieten mit hohen Infektionsraten.[1] Der näher rückende Winter wiederum dürfte die Infektionsraten nach oben getrieben haben.
Länderunterschiede, starkes Indiz gegen Einfluss des Lockdowns
Ein belastbareres Indiz für die geringe Wirksamkeit der Lockdown-Restriktionen sind die großen Unterschiede zwischen den Bundesländer trotz weitgehend identischer Maßnahmen und Witterungsverhältnisse. Mit den Modellrechnungen der Wissenschaftler, die die Bundesregierung beraten, sind sie jedenfalls nicht vereinbar. Diese gehen ja davon aus, dass man mit einer Reduktion der Kontakte zwischen den Menschen um einen bestimmten Prozentsatz die Wachstumsrate um soundso viel Prozent drücken kann.
So hatte die Physikerin Viola Priesemann und ihr Team ausgerechnet, dass mit einer weiteren Reduktion von Kontakten von 40 Prozent auf 60 Prozent vom 1. Dezember bis Weihnachten durch einen harten Lockdown, die Zahl der täglichen Neuinfektionen auf 2.500 pro Tag gedrückt werden könne. Ihre Modellrechnungen flossen auch in die Ad-hoc-Stellungnahme der „Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina“ ein, die Anfang Dezember zur Rechtfertigung des strengen Lockdowns ab 16. Dezember diente. Durch diesen würden, so die Prognose, die täglichen Fallzahlen bis Januar auf unter 50 pro 1.000.000 Einwohner sinken, als auf eine „7-Tage-Inzidenz“ unter 35 pro 100.000.
Sie haben sich nicht nur gründlich verrechnet, sondern sind offensichtlich auch von falschen Modellannahmen ausgegangen. Wenn trotz gleicher Restriktionen sich die Fallzahlen in den Länder völlig unterschiedlich entwickeln, so sind für die Ausbreitung des Erregers allem Anschein nach andere Faktoren (evtl. auch zufällige) ausschlaggebender, als der Prozentsatz, um den die Bevölkerung ihrer Kontakte reduzierte.
Übereinstimmung mit anderen Studien
Dieses Ergebnis stimmt mit anderen Studien über die Effektivität von Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus, den sogenannten „nicht-pharmakologischen Maßnahmen“ überein. So kam eine im November veröffentlichte Studie von Quentin De Larochelambert und Kollegen zum Schluss, dass die Sterblichkeit sehr stark von länderspezifische Faktoren, wie geographische Lage, Umwelt, Lebenserwartung, Altersstruktur und Qualität des Gesundheitssystem abhängt, während kein Zusammenhang mit den Regierungsmaßnahmen erkennbar ist. Ein vom renommierten Epidemiologen John Ioannidis und Kollegen durchgeführter Ländervergleich fand kein Hinweis auf eine Wirkung harter Lockdowns, die über weniger restriktive Maßnahmen hinausgehen.
[1] Am 1.12. waren 1,1 Millionen Coronafälle registriert. Geht man, wie der Virologe Christian Drosten und der regierungskritische Infektiologe Matthias Schrappe, von einer Dunkelziffer zwischen sechs und acht aus, so waren bereits 6,6 bis 8,8 Millionen Deutsche infiziert. Drei Wochen später, bei 1,5 Millionen gemeldeten Fällen, schon 9 bis 12 Millionen, d.h. 10 bis 15% der Bevölkerung. In Hotspots kann der Anteil, wie die Beispiele Madrid und London zeigen, leicht doppelt so hoch sein. Dies bremst die Ausbreitung schon beträchtlich, verstärkt dadurch, dass genau die Menschen häufiger bereits immun sind, die aufgrund vieler täglicher Kontakte stärker zur Ausbreitung beitragen ‒ gerade weil sie sich häufiger anstecken.
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