Abdruck meines Beitrags in dem von Matin Baraki und Fritz Edlinger herausgegebenen Sammelband „Krise am Golf“
Das neue Jahrzehnt 2020 begann im Nahen Osten mit einem Paukenschlag. Nachdem sich zum Jahreswechsel der Konflikt zwischen den USA, dem Iran und pro-iranischen Milizen im Irak zugespitzt hatte, griff in der Nacht zum 3. Januar 2020 die US-amerikanische Luftwaffe einen Fahrzeugkonvoi auf dem Flughafen von Bagdad an, und tötete dadurch gezielt den einflussreichen iranischen General Kassem Soleimani, einen hochrangigen irakischen Militär und weitere Begleiter. Bei einem ähnlich tödlichen Vergeltungsschlag des Iran drohte der Irak zum ersten Schlachtfeld eines neuen Krieg zu werden.
USA ‒ Iran: im Irak gemeinsame Interessen
Die Beziehungen zwischen den USA und Iran sind seit vier Jahrzehnten angespannt. Doch der Rückzug der US-Regierung unter Präsident Donald Trump aus dem Wiener Atomabkommen (Joint Comprehensive Plan of Action, JPCOA) im Mai 2018 und die Wiedereinführung von Wirtschaftssanktionen gegen den Iran im November 2018 haben eines der bisher gefährlichsten Kapitel eröffnet. Aus geografischen und historischen Gründen rückte durch Trumps Kampagne des „maximalen Drucks“ gegen den Iran, der Irak ins Zentrum der Konfrontation.
Beide Kontrahenten haben großen Einfluss auf das Land, das durch Kriege, Sanktionen, ausländische Besatzung und interne Konflikte verwüstet wurde und seine staatliche Unabhängigkeit verlor. Der Iran, der auf vielfältige Weise seine Fäden im Nachbarland zieht, ist bemüht, mit seiner Hilfe den gegen sich gerichteten US-Maßnahmen, insbesondere der Wirtschaftsblockade, entgegenzuwirken. Die einstige Besatzungsmacht will über die noch bestehenden wirtschaftlichen und militärischen Abhängigkeiten des Iraks, genau das verhindern und stattdessen den Einfluss auf das ölreiche Land wieder ausweiten. Sie drängt Bagdad den Import von Erdgas und Elektrizität aus dem Iran herunterzufahren und sich enger an die arabischen Verbündeten der USA anzuschließen.
Das Verhältnis der beiden Rivalen hatte in Bezug auf den Irak lange Zeit einen zwiespältigen Charakter. Einerseits konkurrieren beiden Länder scharf um ihren Einfluss im Irak und der Region und wird der Iran in den USA als größter Widersacher im Nahen und Mittleren Osten gesehen. Andererseits teilen sie das Interesse, den Irak nicht wieder zu einem, starken, souveränen Staat auferstehen zu lassen
Daher arbeiteten sie nach der US-Invasion im Jahr 2003 im Irak zusammen, um den arabisch-nationalistischen Widerstand gegen die Besatzung niederzuschlagen und ein auf ethnisch-konfessionellem Proporz beruhendes, dadurch schiitisch dominiertes Regime zu installieren. Alle seitherigen Regierungen basierten auf einem Kompromiss zwischen Washington und Teheran. Der Iran konnte dabei, das Vakuum nach 2003 nutzend, die neue Ordnung im Nachbarland stark nach seinen Interessen formen ‒ eine Ordnung, die zum einen sicherstellen soll, dass es nie wieder zur Bedrohung werden kann, zum anderen aber auch verhindert, dass es zum Aufmarschgebiet eines US-geführten Feldzuges gegen die Islamische Republik wird.
Die US-amerikanischen Besatzungstruppen wiederum sahen sich angesichts eines immer stärkeren Widerstands genötigt, mit den vom Iran aufgebauten und ausgerüsteten schiitischen Milizen, insbesondere den berüchtigten Badr-Brigaden, zusammen zu arbeiten. Gemeinsam führten sie einen schmutzigen Krieg gegen die Gegner der Besatzung. Kämpfer dieser Verbände wurden in die, von den Besatzern geschaffene, brutale und sektiererische Nationalpolizei integriert. Führer der Badr-Brigaden, die sich heute Badr-Organisation nennt, sind seit 2005 als Minister und Staatsekretäre Teil jeder Regierung und leiteten bis vor kurzem auch das Innenministerium. Gleichzeitig griffen ab 2007 radikalere, gleichfalls vom Iran ausgerüstete Abspaltungen dieser Miliz, wie die irakischen Hisbollah-Brigaden, die Besatzungstruppen an.
Dies war Teil einer Doppelstrategie, die Teheran bis heute im Irak verfolgt. Zum einen unterstützte die iranische Führung irakische Verbündete, wie die Badr, politisch und half ihnen, dauerhafte Machtpositionen zu erlangen ‒ auch in Zusammenarbeit mit den USA. Anderseits förderte sie die Gründung neuer Milizen, die gegen die US-Truppen kämpften, um sie zum Abzug zu zwingen. Im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (arab. Daesch) fochten die US-Streitkräfte aber von 2014 bis 2017 wieder mit den pro-iranischen Verbänden Seite an Seite.
Aufziehender Sturm
Die Wahl Trumps und der Sieg über die Dschihadisten setzte jeglicher Zusammenarbeit ein Ende. Die Wiedereinführung der US-Wirtschaftsblockaden gegen den Iran im November 2018 und die massiven Drohungen gegen das Land und seine Verbündeten, schufen bald eine explosive Situation.
Die mit dem Iran verbündeten Milizen waren im Zuge des Kampfes gegen den Daesch massiv aufgerüstet worden. Sie bilden nun den Kern „der Volksmobilisierungseinheiten“ (arabisch „Haschd al-Schaabi“, englisch PMU abgekürzt), dem Dach der paramilitärischen Kräfte, die dem Aufruf von Großayatollah Ali al-Sistani zum Kampf gegen den ISIS nachgekommen waren. Nicht alle dieser Milizen sind schiitisch und nicht alle schiitischen haben enge Verbindungen zum Iran. Die pro-iranischen Verbände sind jedoch die größten und haben sich zu einem dominanten politischen Machtfaktor im Land entwickelt, an dem auch die Regierung nicht mehr vorbeikommt. Allein die Badr-Brigaden haben rund 50.000 Mann unter Waffen, die Hisbollah-Brigaden (arabisch Katai‘b Hisbollah), die als engste Verbündete des Iran gelten, werden auf 30.000 Mann geschätzt und die drittgrößte pro-iranische Miliz, die „Liga der Rechtschaffenen“ (Asaib Ahl al-Haq), soll über 7.000 bis 10.000 Tausend Kämpfer verfügen. Sie nutzen ihre Macht auch für lukrative wirtschaftliche Unternehmungen und errangen bei den letzten Wahlen mit einer eigenen Liste die zweitmeisten Sitze.
Für Washington wurden diese schlagkräftigen Verbündeten des Irans, mit Blick auf ein schärferes Vorgehen gegen den Iran, zu einem massiven Problem, stellten sie doch eine ernste Bedrohung für die US-Streitkräfte im Irak, die mindestens 5.200 reguläre Soldaten und eine unbekannte Zahl von Söldnern und Spezialeinheiten umfassen, wie auch für das Personal von im Land tätiger US-amerikanischer Unternehmen dar. Die Trump-Administration hatte daher von Anfang an Bagdad stark unter Druck gesetzt, sie endlich unter Kontrolle zu bringen, d.h. teils zu entwaffnen, teils vollständig in die Armee zu integrieren. Andernfalls würden die USA, so drohte Pompeo im Mai 2019, selbst mit Waffengewalt gegen sie vorgehen.[1]
Diese drängten umgekehrt auf den Abzug der US-Truppen. Mit dieser Forderung waren sie nicht allein. Auch viele andere Kräfte sahen nach der weitgehenden Zerschlagung des Daesch jeglichen Grund für einen Verbleib ausländischer Truppen entfallen. Das vorige Parlament hatte bereits im März 2018 eine Resolution verabschiedet, die von der Regierung einen Zeitplan für ihren Abzug verlangte.
Im neuen Parlament begann eine breite Koalition eine Gesetzesinitiative gegen die weitere Präsenz auf den Weg zu bringen, verbunden mit der Drohung, falls nötig auch mit Gewalt gegen ausländische Truppen vorzugehen.[2] Darüber hinaus drohten die pro-iranischen Milizen mit einer „harten Reaktion“, sollten US-Truppen vom irakischen Boden aus gegen sie oder gegen den Iran vorgehen. Um ihren Drohungen Nachdruck zu verleihen, betonten sie, dass sie über genaue Informationen bezüglich Standorte, Verteilung und Aktivitäten der US-Truppen verfügen. „Die amerikanischen Streitkräfte liegen in Reichweite des Feuers der islamischen Widerstandsfraktionen“, so Jawad Al-Talibawy, ein Führungsmitglied der Asaib Ahl al-Haq, „und wenn die PMU oder die Widerstandsfraktionen von Israel oder Amerika angegriffen werden, wird die Antwort schmerzhaft sein“.[3] Sie würden allerdings nicht diejenigen sein, die eine Konfrontation einleiten werden.
Zu solchen kam es jedoch im Laufe des letzten Jahres zunehmend. Nachdem Washington sie verdächtigte hatte, hinter den Anschlägen auf saudische Tanker und Infrastruktur zu stecken, wurden ab Juli 2019 immer wieder Stützpunkte pro-iranischer Milizen von Luftangriffen heimgesucht, die zwar allem Anschein nach von der israelischen Luftwaffe ausgeführt wurden, für die diese jedoch Washington mitverantwortlich machten.
In der Folge mehrten sich dann auch Raketenangriffe auf US-Stellungen. So schlug am 24. September eine Salve von Raketen direkt neben der US-Botschaft ein. Von Oktober bis Ende Dezember folgten mindestens weitere elf größere Attacken. Obwohl sich niemand zu ihnen bekannte, beschuldigte Washington Katai‘b Hisbollah und ‒ wie mittlerweile bei allen gegen US-Interessen gerichteten Vorfällen ‒ auch den Iran.[4]
Am 27. Dezember schließlich wurde bei einem massiven Angriff mit 30 Raketen auf einen US-Stützpunkt nahe Kirkuk ein US-Söldner getötet und vier Militärangehörige verletzt. Die USA beschuldigten erneut die irakische Hisbollah, die eine Urheberschaft jedoch abstritt. Die US-Luftwaffe flog dennoch Vergeltungsangriffe gegen mehrere ihrer Stützpunkte und tötete dabei mindestens 25 Kämpfer und Zivilisten. Über 50 wurden verwundetet.
Der offene Angriff von irakischem Boden auf eine Miliz, die von vielen für ihre Verdienste gegen den Daesch geachtet wird, löste eine breite Welle der Empörung aus. Diese gipfelte am 31. Dezember im Sturm von Tausenden wütenden Demonstranten auf die US Botschaft. Diesen gelang es in den riesigen Komplex einzudringen und den Eingangsbereich zu besetzen.
Der Mord an Soleimani
Die Trump-Regierung machte aus dieser Protestaktion erneut einen von Iran angeordneten Angriff. Als sie in der Nacht zum 3. Januar 2020, als Reaktion auf die schon am nächsten Tag wieder beendete Besetzung, den im Iran sehr populären General Ghassem Soleimani mit einem Drohnenangriff auf seinen Konvoi im Flughafen von Bagdad töten ließ, löste sie Schockwellen in der Region aus. Soleimani war nicht nur als Kommandeur der iranischen Al-Quds-Brigaden einer der hochrangigsten Militärs des Irans, sondern auch ein bedeutender politischer Repräsentant. Er war nach Aussagen des noch interimsmäßig amtierenden irakischen Regierungschef Adil Abdul-Mahdi nach Bagdad gereist, um Teherans Antwort auf eine Initiative der saudischen Führung zu übermitteln, die darauf abziele, Spannungen in der Region abzubauen, und bei der Bagdad eine Vermittlerrolle übernommen habe. Mit Soleimani wurde auch Abu Mahdi al-Mohandis, Chef der Kataib-Hisbollah und stellvertretender Befehlshaber der PMU getötet, der mit ihm zusammen eine führende Rolle im Kampf gegen den Daesch spielte. Unter den Opfern fanden sich zudem auch eine Reihe führender Mitglieder weiterer irakischer, iranischer und libanesischer Gruppen.
Die Behauptung Trumps, man habe den iranischen General getötet, weil dieser unmittelbar Anschläge auf US-Einrichtungen vorbereitet habe, somit eine unmittelbare Bedrohung von ihm ausgegangen sei, konnte kaum jemand überzeugen. Verteidigungsminister Mark Esper räumte im US-Sender CBS News bald darauf auch ein, keine konkreten Hinweise dafür gesehen zu haben, dass der Iran überhaupt irgendwelche Angriffe plane.[5]
Da offensichtlich ein bewaffneter Angriff von Seiten des Irans weder im Gang war noch unmittelbar bevorstand, konnte, wie auch der Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags feststellte, von „Selbstverteidigung“ keine Rede sein. Auch für Volker Perthes, Direktor der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) handelte es sich eindeutig um einen gezielten Mord und somit um einen Akt von Staatsterrorismus. Mit seiner Begründung möchte Trump offenbar an die, auch von US-Präsident Barack Obama häufig im Rahmen des „Anti-Terror-Krieges“, autorisierte Praxis anknüpfen, Personen, die zur Bedrohung erklärt wurden, durch Drohnenangriffe zu liquidieren. Auch diese verstößt gegen internationales Recht. Ein Mord an einem führenden Repräsentanten eines Staates hat jedoch noch eine weit darüberhinausgehende Qualität. Es ist eine völkerrechtswidrige Aggression, die als Kriegserklärung aufgefasst werden kann.[6]
Die SWP warnte in einer scharfen Kritik am Anschlag davor, dass wenn nun „Staatsvertreter außerhalb ihres Landes um ihr Leben fürchten“ müssten, „die Folgen für die internationale Diplomatie kaum abzusehen“ seien. Teheran könne nun im Gegenzug, „auch Angehörige des US-Militärs einschließlich hochrangiger Befehlshaber“ zu „legitimen Zielen militärischer Angriffe“ erklären. „Verhandlungen zwischen verfeindeten Parteien wären unter solchen Bedingungen kaum noch möglich.“[7]
Iranische Vergeltung ‒ eine unbequeme Lektion
Zum Glück vermied die iranische Führung eine weitere Zuspitzung. Sie ließ zwar in der Nacht vom 7. zum 8. Januar massive Angriffe auf zwei US-Militärbasen durchführen, warnte jedoch Bagdad ‒ und damit indirekt auch die US- und NATO-Streitkräfte im Irak ‒ rechtzeitig vor. Die 22 abgefeuerten ballistischen Raketen trafen Berichten zufolge zudem sehr präzise ausschließlich Gebäude mit technischer Ausrüstung, sodass zwar mindestens 64 Soldaten verwundet wurden, aber keiner tödlich.[8] Trump, offenbar erleichtert darüber, dass keine US-Amerikaner ums Leben kamen, gab schon kurz nach den Angriffen via Twitter mit „Es ist alles gut“, es habe keine größere Schäden gegeben, eine erste Entwarnung und erklärte bald darauf seinen Verzicht auf eine weitere militärische Eskalation. [9]
Tatsächlich hatte es das vorrangige Ziel der iranischen Angriffe, den Luftwaffenstützpunkt Ain Al-Asad, auf dem etwa 1.500 US-Soldaten stationiert sind, wesentlich stärker getroffen als offiziell eingeräumt wurde, und dem Pentagon, so der Washingtoner Think Tank, Center for Strategic and International Studies CSIS, eine „unkomfortable Lektion“ erteilt. Mit der Präzision, mit der die iranischen Raketen einschlugen, hätten sie auch die Schutzbunker durchschlagen, mit fünfzig möglicherweise den Flughafen eine Woche lang außer Gefecht setzen können. [[Das Pentagon bat mittlerweile um Erlaubnis Patriot-Luftabwehr-Raketensyteme zum Schutz ihrer Basen aufstellen zu dürfen.[10]]]
„Fast niemand in den Vereinigten Staaten, einschließlich Präsident Trump, will einen Krieg mit dem Iran,“ so CSIS. Wären jedoch Soldaten getötet worden, „wäre der Druck auf den Präsidenten, weiter zu eskalieren, beträchtlich gewesen“. [11] Da die Wahrscheinlichkeit dafür groß war, ging die iranische Führung ein erhebliches Risiko ein. Der verschärfte Alarmzustand der iranischen Luftabwehr, der zum tragischen Abschuss eines ukrainischen Verkehrsflugzeuges und dem Tod aller 176 Personen an Bord führte, zeigt, dass der Iran massive Luftangriffe der USA auf Ziele im Iran für möglich hielt.
Mordmotiv ‒ Staatsterrorismus als Abschreckung
Da er bisher den Anschein erweckt hatte, eine militärische Eskalation vermeiden zu wollen, kam die schwerwiegende Entscheidung Trumps, Soleimani auf irakischem Boden ermorden zu lassen, für die meisten Beobachter überraschend. Selbst das Pentagon sei „perplex“ gewesen, berichtete die New York Times.[12] Einige US-Medien weisen auf eine Ablenkung vom Amtsenthebungsverfahren, das gerade gegen ihn eingeleitet worden war, als mögliches Motiv hin. [13] Andere gehen von massivem Druck durch den Außenminister Mike Pompeo und andere Scharfmacher in der Regierung aus. Angesichts der Demütigung, die das Eindringen von Demonstranten in das Botschaftsareal in Bagdad wohl auch für den Nationalstolz von Trump und seine Anhänger bedeutete, dürfte dieser in der Tat beträchtlich gewesen sein.
[[Zwar waren die Demonstranten nicht zu den Hauptgebäuden des Komplexes vorgedrungen, dennoch hätten die Bilder brennender Mauern, eingebrochener Türen und Hunderte Besetzern, Erinnerungen an den Angriff auf das US-Konsulat 2012 im libyschen Bengasi geweckt, bei dem der US-Botschafter getötet worden war, und vor allem an die Botschaftsbesetzung in Teheran ab November 1979. Dabei waren 52 US-Amerikaner 444 Tage lang als Geiseln festgehalten worden. Darauf berief sich auch Trump, als er dem Iran mit der Zerstörung von 52 Kulturstätten drohte.]]
Letztlich ließ sich der Präsident vermutlich überzeugen, mit der, von den Falken schon lange geplanten Liquidierung Soleimanis mehrere Fliegen mit einer Klappe erschlagen zu können. So bot die allgemein erwartete geharnischte Reaktion auf die Besetzung einen guten Vorwand, den gefürchteten Widersacher endlich auszuschalten. Gleichzeitig konnte man durch den Anschlag eine massive Drohkulisse aufbauen, indem man demonstrierte, sich beim Vorgehen gegen Gegner von keinerlei völkerrechtlichen Skrupeln und keinerlei Rücksicht auf allgemein anerkannte Umgangsformen zwischen Nationen behindern zu lassen. Der Mord sei, wie Außenminister Mike Pompeo, einer der maßgeblichen Betreiber der Eskalationspolitik, freimütig erläuterte, Teil einer breiteren Strategie, um „wahre Abschreckung wiederherzustellen“ ‒ nicht nur gegenüber dem Iran. „Dein Gegner muss nicht nur wissen, dass du die Fähigkeit besitzt, ihm Kosten aufzuerlegen, sondern auch, dass du wirklich bereit bist, es zu tun“, fügte er hinzu.“
[[Die Trump-Administration will dabei weiterhin knapp unterhalb der Schwelle zu einem umfassenden Krieg bleiben. Mit „wir wollen keinen Krieg“, bekräftigte dies nach Trump auch Pompeo. Stattdessen setzen sie darauf, den Iran durch Strangulation durch eine, nochmals verschärfte Wirtschaftsblockade zur Kapitulation zwingen zu können.]]
Forderung nach Ende der US-Präsenz
Dass sich Teheran dadurch von Gegenwehr abschrecken lässt, wird allgemein bezweifelt. Viele Experten gehen zudem davon aus, dass der Mordanschlag die Position der USA in der Region eher schwächen wird. So hat die Trump-Administration damit selbst enge Verbündete, wie Saudi Arabien, vor den Kopf gestoßen, die im Moment keine militärische Eskalation wollen. Die Drohnenangriffe der jemenitischen Ansarollah auf ihre größte Ölraffinerie am 14. September 2019 hatten den saudischen Monarchen drastisch ihre Verwundbarkeit demonstriert. Da ein Krieg für die ganze Region zerstörerisch sei und sie zu den ersten zählen würden, die den „Preis dafür zahlen müssten“, bemühten sich die arabischen Golfstaaten gemeinsam auf verschiedenen Wegen einer weiteren Eskalation zwischen dem Iran und USA entgegenzuwirken. [14]
Auch die Lage der US-Truppen im Irak wurde nach dem Drohnenangriff auf Soleimani und Muhandis natürlich noch prekärer. Das irakische Parlament beschloss nun wenige Tage danach mit großer Mehrheit ‒ wenn auch in Abwesenheit sunnitischer und kurdischer Abgeordneten ‒ den umgehendem Abzug aller ausländischen Truppen. Abdul-Mahdi leitete die Forderung umgehend nach Washington weiter und forderte Verhandlungen über die Abzugsmodalitäten. Die Trump-Administration lehnt das Ansinnen jedoch brüsk ab und droht ihrerseits mit harten Wirtschaftssanktionen gegen den Irak, sollte Bagdad auf seinen Abzugsforderungen beharren. Sie kann sich dabei durchaus auch weiterhin auf starke irakische Kräfte stützen, die dem Iran feindlich gegenüberstehen, ihn als größeres Übel sehen oder ‒ das ist die Mehrheit ‒ die US-Präsenz als Gegengewicht behalten wollen. Diese wurden durch den Drohnenanschlag jedoch stark in die Defensive gedrängt. Richteten sich die Proteste der beeindruckenden neuen Bewegung in Bagdad und im Süden des Landes im Oktober und November auch vehement gegen den großen iranischen Einfluss und die pro-iranischen Milizen, so stand auf der Großdemonstration am 24. Januar des Jahres, mit bis zu einer Million Teilnehmern, die Forderung nach einem raschen Ende der US-Präsenz an erster Stelle.
[[Washington hat daraufhin seinen Druck auf Bagdad erhöht und die Lieferung von Waffen und Munition eingestellt. Betroffen sind insbesondere auch Ersatzteile und Raketen für die F-16 Kampfbomber der irakischen Luftwaffe.[15]]]
„Jahrelang konnten die USA ruhig, wenn auch manchmal unbequem, an der Seite des Iran im Irak leben“, so die transatlantische Denkfabrik International Crisis Group, in einem noch kurz vor dem Anschlag auf Soleimani veröffentlichten Statement. „Die direkte Infragestellung der Position des Iran in einem Umfeld, in dem Teheran einen weitaus größeren Einfluss hat, wird mit ziemlicher Sicherheit ein schlechtes Ende für Washington nehmen.“ Mittelfristig seien „eine Kampagne des ‚maximalen Drucks‘ gegen den Iran und eine fortgesetzte US-Präsenz im Irak möglicherweise nicht vereinbar“.[16]
„Besatzung light“ gegen regionale Integration
Obwohl Trump mit dem Versprechen angetreten war, mit den teuren und verlustreichen Kriegen im Nahen und Mittleren Osten Schluss zu machen und die Truppen nach Hause zu holen, kam ein Abzug der US-Truppen aus dem Irak auch für ihn nie in Frage. Dadurch würden die USA, so die einmütige Meinung in Washington, dem Iran endgültig das Feld in einem Land überlassen, das aufgrund seiner großen Ölreserven und seiner Lage von großer wirtschaftlicher wie geostrategischer Bedeutung ist. Man will keinesfalls zulassen, dass der Iran über den Irak die Möglichkeit erhält, den Würgegriff der Wirtschaftsblockaden zu lockern und auch nicht Russland und China ungehinderten Zugang gewähren. Vor allem China baut seine wirtschaftlichen Beziehungen zum Irak rasant auf Kosten US-Unternehmen aus und ist bereits dessen wichtigster Handelspartner.[17] [[Die chinesischen Investitionen im Irak belaufen sich auf insgesamt 20 Milliarden Dollar, hauptsächlich im Energiesektor. Darüber hinaus stieg der jährliche Handel zwischen den beiden Ländern auf 30 Milliarden Dollar, wobei insgesamt 15 Milliarden Dollar auf irakische Ölexporte entfallen. China nimmt rund 20 Prozent der gesamten Ölproduktion des Landes ab. Elektrizitätsminister Louay al-Khatib bezeichnete China auch als ihre „vorrangige Option für eine langfristige strategische Partnerschaft“, nachdem die Regierungen der beiden Länder im September letzten Jahres ein „Öl für Wiederaufbau“-Programm in Gang gesetzt hatten, in dessen Rahmen chinesische Firmen im Austausch für ihre Tätigkeiten im Irak 100.000 Barrel pro Tag erhalten.[18]]]
Parteiübergreifender Konsens in den USA ist auch, mit allen Mitteln den Bau von Transportkorridoren vom Iran über Syrien zum Mittelmeer zu verhindern. Aus diesem Grund hat man auch die US-Truppen in Nordosten-Syrien noch nicht abgezogen und besetzt mit ihnen neben den syrischen Ölquellen auch die wichtigsten syrisch-irakischen Grenzübergänge.
Neben der Verhinderung direkter Verkehrsverbindungen zwischen Syrien und Iran richtet sich dies auch gegen die überregionale wirtschaftliche Integration dieser Länder in Rahmen von Chinas „Belt and Road Initiative“. Insbesondere der Iran spielt hier eine ganz zentrale Rolle. . Gemeinsam mit Syrien und dem Irak arbeitet Teheran an umfassenden Plänen zum Ausbau von Fracht- und Transportkorridoren zwischen dem Iran und den Mittelmeer, als Teil der „Neuen Seidenstraße“.[19]
Wenn Washington alles daran setzt, die US-Präsenz, zu der neben den regulären Truppen auch eine größere Zahl an Söldnern, Geheimdienstleuten und Zivilangestellten gehören, eher noch zu stärken, so zielt dies auch darauf eine solche, seinen Hegemonialinteressen zuwiderlaufenden Entwicklung so lange wie möglich aufzuhalten.
Auch unter Trump ist das Interesse an den bedeutenden Öl- und Gasvorkommen des Irak ungebrochen. Dieser ist mittlerweile zum zweitgrößten Erdöl-Produzenten innerhalb der OPEC aufgestiegen und hat seine Fördermenge von gut 2 Millionen Barrel pro Tag 2007 auf durchschnittlich auf 4,7 Millionen im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt. US-Unternehmen haben aber nur einen verhältnismäßig geringen Anteil an dem boomenden Geschäft, da es den USA während der Besatzung nicht gelang, eine Privatisierung der Ölindustrie durchzusetzen. Statt über die anvisierten „Production Sharing Agreements“ (Produktionsbeteiligungsabkommen, PSA) einen Anteil am geförderten Öl und auch eine weitgehende Kontrolle über die Ressourcen zu erringen, erhielten die Öl-Multis nur Serviceaufträge mit einer aus ihrer Sicht mageren Entlohnung. Auch wenn die zu erzielenden Gewinne auch hier durchaus beträchtlich sind, gingen nur wenige US-Konzerne, darunter ExxonMobile, darauf ein.
Im Wahlkampf hatte Trump den Irakkrieg als vermutlich schlechteste Entscheidung in der Geschichte der USA bezeichnet. In einer Rede vor der CIA-Spitze unmittelbar nach seinem Amtsantritt im Januar 2017 erklärte er jedoch den von George W. Bush vereinbarten und unter Obama vollzogenen Abzug der US-Truppen aus dem Irak als ebenso großen Fehler. Er bedauerte, dass sie „das irakische Öl nicht behalten“ hatten, doch vielleicht gebe es noch „eine zweite Chance“. [20]
Eine solche Chance sah er im Abschluss eines Abkommen von Exxon mit Bagdad über ein 53-Milliarden -Dollarprojekt zur weiteren Steigerung der irakischen Ölproduktion, das in Partnerschaft mit PetroChina geplante „integrierte Südirak-Projekt“. Der US-Konzern verlangte diesmal jedoch Verträge auf Basis von „Production Sharing Agreements“, was die irakische Regierung kategorisch ausschloss. Sie ist weiterhin nur zur Vergabe von Service-Verträgen bereit.[21] Als Exxon, unterstützt von Washington weiter auf PSAs beharrte, ging Interimspremier Abdul Mahdi, wie er in einer Parlamentssitzung am 5. Januar 2020 berichtete, nach China, wo er „ein wichtiges und strategisches Abkommen“ abgeschlossen habe. US-Präsident Trump habe daraufhin großen Druck auf ihn ausgeübt, die Vereinbarung rückgängig zu machen und sogar gedroht, andernfalls ihn und seinen Verteidigungsminister ermorden zu lassen. Er habe daraufhin seinen Rücktritt eingereicht.“ [22]
Ob die Drohungen zutreffen, lässt sich schwer beurteilen. Bagdad hat sich aber tatsächlich im September letzten Jahres an chinesische Firmen gewandt, um Exxon zu ersetzen und mit seinem Megaprojekt voranzukommen. PetroChina bemüht sich nun, die China National Offshore Oil Corp. (CNOOC) und Sinopec in das Projekt zu integrieren.[23] Gleichzeitig vergab Bagdad Aufträge, die ursprünglich Teil des Großprojekts waren, an zwei europäische Öl-Multis, die britische BP, und die italienische ENI, sowie an den südkoreanischen Konzern Hyundai.[24]
Fazit
Die Aussichten für den Irak sind trübe. Die Auseinandersetzungen infolge der US-Politik ‒ sowohl gegenüber dem Land selbst als auch gegen den Iran ‒ werden sich zuspitzen und auch die Spannungen zwischen den feindlichen Lagern weiter anheizen. Dies in einer Situation, wo weite Teile des Landes bereits in Aufruhr sind. Die Protestbewegung, die in einigen Städten in regelrechte Aufstände überging, richtet sich zwar allgemein gegen die Korruption, Klientelismus, ethnisch-konfessionelles Proporzdenken und der völligen Unfähigkeit des im Zuge der US-Besatzung etablierten Regimes, Basisdienstleistungen sicherzustellen. Wichtige Auslöser waren jedoch wie in den vergangenen Jahren massive Engpässe bei der Versorgung mit Wasser und Strom sowie die hohe Arbeitslosigkeit, insbesondere unter der Jugend. Der Irak ist wirtschaftlich in hohem Maße vom Iran abhängig, insbesondere auch bei der Energieversorgung .Er bezieht bis zu 35% des Stroms aus dem Nachbarland und den Großteil des Gases für die Kraftwerke. Bisher haben die USA Bagdad noch vom Zwang ausgenommen, sich an der Blockade zu beteiligen. Ein erzwungener Stopp der Lieferungen würde die Situation genauso unhaltbar machen, wie direkte Zwangsmaßnahmen gegen die Abzugsforderung.
Insbesondere der Konflikt um die weitere Präsenz der US-Truppen kann jederzeit wieder zu einer Eskalation wie zum Jahreswechsel führen. PMU-Führer bemühen sich zwar, direkte Zusammenstöße zwischen den schiitischen Milizen und den US-Amerikanern im Land zu vermeiden und zunächst die Abzugsforderung politisch voranzutreiben.[25] Doch am 24 Januar 2020 berichtete die Times of Israel bereits wieder über eine Serie von Luftangriffen durch „nicht identifizierte Luftfahrzeuge“ auf Stützpunkte der Kata’ib Hisbollah .[26] Und am 27. Januar schlugen Mörsergranaten in den US-Botschaftskomplex ein, eine Granate explodierte in der Kantine und verletzte eine Person.[27]
[1] Iraq PM orders Iran-allied militias to be reined in, Reuters, 1.7.2019
[2] Draft law to pull foreign troops out of Iraq inching toward parliament, Al Monitor, 19.1.2019
[3] Legislative Efforts To Expel U.S. Troops From Iraq, Alongside Shi’ite Militias’ Threats To Force Them Out, MEMRI, 6.3.2019
[4] US targets pro-Iran militia bases in Iraq, Syria raids, Al Jazeera, 29.12.2019
[5] Strategiewechsel im Weißen Haus: Mord an Soleimani galt der Wiederherstellung der US-Abschreckung, RT Deutsch, 16.01.2020
[6] Volker Perthes: „Asymmetrischer Krieg hat schon begonnen”, tagesthemen, 3.01.2020 23:15 Uhr
IADL condemns US assassination of Gen. Qassem Soleimani as an illegal act of aggression, International Association of Democratic Lawyers IADL, 5.1.2020
[7] Christian Schaller, Johannes Thimm, Für eine Kultur völkerrechtlicher Rechtfertigung: Der Fall Soleimani,
SWP, 03.1.2020
[8] Scott Ritter, Der iranische Angriff belegt neue Raketentechnik und militärische Entschlossenheit, RT-Deutsch, 10.01.2020
[9] Karin Leukefeld, „Ende der USA in unserer Region hat begonnen“ – Der Soleimani-Mord und seine Folgen, RT-Deutsch, 11.01.2020
[10] Pentagon seeks Iraqi permission to deploy missile defences, Al Jazeera, 30.1.2020
[11] Ian Williams, Uncomfortable Lessons: Reassessing Iran’s Missile Attack, CSIS, 6.2.2020,
[12] Selbst das Pentagon war perplex, Frankfurter Rundschau, 05.01.2020
[13] Was ‘Imminent Threat’ His Impeachment? Trump Reportedly Admitted Soleimani Killed to Appease GOP Senators, Common Dreams 10.1.2020
As Tensions With Iran Escalated, Trump Opted for Most Extreme Measure, Ney York Times, 4.1.2020, Killing of Soleimani follows long push from Pompeo for aggressive action against Iran, but airstrike brings serious risks, The Washington Post, 6.1.2020
[14] Gulf States Move to Prevent Escalation After Soleimani’s Killing Bloomberg, 5.1.2020
[15] US stops all weapon deliveries to Iraq, citing security concerns – Air Force spokesman, RT, 28.1.2020
[16] Rescuing Iraq from the Iran-U.S. Crossfire, International Crisis Group, 1.1.2020
[17] China-Iraq Relations: Poised for a “Quantum Leap”?, Middle East Institute, 8.10.2019
[18] Iraq, China launch ‘oil for reconstruction’ agreement, Al-Monitor, 10.10.2019
[19] Pepe Escobar, Battle of the Ages to stop Eurasian integration, The Saker, 16.1.2020 , How Iraq Is Helping Iran Survive US Sanctions – OpEd, Eurasia Review, Geopolitical Monitor, 17.7.2019
[20] Das müssen Sie über Trumps erstes Wochenende wissen, Welt.de, 22.01.2017. Er wiederholte das Bedauern über die Aufgabe des irakischen Öl auch später: Trump’s perplexing insistence on ‘keeping’ Middle Eastern oil, Washington Post, 15.11.2019
[21] Exclusive: Exxon’s $53 billion Iraq deal hit by contract snags, Iran tensions – sources, Reuters, 21.6.2019
[22] Irakischer Premier klagt an: Trumps Söldner haben unsere Polizisten ermordet, Deutsche Wirtschaftsnachrichten, 26.01.2020
[23] EIG Article : Chinese Firms May Replace Exxon in Iraq Megaproject, Energy Intelligence Group, 20.9.2019
[24] Iraq turns to two oil giants as part of Exxon deal falters, Al Jazeera, 8.8.2019
[25] PMU factions reluctant to target US interests in Iraq directly, Al-Monitor, 6.2.2020
[26] Unidentified aircraft reportedly strike Hezbollah base in Iraq, Times of Israel, 24.1.2020
[27] 3 mortar shells crash into Baghdad’s U.S. Embassy compound, wounding one, Washington Post, 27.1.2020
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