Machtkampf im Sudan

Input, AK-Süd-Nord, 13.5.2023 ‒ kurzer, stichwortartiger Überblick, um was die gewaltsamen Auseinandersetzungen gehen und welche internat. Kräfte mitmischen.

Zum Hintergrund kurz nur so viel: Sudan ist ein riesiges, an sich sehr rohstoffreiches Land mit riesigen wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Diese sind massiv mit der vom Westen forcierten Abspaltung[1] des Südsudans 2011 gewachsen. Mit rund einem Fünftel der Bevölkerung gingen auch drei Viertel der Öleinnahmen, bis dato die Haupteinnahmequelle. Lag das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen 2011 noch bei 2300 Dollar so sank es bis 2017 auf 1400 Dollar und brach 2018 auf 990 Dollar ein.[2] Es kam zu einer massiven Protestbewegung, zunächst gegen die Preiserhöhungen, bald gegen das Regime Omar al-Baschir, der seit 1989 an der Macht war.

Im April 2019 übernahmen aber die beiden aktuellen Kontrahenten durch einen Militärputsch die Macht: Generalstabschef Abdel Fattah Burhan, das heutige faktische Staatsoberhaupt und sein Stellvertreter General Mohammed Hamdan Dagalo, auch Hemedti genannt, Chef der „Schnellen Unterstützungskräfte“ (RSF), eine Miliz, die von al-Baschir eigentlich zum Schutz vor einem Umsturz geschaffenen wurde.[3]

Seither gibt es einen wechselhaften Machtkampf zwischen den Militärs und zivilen Oppositionsgruppen, die für einen Übergang zu einer zivilen Gesellschaftsordnung kämpfen.

Zunächst kam es 2019 mit Billigung von den USA, Großbritannien, Saudi-Arabien und den Emiraten zu einer fragilen Übergangsregierung aus Militärs und zivilen Kräften, die das Land innerhalb von fünf Jahren demokratisieren sollte. Gut zwei Jahre später putsche das Militär erneut, setzte den zivilen Regierungschef Abdalla Hamdok und zivile Minister ab.

Die zivile Opposition ist nach wie vor stark, organisiert vor allem im Bündnis „Kräfte für Freiheit und Wandel“ (FFC), mobilisiert große Proteste, ist aber auch gespalten. Einem im Dezember geschlossenen Abkommen zwischen Militärführung und Opposition, das einen Rahmen für den Übergang zu einer zivilen Regierung und Wahlen vereinbarte, stimmten viele linke Gruppen (Sudanesische KP, Widerstandskomitees) nicht zu. [4]

Anlass zum aktuellen Ausbruch der Kämpfe, ist der Versuch der Armeeführung, Dagalos Miliz in die reguläre Armee zu integrieren, wie es auch im „Rahmenabkommen“ vom Dezember vorgesehen ist. Burhan will sie damit direkt seiner Befehlsgewalt unterstellen. Dagalo der damit faktisch entmachtet wäre, beharrt darauf weiter das Oberkommando über seine Einheiten zu behalten.

Hauptsächlich ist es wohl ein Machtkampf zwischen zwei Rivalen, bei denen es auch um die Pfründe geht, die die Armeeführung auf der einen und Dagalos Miliz auf der anderen ausbeuten ‒ die Armeegeneräle in diversen Wirtschaftszweigen, Dagalo vor allem bei der Förderung und dem Verkauf von Gold.

Die Armee ist doppelt so groß wie Dagalos RSF und verfügt über eine Luftwaffe und schwere Waffen, gilt aber als nicht so gut ausgebildet und für den Krieg in den Städten geeignet.

Dagalo kommt aus Dafur und war dort als Miliz-Chef an der Niederschlagung der dortigen Sezessionsbewegung beteiligt. Unter ihm wurden die Schnellen Unterstützungskräfte zu einer großen und gut ausgebildeten Miliz.

Den islamistisch orientierten Armee-Offiziere war sein rascher Aufstieg zur militärischen Macht ein ziemlicher Dorn im Auge, insbesondere störte sie auch seine Herkunft von den historisch marginalisierten arabischen Stämmen Darfurs massiv.

Indem er mit seiner Miliz die Kontrolle über die westlichen Grenzen des Sudans errang, konnte er direkte Beziehungen zu einer Reihe regionaler und internationaler Akteure aufbauen und die Goldminen der Region übernehmen, die etwa 40 % der sudanesischen Goldexporte in Milliardenhöhe erwirtschaften. Außerdem errang er so erheblichen Einfluss auf die Migrationsbewegung und den Menschenhandel über Libyen.[5]

Aus diesem Grund ist Dagalo auch für die EU ein wichtiger Mann. Im Rahmen ihrer Politik der Flüchtlingsabwehr, flossen über 100 Mio. in den Sudan und zu einem guten Teil in seine Taschen.[6]

Generell kann man sagen, dass sich die westl. Mächte, USA, GB und Deutschland, gut mit beiden Machthaber arrangiert haben, trotz offiziellem Eintreten für den Übergang zu einer zivilen Regierung. Und die anderen einflussreichen Staaten, wie Ägypten, Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) haben natürlich überhaupt kein Interesse an einer Demokratisierung.

Dagalos Gegenspieler Burhan wurde 2019 nach dem Sturz von Omar al-Baschir Chef der Militärjunta. Ihm werden Verbindungen zu den Muslimbrüdern nachgesagt, warum ihn Ägypten und die VAE mit Misstrauen betrachten.

Ägypten unterhält aber enge Beziehungen zum sudanesischen Militär, das am ehesten Kontinuität verkörpert und das es als Verbündeten gegen Äthiopien sieht. Und Burhan verfügt als Chef des Militärs und De-Facto-Staatschef über institutionelle Legitimität. Ägypten kann aber materiell nicht viel Unterstützung leisten.

Äthiopien, gleichfalls Nachbarland unterstützt hingegen Dagalo, der gute Kontakte zu dessen Regierung haben soll.

Dasselbe gilt auch für Eritrea ‒ beides Länder, zu denen die USA und die EU wiederum ein gespanntes Verhältnis haben.

Auch die Vereinigten Arabischen Emirate, die als aufstrebende Militärmacht ihre Präsenz auf den gesamten Nahen Osten und Ostafrika ausgeweitet haben, stehen eher hinter Dagalo. Dieser hat sie auch Tausende Kämpfer zur Unterstützung in ihrem Krieg inm Jemen entsandt, wo die VAE mit sezessionistischen Kräften an einer Abspaltung des Südjemens arbeiten. Allerdings ist Abu Dhabi nicht dafür, dass die Kämpfte weitergehen. Ihnen ist viel mehr an Stabilität gelegen

Saudi-Arabiens Herrscher trauen Burhan auch nicht unbedingt, haben sich bisher aber völlig neutral verhalten. Auch sie wollen in erster Linie stabile Verhältnisse.

Russlands Position ist nicht ganz klar: In vielen Berichten wird behauptet, dass die RSF mit der russischen Wagner-Gruppe zusammenarbeiten würden und diese auch beim Verkauf des sudanesischen Goldes von Dagalo beteiligt sei. Dies wird vom Wagner-Chef dementiert, er würde nur vermitteln, die Beteiligung am Goldhandel erscheint aber sehr wahrscheinlich.

Dagalo hat sich offensichtlich auch um gute Beziehungen zu Moskau bemüht. Er war im Februar 2022 zu einwöchigen Verhandlungen in Moskau. Anderseits hat sich Burhans Regierung bei den Abstimmungen in der UN-Generalversammlung über die Resolutionen zum Ukraine-Krieg enthalten und sich damit den Unmut der Biden-Regierung zugezogen.

Unklar ist auch ob, wie ebenfalls behauptet, die Errichtung eines russischen Marinestützpunkts eine Rolle spielt.

Die sudanesische Übergangsregierung stoppte auf Druck der USA die Pläne zur Errichtung des Marinestützpunkts und die Militärregierung zögert anscheinend nach dem Putsch von 2021, den Deal wiederzubeleben.

Einem Bericht von ABC News vom Februar zufolge hat das sudanesische Militär das Abkommen mit Russland über den Bau eines Marinestützpunkts aber mittlerweile gebilligt.[7] Der russische Außenminister Sergej Lawrow habe aber eingeräumt, dass das Abkommen noch von der sudanesischen Legislative, also dem noch zu wählenden Parlament, ratifiziert werden müsse, bevor es in Kraft treten könne. D.h. Moskau hat ein erhebliches Interesse an einem Übergang zu einer Zivilregierung und Wahlen, Washington evtl. weniger. Der US-Botschafter im Sudan hat die regierenden Generäle öffentlich davor gewarnt, Russland einen Marinestützpunkts zu gestatten.

Soweit ersichtlich, agiert Moskau neutral und setzt sich für ein Ende der Kämpfe ein.

USA: Für die Regierung Biden hat der Sudan, so heißt es, keine Priorität. Sie hat sich aber gut mit der Militärregierung arrangiert.

Die USA hatten sich vor dem Sturz Bashirs schon dem alten Regime etwas angenähert gehabt und stehen ‒ wie auch GB, Frankreich und Deutschland ‒ aktuell den regierenden Armee-Generälen um Burhan näher (hinter denen auch viele Vertreter des alten Regimes stehen). Das lässt sich auch daran erkennen, dass die westlichen Medien ein negativeres Bild von Dagalo als von Burhan zeichnen (obwohl beide viel auf dem Kerbholz haben) und ihn als hauptverantwortlich für die Gewalteskaltion erscheinen lassen.

Die USA und Saudi-Arabien spielen bei aktuellen Verhandlungen die Vermittler.

China hat viel in den Sudan investiert. Burhan ist dort persönlich aus seiner Zeit in Peking bekannt, als er als sudanesischer Militärattaché tätig war. China ist jedoch für Stabilität und sieht Kämpfe als schlecht für Investitionen an und bleibt daher neutral.

Fazit: Auch wenn es im Wesentlichen ein Machtkampf zwischen zwei Generälen oder Warlords ist, tragen die internationalen Vermittler, die sich seit 2019 um Konfliktlösung und Übergang zu zivilen Regierung bemühen, die Verantwortung, so Alex de Waal, Berater der Afrikanischen Union Umsetzung der Abtrennung des Südsudans. An diesem Vermittlungsprozess waren neben der UNO und der Afrikanischen Union auch die „Vierergruppe“ aus den USA, Großbritannien, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten beteiligt.[8] Auch Volker Perthes von der Berliner regierungsnahmen Stiftung Wissenschaft & Politik, der seit 2021 UN-Sonderbeauftragter für Sudan ist, steht in der Kritik.

Der renommierte indische Exdiplomat und Publizist M.K. Bhadrakumar schreibt, „die unausgegorenen, unrealistischen politischen Lösungen, die von den westlichen liberalen Demokratien gefördert wurden“ hätten die Kämpfe der Militärs erheblich angeheizt.[9] Die vom Westen angestrebten Übereinkünfte hätten sich weitgehend auf den Militärischen Übergangsrat und die Allianz „Kräfte für Freiheit und Wandel“ beschränkt, due eine „unausgegorene Koalition handverlesener ziviler und rebellischer sudanesischer Gruppen“ sei, die keineswegs die nationalen Kräfte im Sudan repräsentieren würden. Der Sudan ist ein riesiges Land mit großer ethnischer und regionaler Vielfalt ist, Heimat von 400-500 Stämmen. Die ungeschickte Handhabung der Regierungsbildung durch den UN-Vertreter Volker Perthes habe erheblich zur gegenwärtigen Krise beigetragen. Der deutsche Think Tanker aus dem Establishment, sei ‒ von der Ideologie der Neokonservativen getrieben ‒ der falsche Mann für eine derart sensible Aufgabe. Es sei aber typisch für UN-Generalsekretär Guterres westliche Gesandte an die Brennpunkte zu entsenden, an denen die geopolitischen Interessen des Westens auf dem Spiel stehen. Durch sein Drängen auf eine überstürzte Machtübergabe an eine Zivilregierung, statt sich für mehr Interessensausgleich und Ausarbeitung einer neuen Verfassung einzusetzen, habe der „übereifrige Perthes zu einer Verschärfung der Konfrontation zwischen den Kriegsparteien beigetragen.

Zum Evakierungseinsatz der Bundeswehr siehe meinen Kommentar in der UZ


[1] Christin Bernhold, Divide et Impera: Deutsche und US-amerikanische Entwicklungszusammenarbeit als Sezessionshilfe für den Süd-Sudan, IMI-Studie 2012/16, 6.12.2012

[2] Sudan: Militär stürzt al-Baschir, Telepolis, 12.4.2019

[3] Stopping Sudan’s Descent into Full-Blown Civil War, Internat. Crisis Group, 20 April 2023

[4] Sudan: Militärregierung unterzeichnet Abkommen mit zivilen Akteuren, junge Welt, 08.12.2022, Sudan: Differenzen in militärischer Führung. Protestbewegung unbeeindruckt und weiter auf den Straßen, junge Welt, 23.02.2023

[5] Meet Sudan’s web of warlords, foreign backers and their tangled alignments, A look at the various players in the fighting that has exploded in Sudan paints a much richer picture than what some call a proxy war. Al Monitor, 22.4.2023

[6] Deshalb schweigt die EU zum politischen Morden im Sudan, Telepolis, 26. Januar 2022

[7] Sudan military finishes review of Russian Red Sea base deal, ABC News , 11.2.2023

[8] Alex de Waal, Sudan is tearing itself apart and Washington lost its capacity to help — The truth is that no one was doing the basics of multilateral diplomacy to prevent the bloody power struggle we’re witnessing today, 20.4.2023

[9] M.K. Bhadrakumar, Sudan: Alignment of forces, players, Indian Punchline 23.4.2023

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