Redebeitrag von Joachim Guilliard (Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg) auf der Kundgebung am 26.02.2022 in Heidelberg ” Nein zum Krieg! Die Waffen nieder! Zurück zu Diplomatie und Verhandlungen”
Wir stehen hier, um gegen den russischen Angriff auf die Ukraine zu protestieren. Wir sind alle erschüttert über diese Eskalation, die wir nicht für möglich hielten und die weitreichende Folgen haben wird. Es ist auch eine Niederlage für alle, die sich für Frieden und Entspannung engagiert haben. Wir stehen hier um unser Mitgefühl, unsere Solidarität mit der betroffenen Bevölkerung auszudrücken. Wir stehen hier um ein Ende der Kampfhandlungen zu fordern.
Wir stehen aber auch hier, um unsere Regierung und ihre NATO-Partner aufzufordern, die Situation nicht weiter zu eskalieren, sondern diplomatische Schritte einzuleiten, mit denen das Blutvergießen in der Ukraine schleunigst gestoppt werden kann.
Viele wollen und erwarten, dass wir alle hier uns auf die Verurteilung der russischen Regierung konzentrieren, auf „Putin“ ‒ wie man meist personalisiert, wenn es gegen feindliche Regierungen geht.
In der Tat verurteile ich wie alle im Friedensbündnis die russische Aggression und fordere eine sofortige Einstellung der Bombardierungen.
Wenn wir uns für ein Ende des Krieges engagieren wollen, reicht dies aber nicht. Dann müssen wir auch erklären, welche Schritte dafür nötig sind und wie, klassischer Weise, eine politische Lösung aussehen könnte. Sie kann nur darin bestehen, auch auf westlicher Seite zu deeskalieren, die Ursachen zu beseitigen, die die Konfrontation derart zugespitzt haben, dass auch Moskau nun voll auf die militärische Karte setzt und in klassischer Großmachtmanier auf das Völkerrecht pfeift.
Und um das verständlich zu machen, müssen wir auch darauf hinweisen, dass die Hauptschuld an der Zuspitzung die USA und ihre Verbündeten tragen, indem sie die NATO, entgegen der klaren Zusagen an Gorbatschow, bis an die russischen Grenzen vorgeschoben und Russland schon halb eingekreist haben. Parallel dazu hat die NATO mehrfach auf brutale Weise demonstriert, dass sie ein aggressives Kriegsbündnis ist, das keine Rücksicht auf die Souveränität anderer Staaten, die UN-Charta und internationale Abkommen nimmt. Die NATO-Expansion nach Osten, mit den regelmäßigen gewaltigen Manövern an den russischen Grenzen, kann man nicht anders als eine neue Art von Aggression bezeichnen.
Das war völlig verantwortungslos gegenüber einem Land mit den schrecklichen Erfahrungen aus dem 2. Weltkrieg. Die Vision vom gemeinsamen Haus Europas wurde beiseitegeschoben, wie auch der Grundsatz Willy Brandts, dass die eigene Sicherheit untrennbar mit der Sicherheit des Gegners verbunden ist. Vertreter dieser Position, wie Erhard Eppler, haben schon vor Jahren davor gewarnt, dass dies in einen Krieg münden kann.
Diese Hinweise dürfen natürlich auf keinen Fall als Rechtfertigung für das russische Vorgehen verstanden werden. Für Krieg gibt es keine Rechtfertigung, Krieg darf kein Mittel der Politik sein.
Aber wenn die RNZ sich heute irritiert zeigte, dass wir neben einer Verurteilung der russischen Aggression auch Kritik am Westen und der ukrainischen Führung üben, so wird in der Redaktion dort offenbar kein Gedanken daran verschwendet, wie man aus dem Schlamassel, für den der Westen maßgeblich mitverantwortlich ist, wieder herauskommt ‒ ohne das Horrorszenario in Betracht zu ziehen, dass die NATO militärisch eingreift.
Ich kann die RNZ trösten: an Verurteilungen und Mahnungen herrscht hierzulande wahrlich kein Mangel. Wenn es gegen ein Land geht, das seit langem zum Feind erklärt wurde, ruft sogar die CDU zu Friedensdemos auf, gemeinsamen mit den beiden anderen Parteien, SPD und Grüne, die stets den zahlreichen Kriegseinsätzen der Bundeswehr zustimmten.
Klar, man fordert immer noch härtere Sanktionen, noch umfassendere Wirtschaftsblockaden. Diese Wirtschaftskriege haben aber noch nie zum Einlenken geführt, treffen aber ‒ sofern sie effektiv sein sollen ‒ stets auf brutale Weise die Zivilbevölkerung und verhärten zusätzlich die Fronten.
Die NATO-Staaten haben zudem keineswegs das moralische Recht, sich als Richter aufzuspielen und Strafmaßnahmen zu verhängen.
Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz tönt: „Gerade erleben wir den Beginn eines Krieges, wie wir ihn in Europa so seit mehr als 75 Jahren nicht erlebt haben“, so müssen wir daran erinnern, dass wir sehr wohl schon einen verheerenden Krieg mitten in Europa erlebt haben ‒ 78 Tage lang gegen Jugoslawien.
Und sind Kriege viel weniger schlimm, wenn sie weiter weg, in Afghanistan, Irak oder Libyen stattfinden? Müssen wir daran erinnern, dass die USA und ihre Verbündeten gegen all diese Länder verheerende völkerrechtswidrige Angriffskriege führten? Müssen wir daran erinnern, dass sie mit der durch den Jugoslawienkrieg erzwungenen Lostrennung des Kosovo von Serbien selbst die territoriale Integrität eines Landes verletzt und so einen gefährlichen Präzedenzfall schufen?
Das rechtfertigt selbstverständlich, wie gesagt, nicht, dass andere es den USA und ihren NATO-Partnern gleichtun. Es darf aber auch nicht vergessen werden, wenn es darum geht, zu erörtern, wie man den Krieg stoppen, den Konflikt um die Ukraine und den Konflikt des Westens mit Russland eindämmen und lösen kann.
Es ist hier nicht der Raum auf die Hintergründe und die Folgerungen daraus genauer einzugehen, wie es an sich notwendig wäre. Wir werden so bald wie möglich eine Veranstaltung dazu machen.
Unser Mitgefühl gehört selbstverständlich den Betroffenen in der Ukraine, der Sorge um die Opfer der Angriffe. Wir dürfen aber auch nicht die Menschen auf der anderen Seite, die im Donbass vergessen, die schon viel länger unter Bombardierungen leiden, seit 2014 über 10.000 Todesopfer zu beklagen haben. Doch um die katastrophale Lage der russischsprachigen Bevölkerung im Osten der Ukraine hat sich mehr als 7 Jahre im Westen niemand geschert.
Das Vordringlichste ist daher, jetzt so schnell wie möglich alle Kampfhandlungen zu stoppen. Wir verlangen von der deutschen Regierung konstruktive Anstrengungen für einen umfassenden Waffenstillstand. An der raschen Aufnahme von Verhandlungen geht ‒ ungeachtet aller Empörung ‒ kein Weg vorbei. Sobald die Waffen wieder schweigen, müssen Verhandlungen über eine Friedensordnung in Europa stattfinden, bei denen der Westen die berechtigten Sicherheitsinteressen Russlands endlich ernst nimmt.
Wir sollten dazu stärker als bisher den Kontakt mit der Friedensbewegung in der Ukraine und Russland suchen. Auf der heutigen Aktionskonferenz heute, in der sich ein breiter Konsens unter den immerhin 250 Teilnehmern zeigte, wurde dies auch vorgeschlagen.
Zu den ersten Schritten zu einer Entspannung sollte eine Demilitarisierung auf beiden Seiten der Grenzen zwischen Russland, der Ukraine und der NATO gehören, inklusive Abzug der westlichen NATO-Truppen aus Osteuropa.
Von der Bundesregierung fordern wir konkret, auch weiterhin keine Waffen an die Ukraine zu liefern und auf keinen Fall den russischen Krieg nun zum Vorwand zu nehmen, die Bundeswehr noch stärker aufzurüsten.
Nur mit einer Politik, die die Sicherheitsinteressen der anderen Seite genauso berücksichtigt, wie die eigenen, kann Frieden, Abrüstung und Entspannung erreicht werden.