„Wunschdenken ersetzt materialistische Analysen“ – Zur Auseinandersetzung über die syrische Opposition

Ein gutes Beispiel für die Art, wie sie die Auseinandersetzung führen, ist eine Debatte im britischen Socialist Worker zwischen dem irakischen Politologen und Antikriegsaktivisten Sami Ramadani und dem Nahostexperten der Zeitschrift, Simon Assaf (Debate: Should socialists support the revolt in Syria?, Socialist Worker, 24.3.2012).
Sami Ramadani macht zunächst an Beispielen, wie dem von Syrien unterstützten ersten US-geführten Krieg gegen den Irak, deutlich, warum man seiner Meinung nach das syrische Regime nicht als „antiimperialistisch“ im engeren positiven Sinn betrachten kann – auch wenn es seine Haltung mittlerweile gewechselt hat und nun, so Ramadani, als Unterstützer des libanesischen und palästinensischen Widerstands, sowie als Verbündeter des Irans in Opposition zur westlichen und israelischen Politik in der Region steht.
Er bezweifelt nicht, dass die Protestbewegung spontan begann und überwiegend von fortschrittlichen Kräften geführt wurde, die radikale politische Reformen fordern. Nachdem durch die Repression der Regierung und islamistische Kämpfer die Gewalt eskalierte, haben nun, so Ramadani, die pro-NATO-Kräfte die Initiative an sich gerissen, die sowohl den Syrischen Nationalrat, wie auch die sog. „Freie syrische Armee“ FSA dominieren. Katar und Saudi-Arabien sponsern die Muslimbruderschaft und salafistische Geistliche, die Minderheiten angreifen und so religiöse Konflikte schüren.
Die FSA werde von NATO-Staaten, vorneweg die Türkei, logistisch unterstützt. irakische Kämpfer, libysche Terroristen und NATO-Spezialeinheiten kämpfen bereits auf Seiten der Regimegegner mit. Dennoch würden diese Kämpfer von „Socialist Worker“ als „Revolutionäre“ angesehen.
Die scharfe Kritik Ramandanis an der syrischen Regierung hindert Assaf nicht, ihn in den Topf der „Regime supporters“ zu stecken, die jede „Herausforderung des Regimes“ als Werk „dunkler Kräfte“ betrachten und „das syrische Volk als Bauern in einem größeren Spiel“ darstellen würden. Die Hinweise auf den großen Einfluss, der von den arabischen Feudalherrscher unterstützten islamistischen Kräfte in der Opposition und die Beteiligung ausländischer Kämpfer und NATO-Spezialeinheiten am Aufstand wischt er empört mit der Behauptung beiseite, man würde die Syrier als bloße Marionetten in einer ausländischen Konspiration hinstellen. Von gleichem Realitäts- und Wahrheitsgehalt ist auch seine folgende, mit viel Pathos gespickte Charakterisierung der „syrischen Revolution“ und sein stark idealisiertes Bild der „arabischen Revolutionen“.
Stets redet er von „dem syrischen Volk“, „der Jugend“ etc., und ignoriert völlig, dass eine Mehrheit der Syrer, zumindest vorläufig am Präsidenten Assad festhalten möchte und auch ein guter Teil der linken Opposition für Verhandlungslösungen ist. Islamistische Kräfte kennt Assaf nicht, die bewaffneten Kämpfer sind für ihn nichts weiter als ehemalige Soldaten, die auf die Seite der „Stadtviertel“ wechselten, die sie „unterdrücken“ sollten. Der Syrische Nationalrat (SNR) spielt für ihn keine Rolle, weil die „lokalen Komitees, die Jugend, die Arbeiter, die Bauern, die Linke, Nachbarschafts- und Facebook-Aktivisten“ die „Revolution machen“ würden. Als ob dies das, als „Freunde Syriens“ firmierende Interventionsbündnis aus den NATO-Staaten und ihren Verbündeten interessieren würde, das den SNR – analog dem libyschen Übergangsrat – mit erschaffen und zur Führung der Opposition erklärt hat.
Angesichts des von Idealisierung und revolutionären Phrasen geprägten Textes kann man dem Verdikt Sami Ramadanis, „Wunschdenken ersetzt materialistische Analysen,“ nur zustimmen.
Dieses Wunschdenken, das an die Möglichkeit eines Sturzes der Regierung durch eine gewaltfreie Bewegung oder gar an eine fortschrittliche Revolution inmitten eines Bürgerkrieges und ausländischer Intervention glaubt, ist weit verbreitet. Es wird meist auch nach demselben Muster verteidigt: durch grobe Verzerrung der Kritik. Dabei wird von kaum jemand bezweifelt, dass es eine starke genuine Protestbewegung gibt, die mit berechtigten und nachvollziehbaren Forderungen auf die Straße geht. Weisen aber Kritiker z.B. auf die massive ausländische Unterstützung für maßgebliche oppositionelle Kräfte hin, so wird beleidigt die angebliche Behauptung zurückgewiesen, die „ syrischen Proteste seien einzig von außen gesteuert“ (so z.B. Rim Farha, die sowohl im Deutschen Friedensrat als auch im syrischen „Nationalen Koordinierungskomitees im Exil“ aktiv ist. ). Wer darauf hinweist, dass Teile der Opposition von Anfang an durch bewaffnete Angriffe den Konflikt eskalierten, wird unterstellt, er würde allein „Terroristen“ für die Unruhen verantwortlich machen.
Typisch ist auch der Beitrag von Harald Etzbach über „Syrien und deutsche Linke“ in der Sozialistischen Zeitung, der hier schon den „Verlust des proletarischen Internationalismus“ sieht. Wie Assaf unterstellt er allen, die auf die äußere Einmischung, die einseitige, oft völlig verlogene Berichterstattung und die weniger sympathischen Elemente der Opposition hinweisen, „Partei für die Herrschenden“ zu ergreifen, weil sie das „syrische Regime so progressiv oder gar antiimperialistisch“ fänden. Hat man die Kritiker so zurechtgestutzt, geht die Polemik natürlich flott von der Hand.
Nun behaupten jedoch nur wenige, dass die Gegnerschaft zur imperialistischen Hegemonialpolitik der USA und zur Expansionspolitik Israels eine Regierung, wie die Assads, zu einer antiimperialistischen im progressiven Sinn machen würde. Dass Syrien dadurch aber im Visier der USA und seiner Verbündeten steht, sollte Sozialisten dennoch zu einer differenzierten Betrachtung der Lage im Land und der äußeren Umstände nötigen, bevor man auf einen Umsturz mit unvorhersehbaren Ausgang setzt. Es erstaunt doch sehr, dass es sie nicht stutzig macht, hier im selben Boot wie Merkel, Westerwelle, Sarkozy und Obama zu sitzen.
Selbstverständlich sind alle linken Unterstützer syrischer Oppositionsgruppen hierzulande strikt gegen eine militärische Intervention. Die meisten betonen, sich für eine ausschließlich gewaltfreie Protestbewegung einzusetzen. Ihre syrischen Partner sehen das jedoch anders. Elias Perabo, ein von Etzbach interviewter Vertreter von „Adopt a Revolution“, erzählt, sie „akzeptieren den Schutz durch die «Freie Syrische Armee» und „Teile der Bewegung, die der «Freien Syrischen Armee» näher stehen“ würden auch Waffenlieferungen (der NATO) über die Türkei unterstützen.
Die Partner der deutschen Revolutionäre wollen davon nichts wissen: Ungeachtet ihrer verheerenden Kriege gegen Irak, Jugoslawien, Afghanistan und Libyen, „solange die westliche Staatenwelt, die einzige politische Kraft bleibt, auf die sich nicht bewaffnete und sich nicht als Handlanger des Westens missbrauchen lassen wollende Oppositionelle stützen können“, meint Etzbach, dürfe man der Opposition den Ruf nach Intervention nicht vorwerfen («Wir brauchen medizinische und humanitäre Hilfe», Interview mit Elias Perabo von Adopt a Revolution, SoZ, 13.3.2012).
Prominente Führer der Opposition, wie Fadwa Suleiman, eine Schauspielerin, die zeitweilig eine Ikone der syrischen Opposition war, beklagen hingegen, dass die starke, friedliche Protestbewegung in einen bewaffneten Konflikt überging und warnen vor einem konfessionellen Bürgerkrieg (Actress icon of Syrian revolt warns of sectarian warfare, AFP, 30.3.2012).

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