Ukraine: die Pflicht zum Verhandeln ‒ Rede zum Jahrestag

Redebeitrag fürs Friedensbündnis Heidelberg auf der Demonstration zum Jahrestag des russischen Einmarsches in die Ukraine am 25.2.2023 in Heidelberg Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg! Stoppt den Krieg in der Ukraine!

Wir sind heute zusammengekommen, um uns ‒ ein Jahr nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine ‒ für ein Ende des Krieges einzusetzen. Dieser Krieg verursachte bereits ungeheures Leid, Tod und Verwüstung und darf nicht noch Monate oder Jahre weitergehen.

Unsere Solidarität gilt allen Betroffenen und denjenigen in der Ukraine, Russland und weltweit, die für einen Stopp des Krieges und eine friedliche Zukunft eintreten. Wir gedenken der Opfer ‒ auf beiden Seiten der Front ‒ und wollen dafür eine Schweigeminute einlegen.

Der russische Einmarsch in die Ukraine ist ein klarer Bruch des Völkerrechts. Eine deutliche Mehrheit aller Staaten hat ihn auch in der UN-Vollversammlung am 2. März letztes Jahr verurteilt und auch in der gestrigen Resolution noch einmal deutlich gemacht, dass sie ihn nicht toleriert.

Eine Reihe, teils gewichtiger Länder, wie Indien, Pakistan, Vietnam und Südafrika haben sich beide Male aber enthalten, obwohl sie das russische Vorgehen ebenfalls als völkerrechtswidrig ablehnen. Ihnen sind jedoch die Resolutionen zu einseitig, da der Hintergrund des Krieges nicht erwähnt wird: dazu zählt die Ausweitung der NATO bis an die Grenzen Russland ‒ entgegen verbindlicher Zusagen, sowie die Weigerung der USA und NATO ernsthafte Verhandlungen über russische Sicherheitsinteressen aufzunehmen. Dazu zählt zudem auch der vom Westen geförderte Putsch 2014 und die Missachtung des völkerrechtlich verbindlichen Minsker Abkommens, wodurch der Krieg Kiews gegen die Donbass-Republiken bis zum russischen Einmarsch weiterging. Dass Minsk II vor allem dazu dienen sollte, Kiew Zeit zur Aufrüstung zu geben, wurde von Ex-Kanzlerin Merkel und ihrem damaligen französischen Kollegen Holland unlängst ja auch zugegeben.

Aus Sicht dieser Länder hätte der Krieg verhindert werden können, zumindest hätten die NATO-Staaten alles dafür tun müssen. Auch das Gros der Länder, die die Resolutionen unterstützen, sieht die USA und EU in starker Mitverantwortung und auch sie tragen deren Kurs gegen Russland nicht mit.

Der Westen ist mit seinem Wirtschaftskrieg weitgehend isoliert. Gerade einmal fünf Nicht-NATO-Staaten beteiligen sich daran, der Rest lehnt die eigenmächtig verhängten, umfassenden Handels- und Finanzblockaden vehement ab, durch den auch die Versorgung und Wirtschaft ihrer Länder massiv in Mitleidenschaft gezogen werden. Sie kritisieren in diesem Zusammenhang auch die westliche Doppelmoral, indem sie auf die US- und NATO-Kriege der letzten Jahrzehnte verweisen.

Wir sollten diese Stimmen ernst nehmen.

Aus der gestrigen Resolution wird nur die Forderung nach Rückzug der russischen Truppen hervorgehoben. Ausgelassen wird, dass die ersten drei Forderungen sich auf die dringende Notwendigkeit beziehen, so bald wie möglich einen „umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden“ zu erreichen.

Genauso ignoriert wurde zuvor, dass die UN-Resolution vom März letzten Jahres nicht nur den russ. Einmarsch verurteilt hat. Ihr hauptsächliches Anliegen war die sofortige Beilegung des Konflikts „durch politischen Dialog, Verhandlungen, Vermittlung und andere friedliche Mittel“.

Unsere Regierung und ihre Verbündeten haben sich dieser Forderung der internationalen Gemeinschaft konsequent verweigert. Bald nach Kriegsbeginn hatten Kiew und Moskau Verhandlungen aufgenommen, die nach Aussagen Beteiligter, wie dem ehem. israelischen Premier Naftali Bennet, erfolgversprechend waren. Sie wurden aber von den NATO-Staaten blockiert

Stattdessen wird seither die ukrainische Armee mit enormen Mengen an Waffen hochgerüstet. Das Völkerrecht gestattet zwar anderen Staaten, die Ukraine militärisch gegen den russischen Angriff zu unterstützen, die UN-Charta gibt damit den NATO-Staaten aber nicht das Recht, diesen Krieg beliebig fortzusetzen und Friedensbemühungen zu verweigern, um einen militärischen Sieg über Russland anzustreben, wie der ehemalige UN-Diplomat Michael von der Schulenburg die Verpflichtung des Westens, sich für ein Ende des Krieges einzusetzen, begründet. Die UN-Charta verpflichtet in erster Linie alle Mitgliedsländer, Konflikte politisch zu lösen.

Doch spätestens mit der Ausbildung ukrainischer Soldaten an NATO-Waffen wurde Deutschland zur Kriegspartei und der Abwehrkampf der ukrainischen Armee zum Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland. „Wir führen derzeit die Mission der NATO aus, ohne dass sie eigenes Blut vergießen muss,“ brachte es der ukrainische Verteidigungsminister Resnikow gut auf den Punkt.

Als im April letzten Jahres die Forderungen nach Lieferung schwerer Waffen an die ukrainische Armee laut wurden, hat Bundeskanzler Scholz selbst noch vor der Gefahr eines Welt- oder gar Atomkrieges dadurch gewarnt. Nun werden sogar schwere Leopard-2-Panzer an die ukrainische Front gesandt, dorthin ‒ und das darf man nicht vergessen ‒ wo vor 80 Jahren ihre Vorgänger in der Wehrmacht, die Kampfpanzer Panther und Tiger rollten. Und außerdem gibt es bis zu 178 ausgemusterte Leopard 1 noch obendrauf ‒ zur Freude der Rüstungskonzerne, deren Chefs und Aktionäre aus der Champagnerlaune nicht mehr herauskommen. Anschließend wurden sofort die Rufe nach Kampfjets laut. Kiew verlangt zudem noch Kriegsschiffe, U-Boote und weitreichende Raketen Und man fragt sich, wie lange es noch dauert, bis erste Hasardeure in Berlin und in den Medien sogar den Einsatz der Bundeswehr fordern.

Die Folgen dieser massiven Aufrüstung mit schwereren Waffen sind absehbar, je effektiver die ukrainischen Truppen bewaffnet werden, desto mehr verschärft auch die russische Armee ihrerseits die Angriffe und die Zerstörungen und Opfer werden weiter zunehmen ‒ auf beiden Seiten der Front. [Denn auch im Donbass schlagen täglich unzählige Granaten und Raketen ein und treffen zivile Ziele ‒ das heißt Wohnhäuser, Fabriken, Schulen, Krankenhäuser. Sie kommen nun aus NATO-Beständen ‒ noch häufiger, noch tödlicher als in den vorangegangenen acht Jahren.]

Zu gewinnen ist der Krieg von keiner Seite, da sind sich die meisten militärischen Experten einig. Auch der US-Generalstabschef Mark Milley hat klar gemacht, dass die ukrainische Armee erreicht hat, was möglich war, nun aber nicht mehr viel für sie drin ist. Da zudem das Risiko der Ausweitung des Krieges mit jedem Tag wächst, in einen Krieg in dem sich Atommächte direkt gegenüber stehen, drängen er und andere US-amerikanische Militärs, wie auch die deutschen Ex-Generäle Harald Kujat und Erich Vad, auf Verhandlungen

Zu Verhandlungen kommt man nicht, wenn man das Aufgeben des Gegners zur Vorbedingung macht, wie es von westlicher Seite geschieht, sondern nur, wenn man vom aktuellen Stand ausgeht. Und natürlich werden, um zu Ergebnissen zu kommen, Kompromisse nötig sein.

Nach Mexiko, Indien und Brasilien hat nun auch China eine Initiative für Friedensverhandlungen ergriffen. Alle drängen die Kriegsparteien, endlich Schritte zu ergreifen, um zunächst wenigstens einen Waffenstillstand zu erreichen, schrittweise Feuerpausen zu vereinbaren, wie es der italienische Friedensplan vom Mai letzten Jahres vorsah, beginnend dort, würde ich vorschlagen, wo Atomkraftwerke stehen.

Doch die USA und die EU blocken weiter ab. Denn ein Waffenstillstand würde den Frontverlauf vorerst einfrieren und alles weitere Verhandlungen überlassen. Die NATO hofft stattdessen darauf, durch militärische Erfolge die Verhandlungsposition dafür zu verbessern. Doch um welchen Preis? Bereits jetzt sind vermutlich über 100.000 Menschen in diesem Krieg getötet worden. Sollen für die vage Aussicht auf Rückeroberung einige Gebiete, weitere 100.000, 200.000 Menschen sterben.

Jeder der laut nach Waffen und immer mehr Waffen für die Ukraine schreit ‒ und alle die sich dagegen aussprechen, diffamiert ‒ muss sich fragen lassen, welchen Preis er die UkrainerInnen dafür zahlen lassen will. Für uns bedeutet Solidarität mit ihnen, nicht einen langen Krieg zu befeuern, um, wenn möglich, Russland zu „ruinieren“, wie Außenministerin Baerbock es ausdrückte, sondern für ein rasches Ende des Blutvergießens einzutreten.

Bei den Verhandlungen letztes Frühjahr waren sich beide Seiten ein gutes Stück entgegengekommen. Moskau hatte den Rückzug zugesagt, wenn die Ukraine Neutralität zugesichert hätte, die russische Hoheit über die Krim zumindest für die nächsten 15 Jahre akzeptiert und den Autonomiestatus für die russisch-sprachigen Gebiete umgesetzt hätte. [mehr dazu in Waffenstillstand und Frieden für die Ukraine, IPPNW, Feb. 2023]

Das ist nun schwieriger geworden. Die Fronten sind nach den Grausamkeiten des Krieges verhärtet und Moskau hat mit dem Anschluss der Donbass-Republiken und der besetzten Gebiete Fakten geschaffen.

Doch nach wie vor sind politische Lösungen möglich und die USA und ihre NATO-Verbündeten könnten einiges dazu beisteuern. Die Parole, Russland darf auf keinen Fall irgendeinen Gewinn durch den Krieg haben, hilft nicht weiter. Viele der Punkte, um die es dabei geht, hätten durchaus auch schon vorher geklärt werden können. So war die Neutralität der Ukraine schon immer aus friedenspolitischer Sicht absolut sinnvoll. Die Frage der Zugehörigkeit der russischsprachigen Gebiete ließe sich immer noch, so Vorschläge von erfahrenen Diplomaten wie Hans v. Sponeck, Militärs wie Ehrich Vad und Völkerrechtler wie Alfred de Zayas dadurch lösen, dass man die Menschen dort selbst darüber entscheiden lässt ‒ in glaubwürdigen, von der UNO organisierten und überwachten Referenden. Man würde dadurch, völkerrechtlich gesehen, neben das Recht auf territoriale Integrität auch das Recht auf Selbstbestimmung stellen [ein möglicher Lösungsweg, auf den auch schon Henry Kissinger hingewiesen hat]. Da sie Kriegspartei sind, die die Waffen und das Geld für die ukrainische Truppen stellen, ist die Behauptung, Verhandlungen seien allein Sache Kiews, schlicht Unfug. An erster Stelle muss die USA an den Verhandlungstisch. Schon mit dem Angebot Washingtons auf die geplante Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa zu verzichten, könnte sie beispielsweise viel bewegen.

Wir fordern die Bundesregierung und ihre Verbündeten auf, nicht länger mit Waffenlieferungen den Krieg zu eskalieren. Wir verlangen endlich die Friedensinitiativen Mexikos, Brasiliens und nun Chinas aufzugreifen und selbst aktiv zu werden, selbst konkrete Schritte zu ergreifen

Wir sagen NEIN zum 100-Milliarden-Aufrüstungspaket und NEIN zur militärischen Hochrüstung Deutschlands zur Führungsmacht Europas. Diese Gelder sind in Soziales, Gesundheit, Bildung, Wohnen, Umwelt- und Klimaschutz zu investieren.

Wir verlangen die Beendigung aller Wirtschaftsblockaden, die weltweit massive schädliche Auswirkungen haben.

Wir müssen zurück zu einer Politik der Entspannung, der gemeinsamen Sicherheit in Europa und der internationalen Zusammenarbeit zur Bewältigung der großen, globalen Herausforderungen: für Frieden, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit ‒ oder auch zur besseren Hilfe bei Katastrophen, wie dem Jahrhunderterdbeben in der Türkei und Syrien. Auch den betroffenen Menschen dort gilt unser tiefes Mitgefühl.

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