Wie Sarkozy den libyschen Aufstand steuerte
von Franco Bechis, Libero v. 23.3.2011
In Italien erstaunt diese Enthüllung allerdings wohl kaum jemand, hier kursiert der Spruch: “Frankreich bekommt das Öl, England die Militärbasis und Italien die Flüchtlinge.”
Update: Ich habe Auszüge aus dem zitierten Maghreb Confidential zusammengestellt, die vieles bestätigen.
WSWS hat die Story auch aufgegriffen und bringt noch ein paar zusätzliche Informationen – u.a. aus Jeune Afrique – dazu.
von Franco Bechis, Libero v. 23.3.2011
Erste Etappe der Reise, 20. Oktober 2010, Tunis. Dort stieg, mit seiner gesamten Familie, Nouri Mesmari, Protokollchef am Hof des Colonel Muammar Gaddafi, von Bord eines Flugzeugs der Libyan Airlines. Er ist einer der großen Papageien des libyschen Regimes und schon immer an der Seite des Colonels.
Der Einzige – wohlverstanden – , der mit dem Außenminister Moussa Koussa einen direkten Zugang zur Residenz des Staatschefs hatte, ohne anklopfen zu müssen.
Der Einzige, der die Schwelle der Suite 204 des alten Offiziersklubs von Bengazi übertreten konnte, in welcher der libysche Colonel den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi während seines offiziellen Besuchs in Libyen mit allen Ehren empfangen hat.
Dieser Besuch Mesmaris in Tunis dauerte nur einige Stunden. Man weiß nicht, wen er in der Hauptstadt trifft, in der der Aufstand gegen Ben Ali unter der Asche schwelt. Aber von nun an ist sicher, dass Mesmari in dieser und den unmittelbar folgenden Stunden die Brücken zu dem baut, was Mitte Februar zur Rebellion in der Kyrenaika [der libyschen Ostprovinz, Anm. d. Übers.] werden sollte. Und er bereitet den Todesstoß gegen Gaddafi vor, indem er das Bündnis an zwei Fronten sucht und erhält: die erste ist die der tunesischen Dissidenz. Die zweite ist die Frankreichs unter Nicolas Sarkozy. Und beide Bündnisse gelingen ihm.
Davon zeugen die Dokumente der DGSE (Generaldirektion des [französischen] Auslands-Geheimdienstes) und eine Reihe aufsehenerregender Nachrichten, die in französischen diplomatischen Kreisen zirkulierten, ausgehend von einem für sie bestimmten Newsletter, dem „Maghreb Confidential“ (von dem eine zusammenfassende und kostenpflichtig zugängliche Version existiert).
Mesmari kommt am nächsten Tag, dem 21. Oktober, in Paris an. Er wird es nicht mehr verlassen. Er hat seine Reise in Libyen nicht verheimlicht, da er ja seine ganze Familie mitnahm. Er stellte das so dar, dass er sich in Paris einer medizinischen Behandlung und wahrscheinlich einer Operation unterziehen müsse. Aber er wird nicht mal die Spur eines Arztes sehen. Die, die er sehen wird, werden hingegen an sämtlichen Tagen Beamte der französischen Geheimdienste sein.
Treffen im Hotel Concorde Lafayette
Mit Sicherheit hat man Anfang November enge Mitarbeiter des französischen Präsidenten das Hotel Concorde Lafayette in Paris, in dem Mesmari wohnt, betreten sehen. Am 16. November befindet sich eine Reihe blauer Autos vor dem Hotel. Eine intensive und lange Zusammenkunft in der Suite von Mesmari. Zwei Tage später reist eine konzentrierte und seltsame Delegation nach Bengazi ab. Mit Beamten des Landwirtschaftsministeriums , Chefs von France Export Céréales und France Agrimer, Managern von Soufflet, Louis Dreyfus, Glencore, Cani Céréales, Cargill und Conagra. (Konzerne und Vereinigungen aus dem Rohstoff-, Landwirtschafts- und Nahrungsmittelsektor. Glencore besitzt eigene Kohleminen in Kolumbien und ist für die rücksichtslose Ausbeutung der dortigen Arbeiter und für seine Gewerkschaftsfeindlichkeit bekannt [siehe dazu die Infos von Public Ece Awads, Anm. d. Übers.]
Den Papieren nach handelt es sich um eine Wirtschaftsexpedition mit dem Ziel, in Bengazi umfangreiche libysche Aufträge zu erhalten. Aber in der Gruppe befinden sich auch als Geschäftsleute verkleidete französische Militärs.
In Bengazi werden sie einen Oberst der libyschen Luftwaffe treffen, der ihnen von Mesmari benannt wurde: Abdallah Gehani. Er ist über jeden Verdacht erhaben, aber der Ex-Protokollchef Gaddafis hat aufgedeckt, dass er bereit war, zu desertieren, und dass er auch gute Kontakte mit der tunesischen Dissidenz hat.
Die Operation wird unter großer Geheimhaltung durchgeführt, aber irgendetwas davon dringt bis zu den Männern vor, die Gaddafi am nächsten sind. Der Colonel wird misstrauisch. Am 28. November unterzeichnet er einen internationalen Haftbefehl gegen Mesmari. Der Haftbefehl geht auch in Frankreich ein, über protokollarische Kanäle. Die Franzosen sind beunruhigt und beschließen, dem Haftbefehl formal nachzukommen.
Vier Tage später, am 2. Dezember, lässt man diese Nachricht direkt von Paris aus durchsickern. Man nennt keinen Namen, macht aber klar, dass die französische Polizei einen der wichtigsten Mitarbeiter Gaddafis festgenommen hat. Libyen findet zunächst seine Ruhe wieder, erfährt dann aber, dass sich Mesmari in Wirklichkeit unter Hausarrest in der Suite des Concorde Lafayette aufhält. Und der Staatschef beginnt nervös zu werden.
Die Wut des Staatschefs
Als die Nachricht eintrifft, dass Mesmari Frankreich ganz offiziell um politisches Asyl gebeten hat, bricht Gaddafis Wut aus. Er lässt sogar dem Außenminister, Moussa Koussa, der der Verantwortlichkeit für den Abfall Mesmaris beschuldigt wird, den Pass abnehmen. Danach versucht er, seine Leute mit Nachrichten für den Verräter nach Paris zu schicken: „Komm zurück, dir wird vergeben werden“. Am 16. Dezember versucht das Abdallah Mansour, der Chef des libyschen Fernsehens. Die Franzosen nehmen ihn am Eingang zum Hotel fest. Am 23. Dezember kommen andere Libyer in Paris an. Es handelt sich um Farj Charrant, Fathi Boukhris und All Ounes Mansouri.
Wir werden sie vor allem nach dem 17. Februar kennen lernen: denn es sind genau sie, zusammen mit Al Hadji, die die Revolte in Bengazi gegen die Milizen des Colonel anführen werden.
Den dreien wird von der Franzosen erlaubt, mit Mesmari in einem eleganten Restaurant an den Champs Elysée zu Abend zu essen. Mit anwesend sind dabei auch Beamte des Elysée-Palasts und einige Leiter der französischen Geheimdienste. Zwischen Weihnachten und Neujahr erscheint im „Maghreb Confidential“ die Nachricht, dass sich Bengazi in Aufruhr befindet (zu diesem Zeitpunkt weiß das noch niemand), und außerdem einige Indiskretionen über gewisse logistische und militärische Hilfen, die – direkt aus Frankreich kommend – in der zweitgrößten libyschen Stadt eingetroffen seien. Von da an ist klar, dass Mesmari ein Werkzeug in den Händen Sarkozys geworden ist, um Gaddafi in Libyen zu stürzen. Die „Vertraulichen Nachrichten aus dem Maghreb“ beginnen, die Inhalte seiner Zusammenarbeit durchsickern zu lassen.
Mesmari wird der „libysche Wikileak“ genannt, weil er eines nach dem anderen die Geheimnisse der militärischen Verteidigung des Colonel enthüllt und alle Details der diplomatischen und finanziellen Bündnisse des Regimes mitteilt, wobei er sogar die vorhandenen Uneinigkeiten und die vor Ort existierenden Kräfte beschreibt. Mitte Januar hatte Frankreich alle Schlüssel in Händen, um den Sturz Gaddafis zu versuchen. Aber es gibt ein Leck. Am 22. Januar verhaftet der Chef der Geheimdienste der Kyrenaika, General Aoudh Saaiti, ein Getreuer des Colonel, den Luftwaffenoberst Gehani, der seit dem 18. November geheimer Referent der Franzosen ist.
Am 24. Januar wird er in ein Gefängnis in Tripolis gebracht, unter der Anklage, ein soziales Netzwerk in der Kyrenaika geschaffen zu haben, welches Loblieder auf die tunesischen Proteste gegen Ben Ali angestimmt habe. Aber es ist zu spät: Gehani hat die Revolte in Bengazi schon vorbereitet, zusammen mit den Franzosen.
Originaltext: Sarkozy manovra la rivolta libica, Libero v. 23.3.2011
Französische Übersetzung bei Bella Ciao und bei France-Irak-Actualite
* Franco Bechis ist stellvertretender Chefredakteur des “Libero“, eine rechtsgerichtete, Berlusconi-freundliche italienische Tageszeitung.
Übersetzung aus dem Französischen: Heinz Eckel
Relevante Auszüge aus dem Maghreb Confidential
zum Libero-Artikel “Wie Sarkozy den libyschen Aufstand steuerte”
(Zusammenstellung: Joachim Guilliard)
N° 944 – 21.10.2010:
Nouri Mesmari currently in Paris after stopping off in Tunisia
Muammer Kadhafi’s chief of protocol, Nouri Mesmari, is currently in Paris after stopping off in Tunisia.
Normally, Mesmari sticks closely to his boss’s side so there’s some talk that he may have broken his long-standing tie with the Libyan leader.
N° 948 – 18.11.2010
Concorde Lafayette Hotel, Paris – Looking for Nouri Mesmari
“The comings and goings of Nouri Mesmari have been stirring a lot of curiosity in recent weeks.
[…]Officially, Mesmari, who suffers from a chronic illness, came to Paris for an operation. His wife and daughter indeed visited him, staying for a while at the Concorde Lafayette hotel in Paris. […] Mesmari, who reportedly wants to go into retirement, is one of Kadhafi’s closest confidents and knows pretty well all of his secrets.
During his absence, he has been replaced by Fawzi Omar Swei. […]
N° 948 – 18.11.2010
French Wheat Men to Make Their Pitch
French wheat growers and Libyan officials who buy cereals have been playing cat and mouse in recent weeks. For the past two months, a Libyan delegation led by the Price Stability Fund and including the state-owned mills National Flour Mill Co Benghazi and the Tripoli-based National Company for Flour Mills & Fodder have been expected in Paris.
The Libyans wanted to travel to France in late October but the French agriculture minister suggested they put back the visit because of strikes in France. At the moment, the French are waiting for the end of the Aid el Kebir festivities.
[…] France Export Cereales and FranceAgrimer along with the operators and traders Soufflet, Louis Dreyfus, Glencore, CAM Cereales, Cargill and Conagra are lining up in battle order for Libyan contracts. […]
N° 950 – 2.12.2010
Mesmari Affair Could Unseat Kussa
Libyan leader Muammer Kadhafi ’s protocol chief, Nuri Mesmari, was arrested in France on Nov. 28 under an arrest warrant issued by Tripoli. […] Tripoli accuses him of a number of criminal offences and talks are underway on extraditing him to Tripoli. The affair, however, is quite sensitive. Mesmari, who was thought intent on retiring, knows pretty well all of the regime’s secrets. As a result, he will attempt to swap his “silence” for the opening of a “serious” investigation into the murder of his eldest son, Mahfoud, in 2007.
His defection has infuriated Kadhafi and undercuts the position of foreign minister Mussa Kussa, who is now in the cross-hairs of Abdallah Senoussi, the Libyan leader’s brother in law and the man in charge of his security.
[…]
N° 951 – 9.12.2010
Nuri Mesmari still being held in France
Nuri Mesmari, the Libyan leader’s chief of protocol, is still being held in France despite pressure by Tripoli to have him extradited. Fearing for his life, Mesmari has asked for political asylum.
Officially, Libya claims he embezzled money.
Formerly close to Muammer Kadhafi, he has been described as a “Libyan Wikileak” because of everything he knows about the regime. Anticipating that others might defect, Tripoli is confiscating the passports of several officials, including foreign minister Mussa Kussa, who is also being investigated for fraud.
N° 952 – 16.12.2010
The Nuri Mesmari saga continues.
[…] Muammer Kadhafi’s former chief of protocol, who had been in custody in France since Nov. 29 at the behest of Tripoli for alleged “fraud,” has been released. According to our sources, Abdallah Mansour, former head of the Libya’s Radio and Television Office, is in Paris to look into the situation. Close to Kadhafi, Mansour is involved in pretty well all of the Kadhafi clan’s security matters. […]
N° 953 – 23.12.2010
Nuri Mesmari resumed his normal functions
[…] Nuri Mesmari, who is currently residing at the Concorde Lafayette hotel in Paris, met with a number of his Libyan friends in a posh restaurant on the Champs Elysee.
According to our sources, he is preparing for his return to Tripoli after making contact with Libyan officials. Has everyone forgotten his application for political asylum and an arrest warrant issued against him for embezzlement? […]
N° 957 – 01/27/2011
Aoudh Saaiti – Air force colonel Abdallah Gehani and several other officers arrested
General Aoudh Saaiti, head of military intelligence in eastern Libya (Benghazi), a historically rebellious region, has been ordered to crack down on any demonstration of sympathy for the Tunisian revolution.
The central government reproaches some officers of spending too much time on social networks on the Internet which tend to fan protests. Several officers have been arrested, including air force colonel Abdallah Gehani. He was taken into custody in Benghazi on Jan. 22 and later transferred to Tripoli.