Nachkriegsstrategien der USA unter dem Druck der Ereignisse
erschienen in Alnasseri Sabah (Hrsg.) Politik jenseits der Kreuzzüge – Zur aktuellen politischen Situation im Nahen und Mittleren Osten, Westfälisches Dampfboot, Münster (2004)
Am 30. Juni 2004 endet offiziell die Besatzung des Irak. Eine Interimsregierung wurde eingesetzt und ein Übergangsprozess definiert, der innerhalb von 18 Monaten zu einer gewählten, auf einer neuen Verfassung basierenden Regierung führen soll. Mit Resolution 1546 akzeptierte der UN-Sicherheitsrat dieses Vorgehen. Aus der Distanz schienen die USA auf dem Weg des Erfolges und die Ablösung des in Ungnade gefallenen Regimes Saddam Husseins durch ein US-freundliches Regime beinahe abgeschlossen. Die Realität sieht anders aus. Das Besatzungsregime durch Berichte über Folter in den Gefängnissen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen stark diskreditiert, sah sich einem breiten Widerstand gegenüber, der in einzelnen Städten den Charakter eines Volksaufstandes angenommen hatte.
Der nun definierte Übergangsprozess entsprach nicht den ursprünglichen Plänen der US-Regierung, sondern war ihr durch die Verhältnisse aufgezwungen worden. Doch auch sein Erfolg war von an Anfang äußerst fraglich. Die USA werden auch nach dem 30. Juni die Kontrolle über das Land nur unter Einsatz von brutaler Repression und militärischer Gewalt gegen einen noch weiter wachsenden Widerstand aufrechterhalten können. Die Entwicklung geht daher weiterhin nicht in Richtung Souveränität und Demokratie, sondern hin zu einer US-hörigen koloniale Diktatur, die erst dann enden wird, wenn die USA zum Rückzug aus dem Land gezwungen werden.
Mission erfüllt? – Hilfsorganisationen ziehen eine bittere Bilanz
Am 1. Mai 2003 hatte Präsident George W. Bush seinen großen Auftritt. Er landete vor laufenden Kameras bei untergehender Sonne auf dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln und erklärte die Kampfhandlungen im Irak für weitgehend beendet. „Mission accomplished – Mission erfüllt“ stand auf dem riesigen Transparent im Hintergrund. Ein Jahr später fielen monatlich mehr US-Soldaten im Kampf als während der gesamten Invasion. Immer unverhohlener wurde auch in den USA über eine drohende strategische Niederlage im Zweistromland gesprochen.
Obwohl der Präsident in seiner Rede zum ersten Jahrestag des Kriegsbeginns einräumen musste, „auf irakischem Boden vor ernsthaften und andauernden Herausforderungen“ zu stehen, verteidigte er sein Unternehmen als Erfolg. Das „Leben der irakischen Bevölkerung sei eine Welt entfernt von den Grausamkeiten und der Korruption Saddam Husseins,“ das „tägliche Leben verbessere sich“. Für den Irak sei der Einmarsch der Koalitionstruppen ein Tag der Befreiung gewesen, so US-Präsident Bush und auch für den Nahen Osten ein Wendepunkt, da Männer und Frauen dort, „wenn sie auf den Irak schauen, einen Eindruck davon bekommen, wie das Leben in einem freien Land aussehen kann.“
Unabhängige Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen, zogen eine wesentlich bitterere Bilanz. „Die Not der einfachen Iraker ist größer denn je“ meldete die Hilfsorganisation Caritas International am 18. März 2004 in einer Presseinformation.[1] Sie bestätigte die Untersuchungsergebnisse einer Studie von MedAct, der britischen Sektion der Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg IPPNW, die bereits im November festgestellt hatte, dass die Lebensbedingungen sich in allen Bereichen gegenüber der Vorkriegszeit verschlechtert hatten. Und diese waren bekanntlich aufgrund des Embargos bereits katastrophal gewesen.[2]
„Sterben wegen Vernachlässigung“ überschrieb der britische Independent zehn Monate nach Bushs triumphalen Auftritt auf dem Flugzeugträger, einen Bericht über den schockierenden Zustand der Kinderkrankenhäuser in Bagdad. Die vorgefunden sanitären Bedingungen waren verheerend: die Krankenstationen waren verschmutzt, Dreckwasser tropfte aus Abwasserrohren über den Bettchen der Frühgeborenen. Es fehlte nicht nur an Medikamenten und Verbandsmaterial, sondern auch an Desinfektionsmittel, oft sogar einfache Seife.[3] Zu den mangelnden Behandlungsmöglichkeiten kommen dadurch Epidemien und gegenseitige Ansteckungen. Hunderte sterben monatlich aufgrund dieser Bedingungen, für die anderen wird der Klinikaufenthalt zur endlosen Qual.
Auch Amnesty International (AI) brachte zum Jahrestag einen Bericht über das von Bush gepriesene „Leben in einem freien Land“ heraus. Die Menschenrechtsorganisation überschrieb ihn mit: „Ein Jahr danach – die Menschrechtssituation ist weiterhin entsetzlich.“ Sie kritisiert u.a. die unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt, willkürliche Gefangennahmen und fürchterliche Haftbedingungen bis hin zur Folter. Jeden Tag, so der Bericht, sähen sich die Iraker der Bedrohung ihres Lebens ausgesetzt, der ständigen Gewalt durch Besatzungsmacht, bewaffnete Gruppen und Gewaltkriminalität, insbesondere gegen Frauen. Es werden zwar auch einige positive Entwicklungen genannt, wie die größere Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die sich in der Entstehung Dutzender Parteien und NGOs und mehr als 80 Zeitungen ausdrückt. Doch gelten diese Freiheiten, wie das häufige restriktive Vorgehen gegen unbequeme Medien zeigt, nur bedingt. Vor allem aber wiege dies wenig, so AI, angesichts der mangelnden Sicherheit und den Konsequenzen einer zerstörten Infrastruktur.
Trotz dieser alarmierenden Berichte, wird die Besatzung auch von den Staaten nicht in Frage gestellt, die den Irak-Krieg als ungerechtfertig kritisiert hatten. Kritisiert wird im wesentlichen nur die miserable Durchführung und das „Fehlen konkreter Pläne“ der Bush-Administration für die Nachkriegszeit.
Die ursprünglichen Nachkriegspläne Washingtons
Der Eindruck, die US-Truppen wären ohne ausgearbeiteter Pläne für die Zeit danach einmarschiert, drängt sich zwar auf, ist aber nicht richtig. Wenn diese auch offensichtlich sehr hemdsärmelig und ungeschickt umgesetzt wurden, so waren sie von langer Hand vorbereitet worden.
Die aktuelle Misere im Irak ist überwiegend die logische Konsequenz der im Vorfeld ausgearbeiteten US-Strategie für den Irak, die zusammengefasst folgendes vorsahen: (a) völlige Auflösung des alten Staates und Umwandlung in einen föderal gegliederten, entmilitarisierten Bundesstaat mit einer möglichst schwachen Zentralregierung, (b) dauerhafte Stationierung einer großen Streitmacht im Irak und damit im Zentrum der arabischen Welt, (c) Umwandlung der irakischen Wirtschaft in ein radikal neoliberales Modell einer freien Marktwirtschaft und schließlich (d) Etablierung einer pro-amerikanischen Regierung unter Vormundschaft der USA.
Das unmittelbare Kriegsziel war der Sturz der irakischen Regierung gewesen. Dabei ging es aber nicht um eine bloße Übernahme der Macht. Im Stil einer klassischen Eroberung sollte die alte Staatsführung physisch ausgeschaltet und der bestehende Staat als solcher weitgehend aufgelöst werden. In diesem Zusammenhang müssen die Plünderungen und systematische Brandschatzungen nach dem Zusammenbruch des alten Regimes gesehen werden, die von den Invasoren nicht behindert, sondern vielen Berichten zufolge sogar gefördert wurden. Nur das Ölministerium und die Anlagen der irakischen Ölindustrie wurden geschützt, während ein großer Teil des kulturellen Erbes und die meisten staatlichen Einrichtungen den Zerstörungen zum Opfer fielen.[4]
Diese systematischen Zerstörungen machten den Weg frei für eine völlige Neuordnung des Irak gemäß US-amerikanischen Vorstellungen und Interessen. Armee und Sicherheitskräfte wurden aufgelöst und die meisten der etwa 30.000 Funktionäre aus den staatlichen Stellen entlassen. Über eine viertel Million Iraker wurden so erwerbslos. [5] Mit der vollständigen Auflösung der ehemals staatstragenden, stabilisierenden Institutionen brach jegliche Ordnung zusammen. Ein schneller Wiederaufbau des Landes war unter diesen Bedingungen nicht zu erwarten.
Neuordnungskonzepte
Als es sich die Invasoren nach dem Einmarsch in Saddam Husseins Regierungssitz am Tigris gemütlich machten, geschah dies nicht mit der Absicht, diesen in absehbarer Zeit wieder zu verlassen. Die USA wollten so lange als unmittelbare Besatzungsmacht fungieren, bis die gesellschaftlichen Bedingungen für eine Machtübergabe an eine irakische Regierung reif sein würden. Allgemeine Wahlen zu einer irakischen Regierung standen dabei in der Planung ganz hinten, machte man sich doch keine Illusionen über die Möglichkeiten unter den aktuellen Bedingungen eine Mehrheit für eine pro-amerikanische Regierung zu bekommen. Die Iraker sind noch nicht reif für die Demokratie, so die im Westen weithin akzeptierte Begründung.
Auch in der US-Regierung hatte wohl niemand ernsthaft daran geglaubt, die Invasoren würden als Befreier begrüßt. Die US-Strategen rechneten aber damit, dass nach den langen Jahren der „Baath“-Herrschaft und den Entbehrungen durch Krieg und Embargo der größte Teil der Bevölkerung passiv bleiben würde. Sie hatten die Illusion, dass der Hass der Iraker auf Saddam Hussein so groß sei, dass sie eine politische und militärische Besatzung für eine längere Zeit tolerieren würden. Sie gingen davon aus, das es genügen würde, den Machtapparat des Baath-Regimes zu zerschlagen, um organisierten Widerstand für längere Zeit auszuschalten.
„Demokratiepromotion“
Um den Mangel an pro-amerikanischen Kräften im eroberten Landes zu beheben, sollte zunächst das bereits in Ländern wie Jugoslawien oder Haiti erprobte Programm zur „Demokratieförderung“ angewandt werden. Solche „Demokratieförderungsprogramme“ gehören zur generellen außenpolitischen Strategie der USA zur Erweiterung ihrer weltweiten Hegemonie. Sie sind auch Teil eines größeren, von Washington 2003 angekündigten „Vier Schritte“-Plans für den gesamten Mittleren Osten, wofür der besetzte Irak als Ausgangspunkt dienen soll: 1. Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts. 2. „Partnerschaft des Mittleren Ostens“ zum Aufbau einer „Zivilgesellschaft“ in der Region. 3. Verstärkte Integration der Region in die Weltwirtschaft durch Liberalisierung und Strukturanpassungen. 4. Verhinderung der Entstehung regionaler militärischer Herausforderungen für die US-amerikanische Vorherrschaft im Mittleren Osten.[6]
Für das politische System, das sie im Irak einrichten wollen, müssen die USA zum eine neoliberal orientierte Führungsschicht heranzüchten, die Washingtons Ziel, den Irak auf abhängige Weise in das globale kapitalistische System zu integrieren, aus eigenem wirtschaftlichen Interesse teilt und den Staat unter der Vormundschaft der USA verwalten kann. Zweitens müssen die Kräfte isoliert werden, die sich den US-Plänen aktiv widersetzen und drittens eine politisch-ideologische Hegemonie der pro-westlichen Eliten über die breite Masse der Bevölkerung etabliert werden, um zu verhindern, dass sie sich unabhängig politisiert und organisiert.
Verlässliche Bündnispartner hoffen sie unter den Teilen der Bevölkerung zu finden, die sie unmittelbar an den neuen Verhältnissen profitieren lassen. Dazu gehören irakische Unternehmer die für US-Firmen arbeiten dürfen, aber auch Arbeiter und Angestellte in relativ gut bezahlten Stellungen bei der Besatzungsmacht oder ausländischen Unternehmen.
So verheerend die Verhältnisse für die Masse der Bevölkerung ist, so gibt es doch auch viele Kriegsgewinnler. Vor allem findige risikofreudige Händler aus den Nachbarländern sowie Exiliraker mit Kapital und Beziehungen machen glänzende Geschäfte. Würde sich die Lage beruhigen, könnten sich einer bedeutenderen Zahl irakischer Unternehmer aus dem In- und Ausland profitable Möglichkeiten erschließen. Kein Zufall, dass vor allem exilirakische Geschäftsleute sich sehr gut mit den wirtschaftlichen Plänen der USA und deren fortgesetzten militärische Präsenz im Lande anfreunden können und die irakische Widerstandsbewegung als unmittelbare Bedrohung ihrer Interessen im Irak ansehen. Für die ideologische Arbeit sollen die prowestlichen Kräfte in vielfältigen Organisationen zusammengefasst werden und politisch in die Bevölkerung hineinwirken.
Zur Umsetzung solcher Programme stehen den USA eine große Zahl erfahrener staatlicher Institutionen, wie die US-Agentur für internationale Entwicklung (USAID) und nichtstaatlicher Organisationen, wie die National Endowment for Democracy (NED), sowie eine Vielzahl von Gruppen in Drittländern zur Verfügung.[7] Die US-Regierung hat letztes Jahr bereits 458 Millionen US-Dollar für diese Arbeit bereitgestellt, wovon ein guter Teil an zahlreiche, meist neue, irakische Organisationen vor Ort fließen soll: politische Parteien, Gewerkschaften, Berufsvereinigungen, Medienprojekte, Studentengruppen, Bauernverbände usw.. Parallel hierzu betreibt das Pentagon noch eigene Programme, wie das mit 200 Millionen US-Dollar gesponserte „Irakische Medien Netzwerk“.
Neoliberales Modell einer freien Markwirtschaft
Diese auf den gesellschaftlichen Überbau zielende Arbeit geht selbstverständlich Hand in Hand mit der für die USA noch weit wichtigeren ökonomischen Umgestaltung des Iraks. Hierfür waren vor dem Krieg die Pläne am detailliertesten ausgearbeitet worden, auf deren Basis sollten schon früh die wesentlichen Weichen für die irakische Zukunft gestellt werden. In einem dafür erarbeiten hundertseitigen Papier des US State Department, mit dem Titel „Wandlung der irakischen Ökonomie vom Wiederaufbau zu nachhaltigem Wachstum“ wird beispielsweise ausführlich beschrieben, wie die irakischen Gesetze umzuschreiben sind, inklusive genauer Formulierungen der zukünftigen Steuergesetze und Copyright-Bestimmungen oder wie der Banksektor übernommen werden soll. Sogar an den Entwurf eines Antrags des Iraks auf Mitgliedschaft in der WTO wurde gedacht.[8]
Mit der Umsetzung dieser Pläne wurde unmittelbar nach der Invasion begonnen. Es geht dabei nicht nur um die Aneignung der Ölressourcen, sondern auch um Gesundheitsdienste, Wasser, Elektrizität, Transport, Erziehung und Telekommunikation. Alle staatlichen Betriebe und Einrichtungen, einschließlich die der Grundversorgung, sollen privatisiert, d.h. an ausländische Konzerne übergeben werden.
Eine der ersten Maßnahmen der amerikanischen Zivilverwaltung bestand darin, alle Steuern und Zölle abzuschaffen. Durch diese Erleichterungen begünstigt, begann schon unmittelbar nach Kriegsende eine riesige Warenflut in das ausgehungerte, vom internationalen Handelsverkehr bis dahin weitgehend abgeschnittene Land zu strömen. Der Chef der Besatzungsbehörde, Paul Bremer, hatte im Juni auf dem World Economic Forum die Grundzüge seiner „Schocktherapie” erläutert: totale wirtschaftliche Öffnung des Landes und Streichung aller staatlichen Subventionen. Durch die Öffnung der Grenzen des Iraks soll der Konkurrenzdruck erhöht und so – in Verbindung mit Subventionsstreichungen – die irakischen Firmen zu Produktivitätssteigerungen gezwungen werden.[9] Dem internationalen Wettbewerb nun schutzlos ausgesetzt, bedeutete dies für die meisten der durch das Embargo ohnehin stark angeschlagenen, subventionsabhängige Unternehmen den endgültige Ruin. Der Abbau von Subventionen zielt zudem auf die Sozialprogramme des alten Regimes, das mit Hilfe der Öl-Einnahmen die Preise für Basisgüter und Dienstleistungen gesenkt hatte.[10]
Ein „kapitalistischen Traum“ schwärmte hingegen das britische Wirtschaftsblatt The Economist im September 2003 über die von der Besatzungsbehörde aufgebauten neuen Wirtschaftsstrukturen, [11] nachdem der US-Statthalter Bremer das irakische Wirtschaftssystem durch eine Reihe von Direktiven von Grund auf umgekrempelt hatte: Die Steuern wurden auf maximal 15 Prozent begrenzt, die Einfuhrzölle abgeschafft, der Geld- und Finanzmarkt umgemodelt und knapp 200 Unternehmen zur Privatisierung freigegeben. Ausgenommen davon wurde vorerst nur die Öl- und Gaswirtschaft, die weiterhin einem US-geführten Fonds unterstellt bleibt. Nach dem drei Jahrzehnte lang die wichtigsten wirtschaftlichen Bereiche nationalisiert waren, wurde das Land nun in eine einzige große Freihandelszone verwandelt werden.
Die einschneidenste Maßnahme war die faktische Aufgabe jeglicher Regulierung ausländischer Investitionen. Mit dem Erlass Nr. 39 vom 19. September 2003, der mit einem Schlag alle bisherigen Investitionsgesetze außer Kraft setzte, wurde die gesamte Wirtschaft des Landes, mit Ausnahme des Rohstoffsektors, für ausländische Unternehmen geöffnet. Wer ein Geschäft im Land etablieren will, braucht seither weder behördliche Genehmigungen noch örtliche Partner. Auch entfällt die Verpflichtung, Gewinne im Land zu reinvestieren. Der Erlass, der weder Kontrollmechanismen noch eine Aufsichtsbehörde für ausländische Investitionen vorsieht, gewährt ausländischen Banken und Konzernen Freiheiten, wie sie in kaum einem anderem Land anzutreffen sind. Die ungehinderte Rückführung von im Land erwirtschafteten Gewinnen übertrifft bei weitem noch die Liberalisierungsempfehlungen der Weltbank. Einheimische Wirtschaftsexperten, wie der Chef der Commercial Bank of Iraq, Mohammad Dragh, lehnten das gesamte Programm vehement ab. Doch die Iraker wurden nicht gefragt. [12]
Völkerrechtlich gesehen, stellt sich die Besatzungsbehörde mit ihren Maßnahmen allerdings außerhalb des geltenden internationalen Rechts.[13] Dieses schreibt Besatzungsmächten verbindlich vor, die vorhandenen Gesetze und gesellschaftlichen Strukturen zu respektieren und die Wirtschaft treuhändlerisch zu verwalten, bis eine neue souveräne Regierung im Amt ist.[14]
Innerhalb eines Jahres wurden von der Besatzungsbehörde viele Milliarden Dollar für „Wiederaufbauprogramme“ im Irak ausgegeben. In erster Linie handelte es sich dabei um irakisches Geld, insbesondere die restlichen Guthaben aus dem Oil-for-Food-Programm, beschlagnahmtes irakisches Vermögen und Einnahmen aus Ölverkäufen. Sie verschwanden zum großen Teil in den Taschen von US-Konzernen ohne nennenswerte Fortschritte für die Iraker zu bringen.
Zum Schutz der Geschäftstätigkeiten ihrer Unternehmen wurden auch in den USA zahlreiche Gesetze und Verordnungen verabschiedet. So unterzeichnete Bush am 22. Mai 2003 den Erlass 13303, der die gesamte Erdölindustrie des Irak gegen „alle Verordnungen, Urteile, Erlässe, Verfügungen, Beschlagnahmungen und jede sonstige juristische Maßnahme“ schützt. Die Ölindustrie steht damit über dem Gesetz, dem US-amerikanischen ebenso wie dem internationalen.
Verlierer ist die breite Masse der Iraker. Die schockartige Einführung der Marktwirtschaft hat die hohe Arbeitslosigkeit noch mal in die Höhe schnellen lassen; mindestens zwei Drittel der Iraker sind davon betroffen und überleben durch die Sozialprogramme, die die frühere Regierung in Zusammenarbeit mit der UNO eingerichtet hatte.
„Selbst wenn morgen der letzte US-Soldat aus dem Golf abgezogen würde und eine souveräne Regierung an die Macht käme,“ so Naomi Klein, „bliebe der Irak besetzt: durch Gesetze, die im Interesse eines anderen Landes gemacht wurden, durch ausländische Konzerne, die entscheidende Dienstleistungen des Landes kontrollieren.“ [15]
Aufbau einer irakischen Fassade für die US-Herrschaft
Um vor das Besatzungsregime sukzessive eine irakische Fassade zu stellen, begannen die USA im Sommer 2003 mit dem Aufbau neuer irakischer Polizeieinheiten und einer neuen Armee. Im Juli wurde ein 25-köpfiger provisorischen „Regierenden Rat“ als höchste irakische Autorität eingesetzt. Seine Macht war äußerst beschränkt und seine Lebensdauer zunächst unbestimmt. Dieser Rat setzte auf Anweisung der „Coalition Provisional Authority“ (CPA) genannten Besatzungsbehörde, ein provisorisches Kabinett mit 25 Ministern ein, denen jeweils ein US-amerikanischer Vertreter der CPA als „Berater“ vorstand. Von einer baldigen Übertragung echter Regierungsgewalt war zu diesem Zeitpunkt keine Rede.
Die Mitglieder des Rates hatte US-Statthalter Paul Bremer handverlesen, Wert wurde dabei auf die Einhaltung des ethnischen und konfessionellen Proporz gelegt. Durch die absurden Auswahlkriterien kam der Vertreter der irakischen KP als Schiite und Adnan Pachachi, Außenminister vor der Machtübernahme der Baath-Partei, als Sunnite in den Rat.[16]
Es dominierten im Rat naturgemäß die Kräfte, die bereits vor dem Krieg mit den USA verbündet waren oder den angelsächsischen Überfall zwar nicht öffentlich unterstützt, aber wie die irakische KP wohlwollend begrüßt haben.
Da die Besetzung aller Gremien nach ethnisch-religiösem Proporz die Trennungslinien zwischen den Bevölkerungsgruppen zu verschärfen drohte, stieß das Vorgehen auf heftige Kritik. Die International Crisis Group (ICG), eine internationale, transatlantisch orientierte Denkfabrik, befürchtete, dass die „Politisierung religiöser und ethnischer Risse“ die territoriale Integrität Iraks und seinen säkularen Charakter gefährde.[17] Die US-Strategen sahen aber gerade darin die Chance national orientierte Kräfte zu schwächen.
Das Scheitern von „Plan A“
Der „Regierende Rat“ wurde vom überwiegenden Teil der Bevölkerung, die in ihm ein ausschließliches Werkzeug der Besatzungsmacht sahen, nie anerkannt. Seine Mitglieder galten genauso als Kollaborateure, wie die Iraker, die sich von der Besatzungsbehörde für die Verwaltung, die neue Polizei oder Armee rekrutieren ließen. Durch die arrogante und brutale Verhalten der Besatzungstruppen schlug die eher passive Ablehnung der Besatzung immer mehr in offene Feindschaft über. Selbst ein Großteil der Geschäftsleute, die nach den Vorstellungen Washingtons als neuer Mittelstand das Rückrat eines neuen Irak bilden sollen, wurde verprellt, da sie von den Wiederaufbauprojekten weitgehend ausgeschlossen blieben.
Die rundum fehlende Akzeptanz der „Befreier” wurde im Oktober 2003 durch Umfragen von Gallup bestätigt. Nur 5% der Befragten glauben, dass die USA einmarschierten, um „das irakische Volk zu unterstützen” und nur 1%, dass sie Demokratie einführen wollen.[18] Die CIA kam zum selben Schluss und warnte vor einem Scheitern der gesamten Irak-Mission. In ihrem Anfang November an die Presse lancierten Geheimbericht gehen sie davon aus, dass der Widerstand an Stärke ständig zunehme und in der Bevölkerung weiter Fuß fasse. Bis zu 50.000 Irakerinnen und Iraker – und keinesfalls nur Anhänger des alten Regimes – waren ihrer Einschätzung nach, zu diesem Zeitpunkt im Widerstand aktiv.[19]
Die Ergebnisse der Gallup-Umfrage und der CIA-Recherchen kamen an die Öffentlichkeit als die Situation vor Ort zusehends eskalierte. Im Oktober hatten sich die täglichen Angriffe auf Besatzungstruppen schon auf über 20 am Tag gesteigert. Im November, während des islamischen Fastenmonats Ramadan, nahmen die Angriffe noch weiter zu, die offizielle Zahl gefallener US-Soldaten verdoppelte sich von 40 auf 82. Bei einem Abschuss eines Kamphubschraubers, der die US-Öffentlichkeit besonders erschütterte, starben allein 16 GIs.
Dadurch geriet die US-Regierung zunehmend auch innenpolitisch in Bedrängnis. Die Zustimmung zum Kriegskurs des Präsidenten sank und mit ihr auch seine Popularität.
Die USA hatten es bis dahin recht geschickt verstanden, einzelne Terroranschläge auf internationale Einrichtungen und Zivilisten, sowie Gerüchte über eine große Zahl ausländischer islamistischer Kämpfer auszunutzen, um ihren Kampf gegen die Guerilla in den Zusammenhang mit dem „Kampf gegen den Terror“ zu stellen. Die sichtbar werdende Breite des Widerstands entlarvte dies zunehmend als Propaganda.
Nach wie vor blieb die Unterstützung anderer Länder aufgrund der mangelnden Legitimation der Besatzung und der fehlenden Bereitschaft Washingtons, ihnen Mitsprache einzuräumen, gering. Die USA erhielten auf ihre Bitten nach weiterer Truppenunterstützung überwiegend Absagen, eine Geberkonferenz Ende Oktober in Madrid wurde zum Schlag ins Wasser. Die Weltbank hatte einen Bedarf von rund 56 Milliarden Dollar errechnet, 20 Milliarden hatten die USA selbst schon zugesagt. Darüber hinaus erhielten sie aber nur Zusagen in Höhe von 13 Mrd. US-Dollar, der größte Teil davon von IWF und Weltbank.
Auch der Ölreichtum des Iraks zahlte sich für die neuen Herren noch nicht aus, die Ölexporte bringen aufgrund der anhaltenden Sabotage nur Bruchteile der erhofften Einnahmen. Die Umwandlung der irakischen Wirtschaft in den erhofften „kapitalistischen Traum“ stieß ebenfalls auf massive Hindernisse, sodass, wie die Washington Post Ende Dezember 2003 vermeldete, die Besatzungsbehörde eine ganze Reihe bereits fest geplanter Maßnahmen verschieben musste. Insbesondere die Privatisierung staatlicher Unternehmen soll nun wesentlich behutsamer angegangen werden. In den betroffenen Betrieben organisierte sich heftiger Widerstand dagegen und angesichts einer Arbeitslosigkeit von 60 bis 70 Prozent, die durch die zu erwartenden Entlassungen weiter steigen würde, befürchten die USA, dass sich viele dem bewaffneten Widerstand anschließen könnten. Eine Warnung war diesbezüglich die Ermordung des Direktors des (noch) staatlichen Unternehmens für Speiseöl. Als dieser sich weigerte einige Dutzend Arbeiter wieder einzustellen, wurde er auf dem Weg zur Arbeit erschossen. Sein Tod habe eine Panikwelle durch das Industrieministerium gesandt, so die Washington Post, „plötzlich wollte niemand mehr über Privatisierungen reden.“ [20]
Nicht nur die mangelnde Sicherheit, auch die fehlende Legitimität für die Maßnahmen der Besatzungsbehörde ließ Konzerne zögern, im Irak zu investieren. Hätte doch eine souveräne irakische Regierung jederzeit das Recht, die Verordnungen der CPA und Verträge mit ausländischen Konzernen zu annullieren.
Der ursprüngliche Plan, die unmittelbare Herrschaft so lange auszuüben, bis die Bedingungen für den Übergang zur Herrschaft einer irakischen Regierung vollständig geschaffen sind, die die Wahrung der US-Interessen garantieren würde, war offenbar nicht mehr haltbar. „Die Iraker würden nicht tolerieren, dass wir so lange die Macht behalten“ hieß es nun in Washington.[21]
Plan B – das „Novemberabkommen“
In dieser Situation wurde Paul Bremer Mitte November zu einer Krisensituation nach Washington gerufen, um einen Ausweg aus dem Dilemma zu suchen. Mehr Bündnispartner im Irak und mehr internationale Unterstützung war nicht zu erreichen, ohne ein gewisses Maß an Kontrolle aufzugeben, etwas wogegen sich vor allem die neokonservativen Hardliner bis dahin vehement gestemmt haben. Doch nun verkündete Paul Bremer kurz nach seiner Rückkehr, dass am 30. Juni 2004 die unmittelbare Regierungsgewalt an eine provisorische Regierung übergehen und die Besatzung damit formell enden würde. Im sogenannten „15. November Abkommen“ mit dem „Regierenden Rat“ wurde ein Zeitplan festgelegt, der zunächst die Verabschiedung einer Übergangsverfassung und anschließend die Bildung der Übergangsregierung in einem komplizierten Auswahlverfahren vorsah.
Ein Zeitplan für den Abzug der Besatzungstruppen wurde nicht vorgelegt, Präsident Bush kündigte stattdessen an, dass die Besatzungstruppen auf unbestimmte Zeit im Irak bleiben werden – dann auf Einladung der irakischen Regierung. Ein entsprechendes Abkommen über die weitere Stationierung ausländischer Truppen sollte noch vor dem 30. Juni mit dem „Regierenden Rat“ abgeschlossen werden. Von einer Wiederherstellung irakischer Souveränität konnte schon von daher keine Rede sein.
Der Zeitpunkt der sogenannten Machtübertragung wurde so gewählt, um Bush zu Beginn der heißen Phase des Wahlkampfes im Sommer Entlastung zu verschaffen.
Forderung nach allgemeinen Wahlen
Ursprünglich war vorgesehen gewesen, die Übergangsregierung durch eine nationale Versammlung ernennen zu lassen, deren Vertreter durch lokale Ausschüsse bestimmt werden sollten. Das Vorhaben, durch ein aufwendiges aber gut zu kontrollierendes Verfahren eine gewisse Repräsentivität vorzutäuschen, scheiterte am entschiedenen Widerstand auch gemäßigter irakischer Kreise, die dieser „Ernennokratie“, wie es Naomi Klein nannte[22], nachdrücklich die Forderung nach freien Wahlen entgegenstellte. Besonders machte der Besatzungsmacht dabei die ruhige aber hartnäckige Opposition des Großayatollahs Ali Al Sistanis, eine der angesehensten Persönlichkeiten im Land und faktisches Oberhaupt der schiitischen Glaubensgemeinschaft zu schaffen. Bis dahin hatte der von Al Sistani geführte, sehr einflussreiche schiitischer Klerus trotz seiner Ablehnung der Besatzung, im großen und ganzen eine abwartende Haltung eingenommen. Die konservativen Geistlichen haben selbstverständliche kein Interesse an einem wachsenden politischen Einfluss der radikalen Kräfte, die den Widerstand stellten. Im Januar mobilisierten er und seine Anhänger aber fast aus dem Stand heraus über 100.000 Irakerinnen und Iraker zu einer Demonstration in Bagdad für freie Wahlen. Es war die größte politische Manifestation seit Beginn der Besatzung.[23]
Wahlen waren aber das letzte, was die USA zu diesem Zeitpunkt brauchen konnten. Das zentrale Dilemma sei, so der Direktor des „Democracy Project“ der Stiftung „Carnegie Endowment for International Peace“, Tom Carothers, „dass die mächtigsten, und populärsten Bewegungen“ gerade die seien, die für die USA „zu tiefst unbequem sind.“ [24] Statthalter Bremer möchte daher Wahlen „auf eine Weise durchführen, die unsere Belange berücksichtigt.“ Er befürchte, dass in einer Situation wie dieser, die Leute, die die US-Pläne ablehnen, wahrscheinlich gewinnen.[25] Es bliebe einfach nicht genügend Zeit, die „Moderaten“ zu organisieren, so deutete ein anderes führendes Mitglied der CPA die Arbeit an, die noch zu leisten ist.[26]
Widerstand gegen Wahlen kam verständlicher Weise auch vom „Regierenden Rat“, dessen meisten Mitglieder bei einer einigermaßen fairen Wahl wohl von der politischen Bildfläche verschwinden würden.
Für landesweite Wahlen fehle einfach die Zeit, so das wichtigste Argument von US-Vertretern und IGC-Mitgliedern. Sie könnten nicht in weniger als zwei Jahren abgehalten werden, da es u.a. keine ausreichenden Zensusdaten für ein Wählerregister geben würde.
Diese Argumentation wurde von irakischen Beamte und UN-Mitarbeiter, die mit den Verhältnissen vor Ort vertraut sind, zurückgewiesen, die darin überein stimmen, dass es mit der bereits existierenden Datenbank für das Lebensmittelverteilungssystem des Öl-für-Nahrung-Programms der UNO, in der nahezu alle Iraker erfasst sind, recht einfach wäre, ein Wählerregister aufzubauen.[27] Carina Perelli, Direktorin der UN-Wahl-Unterstützungsabteilung, hielt nach einem Besuch des Landes, Wahlen innerhalb von sechs Monaten für machbar. Bei rechtzeitigem Beginn der Vorbereitungen wären Wahlen zur Interimsregierung also durchaus bis zum 30. Juni durchführbar gewesen. Die meisten Iraker hätten dafür auch eine zeitliche Verschiebung akzeptiert. [28]
Auch die mangelnde Sicherheit wurde gegen Wahlen ins Feld geführt. Solange die Guerillaangriffe andauern, könnten keine Wahlen stattfinden. Doch spricht nichts dafür, dass sich die Sicherheitsbedingungen ändern werden, solange die Besatzungstruppen im Land stehen. Stünden die Wahlen dagegen am Anfang eines Übergangprozesses, der tatsächlich zum Ende der Besatzung und dem Abzug der fremden Truppen führen würde, so wäre nach Ansicht vieler führender irakischen Persönlichkeiten die von einem UN-Team befragt worden waren, die Frage der Sicherheit kein größeres Problem, da eine solche Lösung von allen patriotischen Irakern unterstützt würde. [29]
Das UN-Team, das unter Leitung des Sondergesandten Kofi Annans, Lakthar Brahimi, vor Ort die Möglichkeiten von Wahlen prüfen sollte, kam in dieser Frage dennoch den USA entgegen: Indem es die Meßlatte für erfolgreiche Wahlen sehr hoch hing, kam es zum Schluss, dass Wahlen zur Interimsregierung nicht durchführbar seien. Allerdings veranschlagten das Team für den benötigten Zeitraum nur 8 Monate und nicht zwei Jahren wie die US-Regierung, Wahlen bis Ende des Jahres hielt es daher prinzipiell für machbar.
Übergangsverfassung
Ein weiteres wesentliches Element in der US-Strategie stellt die Interimsverfassung dar, die am 8. März vom „Regierenden Rat“ unterzeichnet wurde. Dieses von US-Juristen entworfene Verfassung soll dazu beitragen, den US-amerikanische Einfluss auch im zivilen Bereich langfristig zu verankern. Sie hat nicht den Charakter eines Provisoriums, sondern ist schon vollständig ausgearbeitet und als Vorlage für die permanente Verfassung gedacht. Es dürfte auch für eine spätere verfassungsgebende Versammlung, so das Kalkül, nicht einfach sein, sie in wesentlichen Punkten zu verändern – ungeachtet ihrer Zusammensetzung.
Von der westlichen Presse wurde die neue Verfassung als demokratischer Meilenstein gefeiert. Dabei war schon ihr Zustandekommen im engen Rahmen des „Regierenden Rates“ und unter Federführung der USA, alles andere als demokratisch. Sie enthält zudem ihre Machtlosigkeit bereits in sich selbst festgeschrieben, indem sie bestimmt, dass alle Gesetze und Verordnungen der Besatzungsbehörde in Kraft bleiben werden.
Die ausführlichen Formulierungen bürgerlicher Rechte können sich in der Tat sehen lassen, doch im sozialen Bereich fällt die neue Verfassung hinter bestehendes Recht zurück. Enthielt die alte Verfassung ein Recht auf Arbeit und Bildung, die Verantwortung des Staates für die Gesundheitsversorgung und die Verpflichtung des Staates zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen,[30] so ist dies nun alles reduziert auf die Verpflichtung der Regierung, für das Wohl der Bevölkerung soweit zu sorgen, wie es „die Ressourcen zulassen“ und „unter Berücksichtigung anderer vitaler Pflichten“[31]. Die neue Verfassung beseitigt erwartungsgemäß auch alle Schranken, die einer wirtschaftlichen Übernahme des Landes durch ausländisches Kapital entgegenstanden.
Völlig unklar ist das Verhältnis zwischen religiösen Gesetzen und individuellen Rechten, durch den expliziten Verweis der Verfassung auf den Islam als „eine Quelle“ der Rechtsprechung und der Bestimmung in der Verfassung, dass kein Gesetz im Gegensatz zu islamischen Recht stehen darf. Die Formulierung war ein Kompromiss zwischen den Kräften im Umfeld des „Regierenden Rates“, die die Scharia zur Basis der Rechtsprechung machen wollten und denen, die den säkularen Charakter des alten irakischen Staates bewahren wollten.
Insbesondere die Frauen sehen ihre Rechte auch durch die Kompromissformel bedroht. Schon im Dezember hatte der IGC unter Berufung auf islamisches Recht beschlossen, das bisherige Familienstandsrecht aufzuheben und stattdessen die traditionellen Gesetze der jeweiligen Religion wieder in Kraft zusetzen. Das bisher geltende irakische Familienstandsrecht stellt die Frauen in den wesentlichen Punkten, wie Erbe, Heirat, Scheidung und Sorgerecht dem Mann gleich und gehört damit zu den fortschrittlichsten in den islamischen Ländern.[32]
Die überwiegende Mehrheit der Iraker war von der Diskussion vollständig ausgeschlossen. Über den Inhalt konnten sie sich erst informieren, als das Papier aus dem englischen ins arabische übersetzt worden war. Viele machten sich die Mühe nicht, da sie die Verfassung, als von der Besatzungsmacht aufgezwungenes Machwerk, von vorneherein ablehnen.
Auf Ablehnung stößt vor allem das vorgesehene, sehr weitgefasste, föderale System, da sie nach Ansicht vieler Iraker auf die Zersplitterung der irakischen Gesellschaft und eine Schwächung des Staates zielt. Es wird als Fortsetzung der bisherigen Politik der USA, einer strikten Unterteilung der Iraker in Schiiten, Sunniten, Kurden, Turkmenen usw., betrachtet, die der irakischen Gesellschaft bis dahin fremd war.
Die Verfassung gewährt indirekt den beiden Kurdenparteien, d.h. den engsten Verbündeten der USA, Veto-Rechte bei der Verabschiedung einer endgültigen Verfassung ein. Dieser Passus war bis zuletzt auch im Regierenden Rat umstritten und hatte zu Verzögerungen geführt.
Auch Ayatollah Al Sistani machte deutlich, dass der schiitische Klerus ein von der Besatzungsmacht erlassenes Gesetzeswerk auf keinen Fall als irakische Verfassung anerkennen werde. Es sei ein Hindernis auf dem Weg zu einer permanenten Verfassung, die die Einheit des Iraks und die Rechte seiner Bevölkerung in seiner ganzen ethnischen und konfessionellen Verschiedenheit schütze.[33] Er verweigerte dem UN-Sondergesandten Brahimi jegliches Gespräch, solange die UNO die Übergangsverfassung als Basis für den Übergangsprozess anerkenne.
Novemberplan in Trümmern
Zum Widerstand auf politischer Ebene kam der weiter wachsende bewaffnete Widerstand. Weder die Gefangennahme Saddam Husseins im Dezember, noch die Ankündigung der Herstellung einer Teilsouveränität hatte ihn, wie erhofft zu dämpfen vermocht.
Unter tatkräftiger Mithilfe der Besatzungsmacht erreichte er im März und April eine neue Qualität. Die erste Zuspitzung fand in Falluja, einer überwiegend sunnitischen Stadt, etwa 50 km westlich von Bagdad, statt, wo US-Truppen Anfang April eine großangelegte Strafaktion begannen, um sich für die Demütigung durch die Tötung und Leichenschändung von vier US-amerikanischen Söldnern zu rächen. Die Stadt wurde von der Außenwelt abgeriegelt und US-Einheiten versuchten in die Stadt einzudringen. Sie stießen aber auf erbitterten Widerstand durch lokale Guerillaeinheiten und städtische Milizen und eskalierten daraufhin ihre Angriffe auf die 300.000 Einwohner der Stadt vom Boden und aus der Luft. Bis zu einem Waffenstillstand am Ostersonntag war die Zahl der irakischen Opfer auf über 600 gestiegen, über 1200 waren verletzt. Ihr ursprüngliches Ziel erreichten die US-Armee allerdings nicht und die belagerte Stadt wurde zum Symbol des Widerstands.
Parallel hierzu begann die Besatzungsbehörde mit provokativen Maßnahmen gegen die vom radikalen schiitischen Geistlichen Muktadar al Sadr geführte Bewegung. Al Sadr, Sohn des angesehenen Religionsführer Ayatollah Sadeq as-Sadr, der 1999 hingerichtet wurde, hat vor allem unter den ärmeren sunnitischen Stadtteilen von Bagdad und anderer Städte des Süden viele Anhänger. Al Sadr, der von Anfang an lautstark gegen die Besatzung wetterte, war den USA schon lange ein Dorn im Auge, sie scheuten sich aber gegen ihn vorzugehen. Zu groß war die Sorge dadurch die mehrheitlich noch passive schiitische Bevölkerung gegen sich aufzubringen. Nun schlossen sie seine Bagdader Zeitung und nahmen einen seiner engsten Vertrauten fest.
Die Proteste seiner Anhänger eskalierten Mitte April zu Kämpfen, denen sich weitere Iraker anschlossen und die sich in einer ganzen Reihe schiitischer Städte zu regelrechten Aufständen entwickelten. Bald hatten die Besatzungsmächte die Kontrolle in den südirakischen Städten Najaf, Kerbala, Nasirijah, Kufa, Kut, Diwanijah, sowie den Bagdader Stadtteilen Thawra, Shuala und Kadhimijah verloren.
Wenn es auch auf den ersten Blick reichlich unklug scheint, trotz der Probleme mit der Guerilla im mittleren Teil des Iraks, auch noch eine bewaffnete Auseinandersetzung in den schiitischen Städten des Südens zu provozieren, so steckte dahinter durchaus ein logisches Kalkül der Besatzungsmacht. Die radikalen Gegner sollten zu einem Zeitpunkt zum Kampf provoziert werden, zu dem sie noch nicht ausreichend vorbereitet sind, anstatt zuzusehen, wie sich immer weiter personell verstärken und ihre organisatorischen Strukturen stärken.
Ungeachtet der tief verwurzelten Ablehnung der Besatzung in der Bevölkerung, sind die Iraker in der Tat alles andere als gut vorbereitet für einen langen Befreiungskrieg. Es fehlt nach den vorangegangenen Kriegen und dem Embargo an Ressourcen und persönlichen Reserven für eine vorrausichtlich langandauernde Konfrontation mit der einzig verbliebenen Supermacht. Angesichts der Übermacht der USA und deren Unterstützung durch Japan und die Staaten der Europäischen Union, können die Iraker kaum auf internationale Unterstützung hoffen. Es fehlen zudem noch eine weithin akzeptierte politische Führung und politische Strukturen, durch die eine solche rasch entstehen könnte. Die brutale Besatzungspolitik führt zwar offensichtlich zu einem beträchtlichen Einigungsdruck, doch nach drei Jahrzehnten Herrschaft der Baath-Partei und Repressionen gegen konkurrierende politische Kräfte, sowie deren Zersplitterung, ist es selbstverständlich nicht einfach, einen Konsens zwischen den verschiedenen Kräften herzustellen.
Laut Fuad Tarfi, einem Sprecher Al Sadrs, hatten dessen Anhänger zunächst tatsächlich gezögert, zurückzuschießen. „Wir haben den Zeitpunkt des Aufstands nicht gewählt, das taten die Besatzungstruppen“ [34]
Diese hoffen nun, dass ihre Gegner ihr Pulver, d.h. ihre Abwehrraketen, Mörsergranaten usw. auf diese Weise frühzeitig verschießen. „Wenn wir uns nicht jetzt um diese Elemente und diese Individuen und diese Organisationen kümmern, werden diese Milizen an einem anderen Tag sich wieder erheben und es ist besser, wir befassen uns jetzt mit ihnen, als nach dem 30. Juni“, so Dan Senor der Sprecher der CPA. Ausgesprochenes Ziel der USA war zudem, einen demonstrativen Trennungsstrich zu ziehen und allen irakischen Kräften die Konsequenzen einer zu radikalen Opposition klar zu machen. Wer nicht bereit ist, sich innerhalb des engen angebotenen politischen Rahmens zu engagieren, so die Botschaft, riskiert wie Al Sadr als Vogelfreier gejagt zu werden.
Offensichtlich ging der Schuss aber stark nach hinten los, da sich große Teile der Bevölkerung in den umkämpften Städten hinter die Kämpfer stellte und die Heftigkeit und Breite des Aufstands dadurch die Besatzer offensichtlich ziemlich unvorbereitet traf. Militärisch war die Lage für sie vielerorts nicht mehr vollständig in den Griff zu bekommen.
Den Besatzungstruppen gelang es zwar in den meisten Städten, die Kontrolle wieder zu übernehmen. Die schwere politische Niederlage konnte dies nicht mehr entschärfen. Einmal entlarvten diese Volksaufstände im bisher ruhigeren schiitischen Süden gründlich die Propaganda von einem nur von Resten des alten Regimes und zugereisten Islamisten getragenen Widerstands. Zu offensichtlich war die Unterstützung breiter Teile der Bevölkerung und unübersehbar auch die gegenseitige Hilfe von Schiiten und Sunniten. In Falluja und später auch in Najaf sahen sich die US-Truppen zudem gezwungen, Verhandlungen mit Widerstandsgruppierungen zu führen. Damit erkannte die US Armee diese zum ersten Mal als ernstzunehmende politische Kraft an.
Vor die Wahl gestellt vor den Augen der Weltöffentlichkeit bei der Stürmung Fallujas ein noch größeres Blutbad anzurichten oder sich unverrichteter Dinge zurückzuziehen, wählten sie einen Kompromiss, der ihre Niederlage kaum verhüllt. Die Kontrolle der Stadt wurde einer neu aus Irakern gebildeten Falluja-Brigade unterstellt, deren Führung ehem. baathistische Offiziere der alten Armee übernahmen. Selbst den USA war klar, dass diese Brigade keine US-loyale Einheit sein würde und in ihre Reihe auch Kämpfer aufgenommen wurden, die zuvor die Stadt mit Waffen gegen die US-Truppen verteidigten. In der Stadt selbst wurde der Einzug dieser Brigade daher auch stürmisch wie ein Sieg gefeiert.[35] Mit Al Sadr in Najaf einigten sich die USA ebenfalls auf einen Kompromiss, der auf einen beiderseitigen Rückzug aus der Stadt hinausläuft.
In den Reihen der irakischen Verbündeten hatte es angesichts des brutalen Vorgehens der US-Truppen in Falluja heftig zu rumoren begonnen. Mehrere Mitglieder des „Regierenden Rats“ verurteilten die Strafaktion gegen eine gesamte Stadt, zwei traten sogar zurück. Das herbeibeorderte Bataillon der von den USA neu aufgestellten irakischen Armee weigerte sich in Richtung Falluja auszurücken und „Krieg gegen Iraker“ zu führen. Das US-Militär musste dem britischen Independent zufolge schließlich einräumen, dass im April 40 Prozent der irakischen Sicherheitskräfte den Gehorsam verweigerten oder desertierten und 10 Prozent die Seiten wechselten.
Die „Koalition der Willigen“ begann ebenfalls zu bröseln. Nach der Wahlniederlage von Bushs engem spanischen Verbündeten José María Aznar, kündigte die neue Regierung den Rückzug an, einige lateinamerikanische Länder, die Aznar zur Teilnahme genötigt hatte, folgten. Der polnische Premier äußerte gleichfalls Rückzugsabsichten, da er sich von der Bush-Administration über die Kriegsgründe getäuscht fühlte.
Auch in den USA nahmen die prinzipiellen Zweifel an einem Erfolg im Irak weiter zu. „Wir sind gescheitert“ so beispielsweise William Odom, US-General im Ruhestand und ehemaliger Direktor des größten US-Geheimdienstes, der National Security Agency (NSA) in einem Interview mit dem Wallstreet Journal. Wenn es im Januar 2005 tatsächlich allgemeine Wahlen geben würde, so Odom, könne „niemand, der pro-amerikanisch ist, Legitimität gewinnen.“[36]
Die USA steckten offensichtlich mit ihrem Übergangsplan fest. Eine breitere Unterstützung im Irak hatten sie damit nicht gewinnen können, die Opposition gegen ihre Politik war stattdessen auch politisch noch viel breiter und stärker geworden. Den 30. Juni als Termin für einen Wechsel der Machtausübung im Irak wollten die USA aus innen- wie außenpolitischen Gründen dennoch auf alle Fälle halten.
Hilfestellung durch die UNO – „Souveränität“ per Definition
Aus dieser verfahrenen Situation konnte den USA nur noch die UNO helfen. Wenn Legitimation im Irak selbst nicht zu bekommen war, konnte allein der UN-Stempel dem „Transformationsprojekt“ noch ein gewisses Maß an Anerkennung im Innern wie nach außen verschaffen. Der UN-Generalsekretär und sein Sondergesandter Lakthar Brahimi folgten dem Hilferuf umgehend. Brahimi hatte den USA ja bereits etwas Luft verschafft, indem er die Wahlen zur Interimsregierung für nicht durchführbar erklärte. Gleichzeitig hatte er aber Wahlen bis Ende des Jahres gefordert und sich gegen das in Washington mittlerweile ins Auge gefasste Verfahren gewandt, die Übergangsregierung durch Erweiterung des „Regierenden Rat“ zu bilden. Er schlug vor, diesen vollständig aufzulösen und eine Regierung aus nicht parteigebundenen Fachleuten zu bilden.
Die US-Administration lenkte – gegen erheblichen Widerstand aus den Reihen der Falken – ein. Im Gegenzug dafür übernahm Brahimi die Aufgabe eine Interimsregierung zusammenzustellen und mit dem moralischen Gewicht der UNO zu versehen. Brahimi, einst führender Repräsentant der algerischen Befreiungsbewegung und später algerischer Außenminister, hat einen guten Ruf in der arabischen Welt, die ihm im Irak den Zugang zu einflussreichen Kreisen eröffnete, die den Kontakt mit der Besatzungsmacht ablehnten. Er hoffte so, eine Interimsregierung zu schaffen, die zwischen den Besatzern und der Bevölkerung vermitteln könne. Die reale Aufgabe glich dann allerdings der Quadratur des Kreises: die von ihm gewählten Kandidaten sollten in den Augen der Iraker als unabhängig, besser noch als Besatzungsgegner gelten, damit die neue Regierung nicht wie eine Neuauflage des „Regierenden Rates“ erscheint. Sie mussten auf der anderen Seite aber auch das Vertrauen der USA haben.
Es dauerte bis Anfang Juni bis Brahimi eine Mannschaft präsentieren konnte, die allerdings überwiegend nur das zweite Kriterium erfüllten. Dem UN-Gesandten war bei der Präsentation deutlich anzumerken, wie unzufrieden er mit dem Ergebnis war. Auch im Vorfeld hatte er der Presse gegenüber seine Verärgerung über die mangelnde Handlungsfreiheit durchblicken lassen. Gefragt wie stark der Einfluss der US-Administration bei der Bildung der neuen Regierung sei, erinnerte Brahimi daran, dass US-Statthalter Paul Bremer die Fäden im Irak in der Hand hält: „Bremer ist der Diktator des Irak. Er hat das Geld. Seine Unterschrift gilt.“ Zwei Wochen später legte er sein Amt nieder und begründete dies mit den großen Schwierigkeiten und Frustrationen bei seinem Einsatz im Irak.
Die höchsten Posten in der Interimsregierung erhielten Männer, die bereits im „Regierenden Rat“ saßen. So der zum Präsidenten bestimmte Unternehmer Scheich Ghazi al Yawer und der neue Premierminister Iyad Allawi. Scheich al Yawer lebte im Exil in Saudi Arabien und hat enge Verbindungen mit Washington. Er hat sich allerdings durch Kritik an der Besatzungspolitik eine gewisse Reputation verschafft.[37] Seine Benennung hat auf Grund des repräsentativen Charakters seines Amtes aber nur symbolischen Wert. Die Besatzungsmächte wie die UNO-Diplomaten hoffen dennoch, so die Londoner Times, dass „dieser Symbolismus die Iraker davon überzeugt, dass sie wirklich ihre Souveränität zurückgewinnen und die Angriffe der Guerilla aufhören, die der 14-monatige Besatzung schwer zugesetzt haben.“ [38]
Der zukünftige Chef der Regierung, Allawi, hingegen verfügt über enge Verbindungen zur CIA und dem britischen Geheimdienst MI6. Er ersetzt den unhaltbar gewordenen Günstling des Pentagons, Achmed Chalabi. Allawi, Chef des „National Accord“ steht schon seit über zehn Jahren auf der Gehaltsliste der USA. Mitte der 90er Jahre hatte er in Zusammenarbeit mit den britischen und amerikanischen Geheimdiensten Bombenanschläge im Irak organisiert. Er lieferte auch einen Teil des Materials, mit dem die Geheimdienste ihre Bedrohungsanalysen über den Irak aufpeppten. So geht auf ihn wohl auch die von Tony Blair benutzte Kriegslüge zurück, Saddam hätte innerhalb von 45 Minuten Massenvernichtungswaffen einsetzen können.[39] Neben Allawi gehören mindestens sieben weitere neue Regierungsmitglieder Organisationen an, die von den USA finanziert werden. Das Urteil vieler Iraker, dass auch die Interimsregierung nur aus Marionnetten der USA bestehe, ist daher verständlich.[40]
In Washington war nie ein Geheimnis daraus gemacht worden, dass die neue Regierung nur sehr stark eingeschränkte Befugnisse und Souveränität erhalten wird. Die neue Regierung wird weder die Kontrolle über die für den Wiederaufbau bereitgestellten Gelder und die Einkommen aus den Ölexporten erhalten, noch über die US-geführten Gefängnisse und Lager. Die irakische Justiz wird – ungeachtet aller Folterberichte – auch zukünftig keinen Einfluss auf die Gefangenschaft irakischer Bürger dort haben und auch keine Möglichkeiten Verbrechen von Besatzungssoldaten auf irakischem Territorium zu verfolgen, von Schadensersatz für die angerichteten Schäden ganz zu schweigen. Da der neuen Regierung explizit untersagt ist, die von der Besatzungsbehörde erlassene Gesetze zu ändern oder neue zu verabschieden, bleibt auch die Anweisung Bremers in Kraft, die US-Amerikanern Immunität vor Strafverfolgung durch irakische Gerichte garantiert. Mehr als 200 „Ratgeber“ aus den USA und verbündeten Ländern bleiben nach dem 30. Juni als „Berater“ in den 26 irakischen Ministerien und garantieren dafür, dass aus Sicht der Besatzer nichts anbrennen wird.
Ungeachtet ihrer begrenzten Macht, scheute sich Brahimi nicht diese Regierung als „souverän“ anzukündigen. Zweiflern, die auf die fortgesetzte militärische Kontrolle des Landes durch das US-Militär, hinwiesen, warf er einen „zu legalistischen“ Ansatz vor. „Souveränität“ bedeute für ihn, „das formale Ende der Besatzung“. „Es wird eine Regierung geben, die souverän sein wird und die diese Souveränität ausüben wird.“ Mit anderen Worten „Souveränität“ per Definition und nicht aufgrund realer Macht. Man habe den „Realitäten Rechnung zu tragen“ und dazu würden auch die 150.000 ausländische Soldaten gehören, die am 1. Juli nicht einfach verschwunden sein werden.
Es werde aber eine Machtübergabe sein, da die CPA aufgelöst und Herr Bremer gehen würde, so die fortgesetzte Rosstäuscherei des UN-Vertreters.
Die explizite Hilfestellung der UNO basiert auf der Unterstützung der anderen mächtigen, einst kriegskritischen Staaten. Deutschland und Frankreich sahen es zwar nicht ungern, dass die USA und Großbritannien mit ihrer unilateralen Aggressionspolitik in Schwierigkeiten geraten sind, fürchten aber auch aus eigenem Interesse deren völliges Scheitern im Irak. Dies würde einen gewaltigen Rückschlag für den Einfluss aller westlichen Staaten in einer Region bedeuten, die für sie wirtschaftlich vital ist.
Sie fordern allerdings, wie auch Russland, mehr Befugnisse für die Übergangsregierung, einen Zeitplan für den Truppenrückzug und mehr Mitsprache der UNO – und damit auch für sich. Der Beauftragte für die EU-Außenpolitik, Javier Solana, hatte gar „große Kämpfe“ gegen die Pläne Bush-Regierung angekündigt, in der geplanten UN-Resolution zur Legitimierung der Übergangsregierung, die irakischen Sicherheitskräfte dem Oberbefehl der USA zu unterstellen.[41]
Es wurde ein Sturm im Wasserglas. Nach nur geringfügigen Änderungen an dem von den USA und Großbritannien vorgelegten Entwurf, verabschiedete der Sicherheitsrat die Resolution 1546, die den geplanten Übergangsprozess absegnete. Sie „unterstützt die Bildung einer souveränen Interimsregierung Iraks“, die „die volle Verantwortung und Autorität“ übernehmen würde. Sie „begrüßt“, dass am 30. Juni 2004 „die Besetzung enden und die Provisorische Behörde der Koalition zu bestehen aufhören“ und „Irak wieder seine uneingeschränkte Souveränität geltend machen“ würde. Der Zeitplan des Übergangsprozess wurde ebenfalls gebilligt, der Wahlen zu einer „Übergangs-Nationalversammlung“ bis spätestens 31. Januar 2005 vorsieht. Diese soll u.a. eine neue repräsentative Übergansregierung bestimmen und innerhalb eines weiteren Jahres eine permanente Verfassung entwerfen, auf deren Basis dann bis Januar 2006 eine verfassungsmäßige Regierung gewählt werden soll.
Nach den völkerrechtlich gleichfalls mehr als fragwürdigen Resolutionen 1483 und 1511 ist dies die dritte massive Hilfestellung der im Sicherheitsrat neben den USA und Großbritannien tonangebenden Staaten Frankreich, Russland und Deutschland, durch die den Staaten, die den Irak unter Bruch des Völkerrechts überfallen haben, weitgehende und langfristige Verfügungsgewalt über ihre Kriegsbeute zugestanden wurde.
Den Weg frei für den Vorschlag der Besatzungsmächte machte ein Brief des neuen Ministerpräsidenten Allawi, in dem er – kaum im Amt – pflichtgemäß, um die weitere Anwesenheit der ausländischen Truppen im Irak bat. Der US-Außenminister sicherte seinerseits in einem Brief zu, dass die Besatzungstruppen die Interimsregierung vor größeren Militäraktionen konsultieren würden. Auf diese Briefe, die gemäß der Resolution eine „Sicherheitspartnerschaft“ begründen, wird in der Resolution mehrfach Bezug genommen. Es ist offensichtlich allerdings eine Partnerschaft zwischen Herr und Knecht. Denn im Kern wird die Ermächtigung aus Resolution 1511 noch einmal bekräftigt, die die „multinationalen Truppen“ – wie die Besatzungstruppen in den UN-Dokumenten genannt werden – legitimiert, „alle notwendigen Maßnahmen“ zu ergreifen, um für die „Aufrechterhaltung der Sicherheit und Stabilität im Irak“ zu sorgen, „einschließlich der Verhütung und Abschreckung des Terrorismus“. Diese „multinationalen Truppen“ verbleiben, wie auch die irakischen Sicherheitskräfte, unter dem Oberkommando der USA. Auf den „Terrorismus“ im Irak wird mehrfach Bezug genommen. Es versteht sich von selbst, dass unter diesem Begriff nun – nach Etablierung einer durch den Sicherheitsrat anerkannten „souveränen“ Regierung – mehr den je, der gesamte militärische Widerstand subsummiert werden wird.
Zwar konnte die Bush-Regierung jene Textpassage nicht verhindern, wonach das Mandat der Besatzungstruppen automatisch ausläuft, sobald Ende 2005/Anfang 2006 eine verfassungsgemäß gewählte Regierung in Bagdad die Amtsgeschäfte übernimmt. Sie dürfte ihr aber ebenso wenig Sorgen machen, wie die Bestimmung, dass „dieses Mandat früher beendet wird, wenn die Regierung des Iraks darum ersucht.“. Bis Ende 2005 dürfte ein Abkommen, dass die weitere Truppenpräsenz regelt unter Dach und Fach sein und da die Interimsregierung keinen Tag ohne den Schutz der Besatzungstruppen überleben würde, ist ein Rückzugsersuchen von ihr auszuschließen.[42]
Das wesentlichste Zugeständnis in der Auseinandersetzung um die neue Irak-Resolution mussten die USA ihren Gegnern im Irak machen – die Übergangsverfassung und das dort definierte föderale System wird, wie u.a. von Ayatollah Al-Sistani gefordert, in der Resolution nicht erwähnt. Diese Rücksichtsnahme verärgerte allerdings massiv ihre kurdischen Verbündeten, die mit einem Boykott der neuen Regierung drohten und zeigte auch von dieser Seite die Labilität des gesamten Projekts.
Die realen Grundlagen der US-Herrschaft über den Irak
Wie Journalisten vor Ort überall erfahren konnten, verband die Mehrheit der Iraker mit der Etablierung der Interimsregierung keine wesentliche Änderung des Besatzungszustandes ihres Landes.[43] Intellektuelle, wie der frühere UN-Botschafter des Landes Dr. Mohamed al-Douri wiesen die Vorstellung einer „begrenzten Souveränität“ zurück. Souveränität bedeute die vollständige Kontrolle über das Land, den Luftraum, die Bodenschätze, die Wirtschaft und das Militär. Wenn dies nicht gegeben ist, so wäre dies nicht eine „begrenzte Souveränität“, sondern schlicht gar keine.[44]
Niemand im Irak erwartete, dass sich ihre persönliche Lage verbessern würde, niemand auch dass die Widerstandsaktivitäten nun nachlassen – im Gegenteil.
Wenig wahrscheinlich erscheint den meisten auch, dass es bis Januar 2005 tatsächlich einigermaßen faire Wahlen geben wird. Die USA hatten ja stets deutlich gemacht, dass ihnen dies zu früh sein wird. Falls sie nicht generell mit dem Verweis auf die Sicherheitslage verschoben werden, wird Washington alles daransetzen, durch eine strenge Auswahl der zugelassenen Parteien, einen den USA genehmen Ausgang zu garantieren. In einer seiner letzten Amtshandlungen, unterzeichnete US-Statthalter Paul Bremer einen Erlass, der Angehörige „illegaler Milizen“ von allen öffentlichen Ämtern ausschließt. Da der Bann erst drei Jahre nach Verlassen der entsprechenden Organisation erlöschen soll, bleiben Besatzungsgegner, die in der Guerilla kämpften oder, wie in vielen Orten zum Selbstschutz bewaffnete Gruppierungen bildeten, auch dann ausgeschlossen, wenn sie sich zur Teilnahme am Übergangsprozess und die Beschränkung auf eine zivile Politik entschließen würden. Die Angehörige der verbündeten Organisationen sind von der Regelung nicht betroffen, da deren Milizen in die irakischen Sicherheitskräfte integriert und somit legalisiert werden.
So wichtig die Schaffung einer passablen Fassade und die Unterstützung von Teilen der Bevölkerung für die fortgesetzte Herrschaft über das ölreiche Land ist, die wesentlichen Grundlagen werden weiterhin die fortgesetzte Stationierung der Besatzungstruppen und der Ausbau eines von den USA kontrollierten Sicherheitsapparates bilden. Vierzehn permanente Basen sind dafür bereits im Bau und ein neue irakische Geheimpolizei entsteht unter der Obhut der riesigen CIA-Filiale in Bagdad. Diese wird, wie die irakische Armee, auch nach dem 30. Juni unter US-Kommando bleiben.
Regiert wird das Land aus der zur Festung ausgebauten Botschaft der USA im Zentrum Bagdads werden, die einen großen Teil der Aufgaben der Besatzungsbehörde übernimmt. Paul Bremer, der nun ausgedient hat, wird vom alten Haudegen John Negroponte abgelöst, der als Botschafter über einen Stab von 1.700 Mitarbeitern verfügen wird, die zum großen Teil unmittelbar aus Bremers CPA überwechseln werden. [45]
Die Herrschaftsausübung via US-Botschaft ist eine Methode, die Lateinamerikanern bestens bekannt ist, aber auch in Südostasien erprobt wurde. Negroponte, derzeit Botschafter der USA bei der UNO, bringt dafür sicher die besten Erfahrungen mit. Er war in den 80er Jahren als Botschafter in Honduras und hat nicht nur im Gastland mitregiert, sondern auch maßgeblich die gegen das Nachbarland gerichteten so genannten „Contras“ mitaufgebaut, die den Bürgerkrieg in Nicaragua mit terroristischen Mitteln vorantrieben.
Neuauflage der Operation Phoenix?
Für den Aufbau paramilitärischer Einheiten und einer neuen Geheimpolizei wurde der CIA für 2004 ein Budget von bis zu drei Mrd. US-Dollar zur Verfügung gestellt. Deren Ränge füllen zum einen Angehörige irakischer Exilgruppen und kurdische Peshmergas, zum anderen aber auch übergelaufene Mitglieder des früheren irakischen Geheimdienstes Mukhabarat. [46]
„Die Bildung einer gut funktionierenden Geheimpolizei, die in Wirklichkeit eine Abteilung der CIA darstellt, ist Teil einer allgemeinen Übergabestrategie,“ so der US-amerikanische Geheimdienstkritiker John Pike von der Global Security Organisation. Wer die Geheimpolizei eines Landes kontrolliere, könne sicher sein, dass sich das neue irakische Regime nicht weit von den vorgegebenen Parametern entferne.[47]
Mit dem Aufbau der paramilitärischen Verbänden wurde bereits im Herbst 2003 begonnen. Kapuzen tragende Milizionäre begleiten von da an US-Soldaten bei Razzien und Vergeltungsschlägen.[48] Auf ihren Informationen beruht meist auch die Wahl der Opfer dieser Operationen. Ähnlich vermummte Männer haben seither auch – völlig unbehelligt durch die Besatzungsmächte –Hunderte ehemalige Mitglieder der einstigen Regierungspartei, frühere Amtsträger kritische Intellektuelle und sonstige politische Gegner ermordet.[49]
Die Eskalation eines verdeckten, schmutzigen Krieges wurde von der Präsident Bush unmittelbar autorisiert. In enger Zusammenarbeit zwischen der israelischen und der US-Armee wurden auch Einheiten für die gezielte Exekution gegnerischer Führer ausgebildet.[50] Diese Spezialeinheiten zur Menschenjagd wurden unter dem Namen Task Force 121 zusammengefasst. Angesichts der Schwierigkeiten, den irakischen Widerstand in den Griff zu bekommen, müsse, so ein Berater der Besatzungsbehörde, zu „unkonventionellen Mitteln“ gegriffen und Gleiches mit Gleichem bekämpft werden: „Guerilla mit Guerillamethoden. Terrorismus mit Terrorismus“. Man müsse die Iraker „durch Schrecken zur Unterwerfung zwingen.“ [51]
Ehemalige CIA-Beamte vergleichen dieses Vorhaben mit dem Programm „Phoenix“ in Vietnam bei dem zwischen 1968 und 1972 zigtausend Vietnamesen entführt oder getötet, wurden die der Sympathisierung mit dem Vietcong verdächtig wurden.[52]
Trotz allem stellen sich auch in den einst kriegskritischen Ländern die meisten Politiker und Medien hinter die Besatzungspolitik der USA. Nur die Besatzungstruppen würden einen drohenden Bürgerkrieg verhindern, so die gängigen Verlautbarungen. Doch ist es im Gegenteil die Politik der USA, die massiv Iraker gegen Iraker in Stellung bringt. Auseinandersetzungen der Besatzungsgegner mit den Kräften, die mit den USA kollaborieren, könnten Züge eines Bürgerkrieges annehmen. Kann die USA ihre Politik fortsetzen, so wird am Ende nicht Souveränität und Demokratie, sondern eine US-hörige koloniale Diktatur stehen. [53]
Verhindern werden dies im wesentlichen nur die Iraker selbst können, indem es ihnen gelingt eine breite einheitliche Bewegung gegen die Besatzung zu schaffen. Hierfür gibt es ermutigende Ansätze, wie die Initiative zur Abhaltung einer „Nationalen Konferenz für einen unabhängigen und vereinten Irak“. Dies sei „ein irakisches Projekt, das über die falsche Alternative zwischen Diktatur und Besatzung hinausweist“ so Hana Ibrahim vom Occupation Watch Center in Bagdad, ein von Friedensgruppen der USA und anderer Länder getragenes Projekt.
Vertreter von etwa 50 Organisationen beteiligen sich dem Bericht zufolge an den Diskussionen, wobei nahezu alle politischen Strömungen vertreten sind: religiöse Organisationen aller Konfessionen, sowie säkulare, nationale und linke Gruppierungen. Auf den Treffen waren Wissenschaftler, ehemalige Minister, Stammes- und Religionsführer anwesend, darunter auch Vertreter Ayatollah Sistanis und Moktadar Al Sadrs. [54]
Die Hauptforderung ist das Ende der Besatzung. Erst nach Abzug der Besatzungstruppen entstünden geeignete Bedingungen, um eine Verfassung zu schreiben und eine unabhängige Gesellschaft aufzubauen, bestimmt durch „Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit und Frieden“. Zunächst ginge es darum, politische Strukturen zu schaffen, um den Irak zu befreien – mit allen legitimen Mitteln. Am 8. Mai 2004 fand in Bagdad die Gründungsveranstaltung einer der Nationalen Konferenz statt die in ihrer Abschlusserklärung obige Positionen bekräftigte und versicherte, keine der von den Besatzungsbehörden geschaffenen Institutionen anzuerkennen. Explizit werden darin auch die Pläne des „sogenannten ‚Machttransfers’“ als völlig unzureichend zurückgewiesen. Er sei nur dann akzeptabel, so heißt es in der Erklärung, wenn dadurch wirklich der Irak seine Souveränität erhalten und die Besatzungstruppen abziehen würden.
Ausblick
Die mit viel Propagandaaufwand zelebrierte „Machtübergabe“ blieb überschattet von den anhaltenden Kämpfen der Besatzungstruppen gegen Städte, die nach wie vor von Besatzungsgegnern kontrolliert wurden. Noch größere Imageschäden verursachten die ständig neuen Fotos und Enthüllungen über die Folterpraktiken in den US-geführten Gefängnissen im Irak – für die USA ein Public Relation Desaster ohnegleichen. Eine Politik, die es mit Hilfe professioneller PR-Firmen und einem Netz von „Demokratie-Promotion“-NGOs verstanden hatte, die Kriegsnachrichten in ihrem Sinne zu moderieren, war mit den Fotos aus Abu Ghraib völlig außer Tritt geraten. Im Irak selbst waren die Vorwürfe viel länger bekannt, dennoch heizten die Bilder die anti-amerikanische Stimmung weiter an.
Die Auseinandersetzungen um die Kontrolle von Falluja, Najaf, Kufa und anderen Städten, machte zudem deutlich, dass die Besatzungsmacht, die militärischen Mittel, über die sie in großem Maß verfügt, nicht konsequent einsetzen kann, ohne ihre politischen Ziele und ihren Verbündeten im Irak zu schaden. Um Reibungspunkte zu vermeiden und weniger Angriffsfläche zu bieten haben die USA vor, wie der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz im Juni 2004 noch einmal im Wall Street Journal ausführte, ihre Truppen zunehmend auf ihre Stützpunkte, die meist außerhalb der Ortschaften liegen, zurückzuziehen und sie nur noch in gezielten Operationen gegen bewaffnete Gegner ausrücken zu lassen. Die Kontrolle vor Ort soll den irakischen Sicherheitskräften überlassen werden um so die fortgesetzte Besatzung weniger spürbar zu machen. Aufgrund der mangelnden Zuverlässigkeit von Polizei und Armee kann dies aber nach wie vor nur sehr eingeschränkt umgesetzt werden.
Die USA haben politisch im Lande seit Beginn der Besatzung stetig weiter an Boden verloren. Dies und die parallel anwachsende Widerstand haben sie, wie sich gezeigt hat, zu ständigen taktischen Rückzügen bezogen auf ihre ursprünglichen Nachkriegspläne gezwungen. Auch wenn weitere Korrekturen wahrscheinlich sind, sind die USA vor allem auf Grund der Unterstützung, die sie immer wieder auf internationaler Ebene erhalten, mit ihrem Latein sicherlich noch nicht zu Ende. Dennoch herrscht in den großen westlichen Medien auch nach Verabschiedung der Irak Resolution 1546 der Pessimismus vor: „Nach ’Auftrag erfüllt’“ vom 1, Mai 2003“, schrieb Lothar Rühl in der Frankfurter Allgemeinen, „droht ab 1. Juli 2004 ‚mission impossible’ – unerfüllbarer Auftrag.“[55]
[1] Caritas Internatinonal: www.caritas-international.de , siehe auch den ausführlichen Bericht des Koordinators der Caritas-Hilfe im Irak, Karl A. Ammann: „Der schleichende Krieg“, Frankfurter Rundschau vom 15.03.2004
[2] MedAct Studie: Continuing collateral damage – the health and environmental costs of war on Iraq 2003, (http://www.ippnw.de/presse/2003/031111IrakBilanz.htm )
[3] Dying of neglect: the state of Iraq’s children’s hospitals, The Independent, February 21st, 2004
[4] Siehe J. Guilliard, Die Kolonisierung des Iraks im Geiste der Conquista, junge Welt v. 5/6.5.2003
[5] Walden Bello, „Falluja and the Forging of the New Iraq“, Focus on the Global South, 18-Apr-2004
[6] William I. Robinson, „What to expect from U.S. ‚Democracy Promotion’ in Iraq“, University of California, 30.3.2004 http://www.focusweb.org/index.php?option=news&task=viewarticle&sid=167
[7] ebd.
[8] siehe J. Guilliard, „Die neue Phase des Krieges“ in Göbel/Guilliard/Schiffmann „Der Irak – Krieg, Besatzung, Widerstand, PapyRossa, 2004
[9] Siehe das Transkript der Rede unter http://www.centcom.mil/CENTCOMNews/transcripts/20030604.htm
[10] Bremer Shifts Focus to New Iraqi Economy”, Washington Post, May 27, 2003
[11] „Let’s All Go to the Yard Sale,“ Economist, 25.9.2003
[12] J. Guilliard, „Die neue Phase des Krieges“ a.a.O..
[13] Der britische Generalstaatsanwalt Lord Goldsmith hatte Premierminister Tony Blair bereits am 26. März 2003 darauf hingewiesen, dass die „Verordnung größerer Strukturreformen gegen internationales Recht verstößt“. Er bezog sich dabei auf Artikel 43 der Haager Landkriegsordnung, wonach die Besatzungsmächte, „alle von ihm abhängenden Vorkehrungen zu treffen“ haben, „um nach Möglichkeit die öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten, und zwar, soweit kein zwingendes Hindernis besteht, unter Beachtung der Landesgesetze.“ Im besetzten Irak ist aber genau das Gegenteil zu beobachten. Weit davon entfernt, ein Mindestmaß an öffentlicher Ordnung zu garantieren, unternahmen die Besatzungsmächte nichts, um z.B. Plünderungen zu verhindern oder die allgemeine Gewaltkriminalität, zu deren Opfer vor allem Frauen und Mädchen zählen, einzudämmen.
[14] Siehe Artikel 42ff der Haager Landkriegsordnung von 1907, sowie: „Spoils of war“, The Guardian, 13.10.2003
[15] „Iraq Is Not America’s To Sell“, The Guardian, 07.11.2003
[16] „Mittelalter statt Zivilgesellschaft“ charakterisierte Karl Grobe diese Vorgehensweise in der Frankfurter Rundschau treffend, Frankfurter Rundschau vom 28.08.2003
[17] ICG, „Governing Iraq”, a.a.O, S. 16, „Iraqi Shiites, Sunnis and Kurds do not form homogenous political or sociological categories. In fact, accepting such oversimplified notions … complicating the task of preserving Iraq’s territorial and political integrity, threatening its secular character …”. ICG, „War in Iraq: Political Challenges After the Conflict”, 25 3.2003, pp. 26-27
[18] Phyllis Bennis, „Bush on Middle East – ‚Democracy’ & ‚Ending Occupation’ in Iraq, Institute for Policy Studies, 18.11.2003
[19] ”’We could lose this situation’, CIA says insurgents now 50,000 strong; Crisis talks over transfer of power”, The Guardian, 13.11.2003 und ”CIA has a bleak analysis of Iraq” Philadelphia Inquirer, 12.11.2003
[20] Rajiv Chandrasekaran, „Attacks Force Retreat From Wide-Ranging Plans for Iraq“, Washington Post, 28.12.2003
[21] „US Focuses on Faster Handover to the Iraqis,“ Philadelphia Inquirer, 13.11.2003
[22] Naomi Klein, „Bush’s Iraq: An Appointocracy, The Globe and Mail/Common Dreams, 22.1.2004
[23] „Thousands of Iraqis Demand Elections on Day of UN Talks“ New York Times, 19.1.2004
[24] „Surging Shiite Demands Put US in a Bind“, Los Angeles Times, 18.1.2004
[25] „Occupation Forces Halt Elections Throughout Iraq,“ Washington Post, 28.6.2003 (zit. nach Herbert Docene a.a.O.)
[26] „US Tries to Give Moderates an Edge in Iraqi Elections,“ New York Times, 18.1.2004
[27] The political transition in Iraq: report of the fact-finding mission, UN-Dokument S/2004/140, Seite 20
[28] Robert Collier, „Democracy How?“., The American Prospect, March 1st, 2004,
Robert Collier hatte während seiner Irak-Reise im Dezember 2003 Dutzende von schiitischen Führern, sunnitischen Klerikern und Baathisten aller Rangebenen interviewt und nach ihren Lösungsansätzen gefragt. Die Antworten, so Collier, hätten neben scharfen Differenzen auch wichtige Gemeinsamkeiten offenbart. So die Forderung nach Kontrolle des Übergangsprozesses durch die UNO und Ersetzung der Truppen und Mitarbeiter der Besatzungsmächte durch UN-Mitarbeitern und UN-Truppen, Abhaltung nationaler Wahlen unter UNO-Aufsicht in der zweiten Hälfte des Jahres 2004 und Rückzug der Besatzungstruppen aus den Städten, wo es nötig ist, ersetzt durch UN-Truppen aus neutralen Staaten.
[29] Report vom UN Fact-finding Team vom 23 Feb. 2004, UN-Dokument S/2004/140, http://www.un.org/Docs/journal/asp/ws.asp?m=S/2004/140.
[30] Siehe Art.23, 27, 29, 32 und 33 der irakischen Verfassung von 1990 (http://www.oefre.unibe.ch/law/icl/iz01000_.html). Die Verfassung war 1990 geändert worden, das Verfassungsreferendum fiel aufgrund des Krieges 1991 aus, sie trat aber dennoch faktisch in Kraft.
[31] Art. 14 der Interimsverfassung (Law of Administration for the State of Iraq for the Transitional Period, http://www.oefre.unibe.ch/law/icl/iz00000_.html)
[32] „Iraqi women could lose rights they’ve had for decades, senators say”, San Francisco Chronicle, February 2nd, 2004
[33] Sistani: Iraq Interim Constitution Is ‘Obstacle’, Reuters, 8.3.2004
[34] Herbert Docena, a.a.O.
[35] Dahr Jamail, „Falludschas Rebellen feiern den ‘Sieg’“, The NewStandard / ZNet 12.05.2004
[36] Jim Lobe „US On the Brink Over Iraq“, IPS, 1.5.2004.
William Odoms Analyse wird durch die Ergebnisse einer detaillierten Befragung von 3.500 Irakern Ende März bis Anfang April gestützt, die am 29.4.2004 von Gallup, CNN und USA Today veröffentlicht worden war. Der Studie dieser, alles andere als US-kritischen Organisationen zufolge, wollen 57% der Iraker einen „sofortigen Abzug“ der US-geführten Besatzungstruppen, wobei „sofort“ definiert wurde, als „in den nächsten paar Monaten.“ Nimmt man die Befragten aus den drei kurdischen Nordprovinzen aus, so steigt der Prozentsatz derer die einen unverzüglichen Abzug fordern auf zweidrittel. Die Untersuchungen war noch vor den Belagerungen von Falluja und Najaf, sowie der Veröffentlichungen von Bilder gefolterter Iraker durchgeführt worden. Die Ablehnung wäre sonst noch sicherlich noch wesentlich deutlicher ausgefallen.
[37] “’Where Is the Democracy?’ Iraqis’ Opinion of the New Interim Government“, IslamOnline, 3.6.2004
[38] The Times, 2. Juni 2004
[39] „Ein Freibrief für die Besatzungsmacht“, Berliner Zeitung, 9.6.2004
[40] “The street speaks – Iraq’s UN-backed government is made up of CIA pawns”, The Independent, 10.6.2004
[41] James Conachy, „US-Offizier droht Massaker in Falludscha an“, WSWS, 24. April 2004
[42] Den Weg zu einer militärischen Unterstützung der Staaten, die weiterhin keine – wie auch immer bezeichneten – Besatzungstruppen stellen wollen, soll Absatz 13 ebnen, der den Aufbau einer eigenen Einheit zum Schutz der UN-Präsenz im Irak bestimmt. Auch diese Art „Blauhelm“-Truppe wird allerdings unter dem „Kommando der multinationalen Truppen“, also dem Oberbefehl der US-Armee stehen.
[43] „The street speaks – Iraq’s UN-backed government is made up of CIA pawns, The Independent, 10.6.2004
[44] „Iraq: Full sovereignty after 30 June“ Aljazeera, 8.6.2004
[45] „U.S. Advisers to Stay in Iraq After June 30”, New York Times, 20.5.2004
[46] „CIA plans new secret police to fight Iraq terrorism“, Daily Telegraph, 4.1.2003, sowie Robert Dreyfuss, „Phoenix Rising,“ The American Prospect, January 1, 2004.
[47] CIA plans new secret police…., a.a.O.
[48] Robert Fisk, „Phantom insurgents pay a deadly price for Iraq’s ‘liberation’” The Independent, 21.12.2003
[49] Robert Fisk, “Hooded Men Executing Saddam Officials”, The Independent, 28.12.2003:
[50] “Israel trains US assassination squads in Iraq”, The Guardian, 9.12.2003
[51] Seymour M. Hersh, „Moving Targets – Will the counter-insurgency plan in Iraq repeat the mistakes of Vietnam?“, The New Yorker, December 8, 2003
[52] ebd.
[53] J. Guilliard, „Irak: Wirtschaftlicher Ausverkauf und neokoloniale Diktatur“ in Marxistische Blätter 1/04 http://marxblaetter.placerouge.org/2004/04-1-16.html
[54] Hana Ibrahim, „The National Conference for an Independent and Unified Iraq“, Occupation Watch http://www.occupationwatch.org/article.php?id=3534
[55] „Bald ein unerfüllbarer Auftrag? – Die aktuelle Lage im Irak vor dem Horizont von Vietnam“, FAZ, 11.6.2004