Während Lockdowns kaum Wirkung zeigen, bremst nun der erhebliche Anteil derer, die nach einer Infektion immun sind, die Ausbreitung des Virus
Joachim Guilliard, Telepolis, 21. Februar 2021
Updates: Am Ende einige Bemerkungen zum brasilianischen Manaus, das als Gegenbeispiel angeführt wurde, sowie ein Hinweis auf die Bevölkerungsimmunität in Ischgl und in den USA (Washington Post)
In den meisten europäischen Ländern sind die Corona-Fallzahlen von ihren zeitweiligen Spitzenwerten zurückgegangen. Auch in Deutschland bewegen sie sich ungefähr wieder auf dem Niveau von Ende Oktober. Die Regierungen von Bund und Ländern wollen dies nun darauf zurückführen, dass der von ihnen verordnete harte Lockdown nach acht Wochen endlich wirkt. Um “diesen Erfolg nicht zu gefährden”, wurde er um weitere vier Wochen verlängert. Auch die meisten Medien führen den Rückgang ungeprüft auf den Lockdown zurück.
Belege dafür bleiben sie schuldig. Belastbare Daten dazu und über das Infektionsgeschehen allgemein wurden nicht erhoben. Die Verantwortlichen waren bisher nicht willens oder nicht fähig, entsprechende Studien durchführen zu lassen, mit deren Hilfe man abschätzen könnte, welche der verschiedenen Maßnahmen tatsächlich etwas zum Rückgang der Fallzahlen beigetragen haben und wenn ja, wieviel. Dabei wäre dies zur Beurteilung ihrer jeweiligen Verhältnismäßigkeit an sich zwingend geboten.
Vieles spricht allerdings dagegen, dass abendliche Ausgehverbote, rigide Beschränkungen privater Kontakte, das Schließen von Restaurants und kulturellen Einrichtungen oder eine der sonstigen massiven Restriktionen eine deutliche Wirkung hatten, die über die der selbstverständlichen Maßnahmen wie Einhaltung von Hygieneregeln, Abstandhalten und Selbstisolation von Infizierten oder das Verbot von größeren Veranstaltungen, hinausgehen.
Wenn die Infektionszahlen nun nach etlichen Wochen oder Monaten mitten im Winter zurückgehen, so ist das wahrscheinlich viel mehr auf den inzwischen erheblich gewachsenen Anteil von Menschen zurückzuführen, die nach einer Infektion bereits immun sind, und so für das sorgen, was Wissenschaftler eine “kleine Herdenimmunität” nennen.
mehr … https://www.heise.de/tp/features/Corona-Rueckgang-der-Fallzahlen-durch-natuerliche-Immunitaet-5061192.html
Update: 22.2.2021
Manaus: Anstieg der Fallzahlen, obwohl 75% der Einwohner infiziert?
Lockdown-Verteidiger führen als Beleg dafür, dass ein hoher Grad von Immunität in der Bevölkerung durch frühere Infektionen keinen größeren Einfluss auf das Infektionsgeschehen habe, als Gegenbeispiel die Entwicklung in Manaus an. In der brasilianischen Großstadt sollten einer Studie zufolge im Oktober 2020 bereits drei Viertel der Bevölkerung die Corona-Infektionen hinter sich gehabt haben.[1] Damit hätte sie Herdenimmunität erreicht. Dennoch stiegen die Fallzahlen im Januar erneut heftig an.
Die Hochrechnungen der Antikörperstudie, die auf der Untersuchung von Blutproben basieren, die ab März genommen wurden, werden von vielen Wissenschaftlern jedoch stark angezweifelt. Ihr größter Schwachpunkt ist die fehlende Repräsentativität von Blutspendern. Eine frühere Studie schätzte, dass im Juni 14 Prozent der Einwohner von Manaus infiziert waren und damit wesentlich weniger als die Blutproben-Studie, die für diesen Monat 66,2 Prozent ermittelte.[2] Da Manaus im Frühjahr sehr heftig getroffen wurde, könnte die Wahrheit in der Mitte liegen. Die Infektionsraten in der Stadt sind tatsächlich auch nach ihrem Höhepunkt Ende April 2020 bis Dezember relativ niedrig gebliebenen und ihr starker Anstieg im Januar kam überraschend.
Nachlassende Immunität bei manchen Einwohnern, die sich zum großen Teil schon vor acht Monaten infiziert hatten, ist zwar als Ursache nicht auszuschließen, könnte aber, so auch eine im medizinischen Fachmagazin The Lancet veröffentlichte Analyse, einen solch starken Anstieg nicht erklären.[3] Wahrscheinlicher ist, dass tatsächlich wesentlich weniger Bürger schon infiziert waren und ihre Immunabwehr gegen die neue Variante des Virus in Brasilien schwächer ist. Dass Infektionswellen bei Sars-CoV-2, wie bei der Grippe, auch nach Erreichen eines guten Grades an Immunitäts (egal ob durch Infektionen und Impfungen) erneut auftreten können, ist nicht überraschend. Dies widerlegt jedoch nicht, dass sie stets mit der Zeit auch durch wachsende Immunisierung nach Infektionen abgeschwächt werden.
[1] Three-quarters attack rate of SARS-CoV-2 in the Brazilian Amazon, Science 15.1.2021:
[2] Ignacio Amigo, Study Estimates 76 Percent of Brazilian City Exposed to SARS-CoV-2, The number, extrapolated from antibodies present in blood donors in Manaus, should be treated with caution, experts warn., The Scientist, 14.12.2020
[3] Ester C Sabino et.al., Resurgence of COVID-19 in Manaus, Brazil, despite high seroprevalence , The Lancet, 27.1. 2021
Update 25.2.2021:
Keine zweite Welle in Ischgl
Ein weiteres Beispiel, wo die erworbene Immunität eines größeren Anteils der Bevölkerung eine neue Ansteckungswelle verhinderte ist Ischgl. Dort waren im April vergangenes Jahr bei 51,4 Prozent Einwohner Antikörper im Blut nachgewiesen worden. Bei erneuten Tests im November fand man sie immerhin noch bei 45 Prozent. Zudem wurde bei eine zusätzlichen Untersuchung Die Innsbrucker zellulärer Immunität festgestellt, dass selbst bei solchen Versuchsteilnehmern T-Zellen gebildet wurden, bei denen keine oder kaum noch Antikörper nachweisbar waren. Während anderen Regionen Österreichs, die Neuinfektionen Mitte November einen Höchststand erreicht hatten, blieb in Ischgl eine Welle von Neuinfektionen weitgehend aus. (Antikörper-Studie macht Hoffnung Immunität in Ischgl hält über Monate an, ntv, 19.2.2021)
Update 28.2.2021:
Washington Post: 40 Prozent Bevölkerungsimmunität in den USA fangen neue Infektionswelle ab
Caitlin Rivers, eine Wissenschaftlerin des Johns Hopkins Center for Health Security, berichtet in der Washington Post, serologische Studien würden zeigen, dass Ende 2020 in den meisten US-Staaten 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung infiziert waren. Da diese Schätzung aber nicht die schlimmste Phase der Winterwelle berücksichtigen würde, als jeden Tag eine Viertelmillion Fälle gemeldet wurden, sei die aktuelle Zahl deutlich höher. Schätzungen würden nahe legen, dass landesweit etwa 28 Prozent der Menschen mit dem Coronavirus infiziert worden sein könnten. Und nun kämen noch viele hinzu, die durch Impfung immun wurden.
„Bis Anfang April könnte sich die Zahl der Menschen in den USA mit Immunität 40 Prozent nähern. Dieses Niveau der Immunität der Bevölkerung verlangsamt die Übertragung und wird eine vierte Welle von Infektionen abfangen.“ ‒ Auch wenn man noch weit von Bevölkerungsimmunität von 60-75 Prozent entfernt sei, die nötig sei um die Ausbreitung weitgehend zu stoppen.
(The coronavirus is finally starting to run out of new people to infect — Vaccines and previous infections are combining to raise the level of population immunity, Washington Post, 26.2.2021)
Könnte die ungeklärte Ursache des Widerspruchs zwischen errechneter Herdenimmunität und erneuter Infektionswelle in Brasilien/Manaus nicht auch wiederum auf die mangelnde Zuverlässigkeit der Drosten- PCR-Tests hindeuten, die allen “Wellen” als Maßstab zugrunde liegen?
Der Anteil bereits Infizierter wurde mittels Tests auf Antikörper durchgeführt. Da den Berichten zufolge die Zahl der in Krankenhäuser eingelieferten Kranken stark anstieg, muss man wohl schon von einer neuen Welle ausgehen.
Wenn nun aber z.B. ein Autor in der medizinischen Fachzeitschrift BMJ meint, Manaus könnte “der letzte Nagel im Sarg der natürlichen Herdenimmunität” sein, so übersieht er, dass damit auch die Chance beerdigt würde, durch Impfen (erneute) Covid-19-Erkrankungen zu verhindern, da es für de Wirkung egal ist, ob eine “Herdenimmunität” natürlich oder durch Impfen entstand.
Glücklicherweise sieht es nicht danach. Laut dem Spezialisten für Infektionskrankheiten, Júlio Croda, handelt es sich bei 99 % der neu gemeldeten Fälle in Manaus um Menschen, die die Krankheit zuvor noch nicht hatten. Es sind also keine Reinfektionen.
Wenn nun die Situation in Manaus wieder so katastrophal ist, so liegt das vermutlich in erster Linie daran, dass die Armut dort noch viel größer und das Gesundheitssystem noch miserabler ist als im übrigen Land.